Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Börsenfusion steht auf der Kippe
Finanzwelt Das Nein der Briten zur EU könnte den Zusammenschluss von Frankfurt und London verhindern. Für die Deutschen wäre es der dritte Rückschlag in Folge
Frankfurt/London „Gottgewollt“und genau das Richtige für die Weltwirtschaft – geradezu pathetisch wirbt Deutsche-Börse-Chef Carsten Kengeter seit Ende Februar öffentlich für die Fusion des DaxKonzerns mit der London Stock Exchange (LSE). Doch das Nein der Briten zur Europäischen Union könnte den Frankfurtern auch im dritten Anlauf einen Strich durch die Rechnung machen. Denn schon zwei Mal ist die Fusion mit der Londoner Börse in der Vergangenheit gescheitert.
Der Chor der Kritiker wird nach dem Brexit-Votum lauter. Als eine der niedrigsten Hürden galt die Abstimmung der LSE-Aktionäre bei einer außerordentlichen Hauptversammlung am Montag. Und in der Tat stimmten die LSE-Anteilseigner fast einstimmig für die Fusion. Doch darüber hinaus sind die Widerstände groß. „Es ist schwer vorstellbar, dass der wichtigste Börsenplatz im Euroraum von einem Standort außerhalb der EU gesteuert wird“, sagte der Präsident der Finanzaufsicht Bafin, Felix Hufeld. „Da wird man sicher nachjustieren müssen.“
Hufelds Wort hat Gewicht, auch wenn die Bafin in dem Fall formal kein Vetorecht hat. „Ein Hauptsitz außerhalb der Eurozone war schon bisher schwer zu begründen, außerhalb der EU halte ich eine gemeinsame europäische Börse für nicht vermittelbar“, sagt Sparkassen-Verbandschef Georg Fahrenschon. Der Betriebsrat der Deutschen Börse opponiert ebenfalls. „Der Hauptsitz muss nach Frankfurt“, fordert die Vorsitzende des Gremiums, Jutta Stuhlfauth. Angesichts des wohl bevorstehenden EU-Austritts Großbritanniens wäre es aus Sicht der Arbeitnehmervertreter „widersinnig, wenn der Hauptsitz nach London verlegt würde“. Skeptisch zeigt sich auch die hessische Börsenaufsicht, die letztlich das Zünglein an der Waage spielen könnte. Denn sie muss über den ordnungsgemäßen Betrieb der Frankfurter Wertpapierbörse wachen.
Offiziell rütteln die Konzerne bisher nicht an ihren Vereinbarungen. Doch auch bei der Deutschen Börse wächst die Einsicht, dass es im Falle eines EU-Austritts Großbritanniens politisch kaum durchsetzbar sein dürfte, London zum Kern der europäischen Superbörse zu machen. Die britische Metropole sei als rechtlicher Hauptsitz des fusionierten Konzerns nicht mehr vorstellbar, sagen Insider. Jetzt müsse sich die Politik in London bewegen und ihre Forderung zum Hauptsitz aufgeben. Andernfalls sei der Deal tot.
Es sei „nun wichtiger als zuvor, die finanzwirtschaftliche Verbindung zum Vereinigten Königreich stabil zu halten“, ließ DeutscheBörse-Aufsichtsratschef Joachim Faber nach dem Brexit-Votum erklären. „Der Finanzplatz Frankfurt sollte dabei eine Führungsrolle einnehmen und die Verbindung zwischen Europas größter Volkswirtschaft mit London als dem größten Finanzplatz der Welt sicherstellen.“
Eine Abkehr von den bisherigen Plänen muss allerdings nicht unbedingt bedeuten, dass Frankfurt automatisch das Rennen macht. Vorstellbar sei auch ein Sitz in einer anderen europäischen Stadt, heißt es in Börsenkreisen. Als Kompromiss könnte etwa Amsterdam ins Spiel kommen.
Kengeter und seinem LSE-Pendant Xavier Rolet läuft die Zeit davon. Den komplexen Fusionsprozess neu aufzusetzen, wäre ein Kraftakt – und was wird dann aus der laufenden Abstimmung der Aktionäre? Die Eigner der Deutschen Börse sind aufgerufen, bis einschließlich zum 12. Juli ihre Aktien in Papiere des neuen Unternehmens zu tauschen. Nach dem Absturz des britischen Pfunds und dem Rückgang des Aktienkurses infolge der Brexit-Entscheidung hat die LSE deutlich an Wert verloren. Deshalb geht unter Aktionären der Deutschen Börse die Angst um, den Konkurrenten zu teuer zu übernehmen. Auch hier gibt es bei den Managern schon Überlegungen, diese Sorgen zu zerstreuen: Sie könnten den Aktionären eine Sonderdividende anbieten. Jörn Bender, Erik Nebel, dpa Online-Abruf www.augsburger-allgemeine.de