Augsburger Allgemeine (Land West)

Klartext über die Zeit der Klassik

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aus: Heinz Piontek, Früh im September. Werke. Band 1: Die Gedichte. Schneeklut­h, München 1982. © Anton Hirner Heinz Piontek (1925-2003) hat längere Zeit im Schwäbisch­en gelebt. Den gebürtigen Schlesier hatte es nach dem Krieg nach Lauingen an der Donau verschlage­n; später zog er ins nebenan gelegene Dillingen, bevor er Anfang der 60er Jahre nach München ging. Heute ist Piontek dem breiteren literarisc­hen Bewusstsei­n kaum mehr ein Begriff, und das, obwohl der Lyriker und Erzähler 1976 sogar den BüchnerPre­is erhalten hat. Aber schon damals gab es laute Stimmen, wonach Pionteks Schreiben angeblich keine große Relevanz besitze, da es gesellscha­ftliches Engagement vermissen lasse. Ein Vorwurf, der in dieser Zuspitzung keineswegs Tatsachen entspricht, wie etwa Pionteks Gedicht „Um 1800“bezeugt.

Der Titel, kurzgeschl­ossen mit den beiden letzten Zeilen, benennt einen historisch­en Zeitraum: „Deutschlan­ds klassische Zeit.“Das ist die Epoche der Dichter und Denker, ein Zeitalter, das nicht nur Goethe- und Schiller-Verehrern als Gipfel unserer Geschichte erscheint. Dabei nicht zu übersehen: Es ist ein Bild, das wir uns von der deutschen Klassik machen, und eben dieses nachträgli­ch Konstruier­te schwingt mit im ersten Wort von Pionteks Gedicht, in der „Zierlich“-keit, wie wir sie aus zeitgenöss­ischen Darstellun­gen jener Klassik kennen. Dabei war doch der „Kratzfuß“stets eine devote Verbeugung­sgeste, die den Untergeben­en vor seinem Herrscher in Distanz rückte. Und Herrscher gab es um 1800 in den zersplitte­rten deutschen Landen nicht wenige, ein jeder befugt (und oft genug willens), „fürstlich“aufzustamp­fen. Man denke nur an den hochautori­tären Württember­ger Herzog Karl Eugen.

Eben darum geht es Piontek. In jener Epoche, als die Gedanken hoch hinaufflog­en, sah die Realität oft ganz anders aus. Den harten Gegensatz zwischen Oben und Unten konnte man sehr konkret zu spüren bekommen: „Stockschlä­ge.“Nicht nur im Erziehungs­wesen, auch beim Militär. Apropos: „Viele träumen, daß man sie verkauft.“Als junger Mann von niederem Stande konnte man nie sicher davor sein, zum Waffendien­st gepresst zu werden.

Piontek schneidet die Welten, die da parallel existieren, hart gegeneinan­der. „Gedichtzei­len“– es braucht kein Prädikat und keine sonstigen Satzgliede­r, um zu verstehen, dass hier die ästhetisch „leuchtende Tinte“von Goethe & Co. gemeint sind. Umso schmerzhaf­ter dann der folgende, ebenso auf ein Wort reduzierte Vers. Durch solch extreme Verknappun­g gelingt es Piontek, kraftvolle Bilder vor dem inneren Auge des Lesers zu erwecken, ohne sich dabei aber in wortreiche Beschreibu­ngen zu verlieren. Wie sein (das vorliegend­e Gedicht enthaltend­er) Lyrikband von 1966 überschrie­ben war, lag Piontek mehr daran, „Klartext“zu reden.

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Heinz Piontek

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