Augsburger Allgemeine (Land West)
„Äußerst negativ“
Taktik-Diskussion Joachim Löw geht gegen seinen Kritiker Mehmet Scholl vor. Im Ton ruhig, in der Sache sehr scharf
Evian-les-Bains Joachim Löw würde den Spieler Mehmet Scholl gut leiden können. Scholl war ein kreativer Aktivposten, dazu noch torgefährlich. Solche Spielertypen mag der Bundestrainer.
Mit dem TV-Experten Mehmet Scholl kann Löw hingegen recht wenig anfangen. Nach dem deutschen Sieg gegen Italien im Halbfinale trotzte Scholl ins Mikrofon, dass die taktischen Umstellungen Löws so gar nicht seinen Vorstellungen entsprochen haben.
Außerdem mokierte er sich über Chef-Scout Urs Siegenthaler, dem er die Hauptschuld für die, seiner Meinung nach unsinnige Abkehr von der Viererkette gab. „Er möge bitte morgens liegen bleiben“, riet Scholl Siegenthaler, statt mit seinen Tipps das Trainerteam und die Mannschaft durcheinanderzubringen.
Nun hat Löw auf die Kritik des ehemaligen Mittelfeldspielers reagiert. Ruhig im Ton, aber äußerst scharf in der Sache. Selbstverständlich könne man unterschiedlicher Meinung sein, was taktische Maßnahmen betreffe. „Das ist jedermanns Recht“, so Löw.
Gänzlich anderer Meinung war er aber, was die Aussagen Scholls zu Siegenthaler betreffen: „Ich finde es äußerst negativ, wenn man wertvolle Mitarbeiter aus meinem Stab persönlich angreift. Das finde ich nicht in Ordnung, weil Außenstehende die internen Abläufe nicht beurteilen können. Da sollte sich der ein oder andere sicher Gedanken machen.“
Ganz nebenbei verpasste er Scholl dann auch noch eine kleine Nachhilfestunde, das moderne Coaching betreffend. Mit einer Viererkette hätte man den Italienern in die Karten gespielt, so der Bundestrainer. Natürlich sei die Umstellung „ein wenig zulasten unserer Offensivpower“gegangen.
Allerdings habe er das auch deswegen in Kauf genommen, weil es den Italienern relativ egal sei, mit wie vielen Offensivspielern der Gegner auftritt. Nicht auf den Gegner zu reagieren, bezeichnet Löw als „fahrlässig, naiv und unprofessionell“. Womit dann auch ziemlich deutlich beschrieben ist, wie hoch Löw Scholls Eignung als Trainer einschätzt.
Als Coach einer Mannschaft komme es immer auch darauf an, Stärken und Schwächen des Gegners zu ermitteln und Taktiken auszuarbeiten, wie das Team am besten damit umgeht. Gegen Italien seien eben unter anderem „Intelligenz und Geduld“gefragt gewesen. Auch das darf Scholl persönlich nehmen.
Dazu hat sich nun noch der gescholtene Siegenthaler zu Wort gemeldet. Der Bild-Zeitung erzählte er, Scholl nicht persönlich zu kennen. Aber selbstverständlich stehe es jedem frei, sich zu äußern. Eine kleine Spitze hatte auch er für den TV-Experten parat: „Vor 1000 Jahren haben die Menschen die Erde auch nicht als Kugel gesehen.“
Was er damit wohl sagen will: Auch der Fußball verändert sich mit der Zeit. Während das deutsche Team im Hier und Jetzt lebt, sieht er Scholl wohl eher in der Steinzeit.