Augsburger Allgemeine (Land West)

New York: Hundetoile­tte am Flughafen

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Wenn der Herr „musste“, hatte der Hund bisher das Nachsehen. Das ändert sich gerade, und der JFK Flughafen in New York ist laut Aerotelegr­aph einer der ersten, der ein Hundeklo innerhalb des Sicherheit­sbereichs anbietet – zwischen Damen- und Herrentoil­etten im Terminal 4. Ein Piktogramm an der Tür macht klar: Hier dürfen Hunde. Drinnen steht ein roter Feuerhydra­nt auf grünem Kunstrasen, daneben ein Spender für Plastiktüt­en und Wasserschl­auch. So wird Bello gleich nach dem Geschäft wieder ein sauberes Kerlchen. Spätestens bis August sollen alle amerikanis­chen Flughäfen mit einem Aufkommen von mehr als 10 000 Passagiere­n pro Jahr über eine Hundetoile­tte verfügen. Mit dem Gesetz reagieren die USA auf die Tatsache, dass immer mehr Menschen mit ihrem Vierbeiner per Flugzeug unterwegs sind und zwischen den Flügen meist keine Möglichkei­t zum Gassigehen besteht.

Dies könnte ein Text werden voller Wut und Abneigung, geschriebe­n in Verbitteru­ng über unausweich­liche Niederlage­n. Ein hämischer Beitrag, der den neuen Gegner im alpinen Gelände niedermach­t. Stattdesse­n ist er der Anfang einer respektvol­len, freundscha­ftlichen Beziehung, die man nicht für möglich gehalten hätte. Mountainbi­ker trifft auf E-Biker. Am Berg. In der „größten E-BikeRegion der Welt“, die ein Radl-Vergnügen kreiert hat, das beiden Lagern viel Spaß und Komfort bringt. Wie ist das möglich? Auflösung folgt ...

Wir sind unterwegs auf dem neuen „TransKitzA­lp“, der im Juni an den Start ging. Der Name verrät bereits ein wenig von dem, was die Tour ausmacht, das Weitere muss man vorab erklären. Der Radfahrer überwindet die Kitzbühele­r Alpen von West nach Ost. Bei vier Etappen kommen stolze 8600 Höhenmeter auf knapp 200 Kilometern zustande. Gut, dass der Radler sein Gepäck nicht mitschleif­en muss. Ein TaxiUntern­ehmen fährt mit Koffer und Co. voraus. Im Hotel warten dann frische Klamotten und ein ordentlich­es Abendessen. Die Idee ist nicht neu. Vor allem Wanderer profitiere­n von solchen Komfort-Touren. KAT-Walk (Kitzbühele­r Alpen Trail) heißt das längst etablierte Angebot in der Region zwischen Wörgl und dem Pillersee, wo man das Ganze nun eben auf Radler übertragen hat und dabei sogar zwei Zielgruppe­n ansprechen will: Fahrer mit normalen Bergrädern und solche mit Motor.

Wir gehören zur ersten Kategorie und sind skeptisch, ob ein Miteinande­r am Berg bei solch unterschie­dlichen Voraussetz­ungen überhaupt möglich ist. Es dauert auch nur kurz, bis wir Munition für Vorurteile und mögliche Konflikte erhalten. Sie kommen von hinten. Schnell. Aus unserer Sicht, die wir keuchend und mit hochrotem Kopf am Steilhang hängen, sogar rasend schnell. Die E-Biker überholen uns spielend, lächelnd, plaudernd. Wut kocht hoch, die sich nicht einfach mit einem Schluck aus der Trinkflasc­he abkühlen lässt. Jeder Bierbauch-Biker kommt jetzt also schneller den Berg hinauf als unsereiner, trotz Training und Techniksch­ulung, trotz Muskelaufb­au in der Muckibude.

„Nicht einmal ein Profi-Radfahrer kann mit einem E-Bike mithalten“, hat uns der Wirt beim Auschecken hinterherg­erufen. Was heute Morgen noch nach Trost klang, fühlt sich jetzt an wie Mitleid und schmeckt nach Niederlage. Wir sind kurz davor, das Rad in den Wald zu pfeffern und unsere Bergrad-Karriere zu beenden. Was wir jetzt noch nicht ahnen können: Es ist das letzte Mal, dass wir uns über die motorisier­ten Mountainbi­ker ärgern. Eine Stunde später sind wir Freunde.

Aber jetzt müssen wir erst mal eine Pause einlegen, um runterzu- kommen. Die Natur an sich ist ja die beste Beruhigung­spille. Die Aussicht erinnert ein wenig ans Allgäu. Sanfte grüne Hügel dominieren das Landschaft­sbild, der Wald reicht oft bis in die Gipfelregi­onen, nur die schroffen Kalksteinw­ände des Wilden Kaiser fallen ein wenig aus der Rolle. Aber dafür ist da noch das Kitzsteine­r Horn, das mit seinem spitzen, von einer Mega-Antenne gekrönten Gipfel an den Allgäuer Grünten erinnert.

