Augsburger Allgemeine (Land West)
Niederländer besuchen jetzt Ehe-Kurse
Beziehung Weil die Scheidungsrate zum Teil bei 50 Prozent liegt, sollen Therapeuten helfen
Den Haag Vathorst liegt am äußersten Nordrand, wo die Stadt in die weite Landschaft übergeht. Es gibt viele Grünflächen, Kanäle und moderne Wohnungen. Der Stadtteil ist beliebt bei jungen Familien. Doch Vathorst, das zur Stadt Amersfoort gehört, ist auch das Viertel mit einer der höchsten Scheidungsraten in den Niederlanden.
Statistisch geht hier jede zweite Ehe innerhalb von fünf Jahren in die Brüche. Nun beschäftigt sich die Politik mit dem Problem: Der Stadtrat will junge Familien zu einem Ehe-Kurs verpflichten. Ron van der Spoel von der christlichen Partei „ChristenUnie“hat die Ehekurse vorgeschlagen und treibt die Idee voran. Ihm geht es dabei vor allem um die Kinder, die unter einer Scheidung leiden würden. Zudem seien Scheidungen ein hoher Kostenfaktor für die Gesellschaft – zum Beispiel, weil sich von Justiz über Kinderhilfswerke bis zu Arbeitsämtern viele staatliche Einrichtungen damit beschäftigen müssen.
35000 Ehen wurden laut Statistik-Amt CBS im vergangenen Jahr in den Niederlanden geschieden. Etwa 17 Millionen Menschen leben dort. In Deutschland, das mit fast 82 Millionen Einwohnern etwa fünfmal so groß ist, zählte das Statistische Bundesamt 2014 insgesamt 166200 Scheidungen. Hochgerechnet stehen die Deutschen also in etwa genauso oft vor dem Scheidungsrichter wie die Niederländer. 35 Prozent aller in einem Jahr geschlossenen Ehen werden dem Bundesamt zufolge hierzulande in den folgenden 35 Jahren geschieden.
Aber warum nun ist das beschauliche Vathorst in den Niederlanden ein Problemviertel, was die Beziehungsfähigkeit betrifft? In dem beschaulichen Wohngebiet würden viele Frauen zum ersten Mal schwanger, erklärt van der Spoel. „Das bedeutet schlaflose Nächte, weniger Privatsphäre – eine große Belastung für eine Beziehung.“CBS-Statistiker Jan Latten bestätigt diese These. Die Lösung: Paare, die ein Kind erwarten, sollen einen Beziehungskurs besuchen. Ein SchwangerschaftsvorbereitungsKurs ist bereits verpflichtend.
In Zukunft soll der Kurs verlängert werden und ein Beziehungstherapeut eingeschaltet werden. Im Sommer beginnt das Projekt zunächst in zwei Stadtteilen von Amersfoort. Die Partei „ChristenUnie“arbeitet aber bereits daran, die Paar-Workshops im ganzen Land einzuführen.
Statistiker Latten dagegen meint, ein solches Programm löse möglicherweise das Problem gar nicht und sei verfehlt. In Untersuchungen hätten junge Paare angegeben, sich auch deshalb zu trennen, weil sie das Interesse am anderen verloren oder unterschiedliche Zukunftspläne hätten. Bei solchen Paaren helfe wohl auch ein Präventiv-Programm nicht mehr.