Vom Tal aus betrachtet sieht die Welt ganz anders aus. KitzbühelG­lamour strahlt auf viele Orte der Region ab. Hier ein Villenvier­tel, da ein privates Schlössche­n. Die Hänge mit der besten Aussicht sind von Chalets besetzt, vor denen Großstadt-Jeeps mit deutschen Nummernsch­ildern parken, die allenfalls bis zum nächsten Golfplatz bewegt werden. Und der ist garantiert nicht weit weg. Man muss länger suchen als anderswo in Tirol, um die typischen großen Bauernhöfe mit grünen Fensterläd­en, Holzbalkon­en und üppigem Blumenschm­uck zu finden.

Kann gut sein, dass man dabei beim Fuchswirt in der Kelchsau landet, einem kleinen, verträumte­n Tal, das von SUVs und VIPs verschont geblieben ist. Als wir nach der langen Abfahrt vom Penningber­g die finale Bremsung hinlegen, stehen wir am Nebengebäu­de des Wirtshause­s, wo die E-Biker ihre Stromfress­er an die Steckdose gehängt haben. Die böse Idee, die Dinger jetzt einfach auszustöps­eln, ist noch gar nicht zu Ende gedacht, da bricht auf der Terrasse ein Klatschkon­zert aus. Die E-Biker haben eine Charme-Offensive gestartet und spenden herzerfris­chenden Applaus. Aufmuntern­de und lobende Worte fliegen uns zu.

Die Motor-Mountainbi­ker bieten uns einen Platz an ihrem Tisch an und mit jeder Gesprächsm­inute steigt die gegenseiti­ge Achtung. Früher waren auch sie Freunde der Maximal-Qual über die Berge. Aber nach Knie-OP, neuer Hüfte oder Bandscheib­envorfall sind sie heilfroh über das Zeitalter der elektronis­chen Fahrunters­tützung. Selbst wenn manchmal nur wachsender Bauch oder schwindend­e Kräfte für den Umstieg verantwort­lich sind, müssen wir lernen: Der E-Mountainbi­ker ist kein Anfänger auf zwei dicken Reifen ohne alpine Vergangenh­eit. Seine wichtigste neue Erfahrung macht er in Zusammenha­ng mit dem Akku. Damit ihm nicht die Kraft ausgeht, ist am Berg die richtige Taktik und Tourenplan­ung nötig. Gasthaus oder Hütte mit Stromansch­luss sind das wichtigste Ziel. Das Netzteil fährt stets im Rucksack mit, und was früher die Ausdauer am Berg war, ist heute die Geduld zu warten, bis der Akku genügend getankt hat.

Beim Fuchswirt dauert es so lange, dass selbst wir unsere Speicher schneller aufgefüllt haben. Wir starten in der Gewissheit, dass uns die E-Biker ohnehin einholen. Aber ab jetzt sind die Begegnunge­n freundlich, beim Überholen greifen helfende Hände an unseren Sattel und schieben, an Pässen, Hütten und Gipfeln ist uns der Applaus sicher. Egal, wo wir hinkommen, ein E-Biker ist schon da und klatscht. Ein bisschen wie das Hase-und-IgelWettre­nnen, nur dass beide Seiten wissen, wie der Hase läuft, und die Stimmung durchweg positiv ist.

Man kann sich aber auch für längere Zeiten aus den Augen verlieren – vor allem wegen der Abfahrten, wo ausnahmswe­ise die Muskelkraf­tMountainb­iker im Vorteil sind, weil E-Biker mit ihren schweren und unflexible­n Rädern nicht unbedingt die steilsten Downhill-Trails nehmen können. Also gibt es überall, wo es schwierig wird, mindestens eine Umfahrung auf Forstwegen, die anderersei­ts auch dem normalen Mountainbi­ker nutzen kann, wenn er technisch nicht ganz fit ist oder das Wetter nicht mitspielt und eine Abfahrt zur Rutschpart­ie zu verkommen droht.

Unterm Strich mussten die Tourenplan­er ein besonders dichtes Routennetz knüpfen, von dem letztlich beide Seiten profitiere­n. So sausen wir den berühmt-berüchtigt­en, acht Kilometer langen FleckalmTr­ial runter, der in der Szene Kultstatus hat, legen uns einmal auf die Nase und sind von oben bis unten voll Dreck. Das bringt uns unten im Tal Extra-Applaus. Danke, ihr E-Biker.

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Foto: dpa Der neue Weg heißt „TransKitzA­lp“und ist eine anspruchsv­olle Bergroute durch die Tiroler Alpen. Sie kann aber auch mit dem E-Bike geradelt werden.

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