Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Angst vor dem Elfer
Fußball Nach dem Elfmeter-Krimi der deutschen Mannschaft erinnern sich Fußballer aus der Region an ihre Erfahrungen. Ein Experte erklärt worauf es ankommt und gibt Tipps
Bordeaux/Aystetten Schweinsteiger legt den Ball auf den Elfmeterpunkt. 28 Millionen Deutsche halten den Atem an. Der Kapitän hat es in der Hand – beziehungsweise auf dem Fuß – die Nationalmannschaft ins Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft zu schießen. Er läuft an – und hämmert den Ball übers Tor. Das Aufstöhnen eines ganzen Landes scheint hörbar, denn der sogenannte Fußballgott hat es vermasselt. Wie das Viertelfinalspiel gegen Angstgegner Italien ausging, ist allgemein bekannt. Glücklicherweise erledigten nach Schweinsteigers Misserfolg Mats Hummels, Joshua Kimmich, Jerome Boateng und Jonas Hector ihren Job bravourös. Doch mit dem Elfmeterschießen kam wieder einmal die Diskussion auf: Alles Glückssache oder entscheidet der Kopf?
„Das ist vor allem eine Sache der Konzentration“, meint Volkan Cantürk. Der Gersthofer, Spielertrainer des jüngst aufgestiegenen Bezirksligisten SV Wörnitzstein-Berg, stand als junger Kicker in der A-Jugend beim FC Augsburg selbst bei einem sehr wichtigen Spiel am Elfmeterpunkt – dem DFB-Pokalfinale der U19. „Wenn man schon 120 Minuten in den Beinen hat, spielt der Kopf, aber auch viel Glück eine Rol- le. Denn wenn der Torhüter in die richtige Ecke springt, dann muss man schon sehr gut treffen, um zu verwandeln“, erläutert er. Als er auf den Punkt zuging, sei er voll fokussiert gewesen: „Man hört und sieht nix, ist voll im Tunnel. Aber das ist auch ein geiles Gefühl!“Das Elfmeterschießen entschied damals der FC Kaiserslautern für sich. „Dann fällt man kurzzeitig in ein Loch, aber man wird auch sofort von den Mitspielern getröstet.“Das Scheitern verkraften manche besser, manche schlechter, sagt Cantürk.
An einem einzigen Elfmeterschießen war Marco Löring bisher in seiner Karriere beteiligt. Doch zum Schuss kam der Ex-FCA-Profi, der im Moment den Bezirksligisten SV Cosmos Aystetten trainiert, nicht. „Ich wäre der fünfte Schütze gewesen. Doch vor mir hat der zweite Spieler des VfB Stuttgart verschossen, so dass wir gewonnen hatten und ich nicht mehr ran musste“, erinnert er sich an das Endspiel um die deutsche Meisterschaft der B-Junioren, das er im Jahr 1998 für Borussia Dortmund bestritt. „Ein Elfmeterschießen ist immer etwas besonderes. Hier anzutreten ist mit Sicherheit nicht einfach“, sagt Löring. „Der Weg zum Punkt ist lang und die 4,36 Meter des Tores werden immer schmäler. Wer da nicht weiche Knie bekommt, der hat gar kein Gewissen.“
Königlich amüsiert hat sich Marco Löring übrigens über die kuriosen Anläufe diverser Spieler. „Das was der Zaza gemacht hat, das sah schon lustig aus. Aber ein Italiener hat mir erzählt, dass er immer so schießt und zum 99 Prozent trifft.“Bei den Schüssen von Schweinsteiger, Müller und Özil sei ihm jedoch das Schmunzeln wieder vergangen. „Gestandene Profis haben nicht getroffen, die jungen Spieler hingegen schon. Da sieht man, dass Elfmeterschießen nichts mit Erfahrung zu tun hat.“
Ex-Fußballtrainer und Mentalcoach Stefan Ferber aus Donauwörth sieht einen entscheidenden Unterschied zwischen dem Elfmeterschießen auf regionaler und internationaler Ebene: „Im Weltfußball ist jeder Schütze gläsern. Die Torhüter kennen alle Schützen, haben sich alle schon per Videoanalyse angesehen.“Im regionalen Fußball sei das nicht der Fall. Doch auch wenn man sein Gegenüber nicht kennt, sollten sich weder Torwart noch Schütze beeinflussen lassen. „Grundsätzlich sollte man nicht experimentieren. Was im Training klappt, sollte man auch im Ernstfall machen. Auch Mats Hummels sagte nach dem Spiel am Samstag, obwohl einem 1000 Gedanken durch den Kopf schwirren, sollte man sich irgendwann auf eine Strategie festlegen und diese durchziehen.“Thomas Müller ging am Samstag offenbar durch den Kopf, dass er seine bekannte Taktik gegen Italiens Keeper-Legende Gianluigi Buffon anwenden würde, sich den Torwart „auszuschauen“. „Buffon wusste das und ist extralange stehen geblieben, damit der Stress auf Müller übergeht“, erklärt Mentaltrainer Ferber.
Dennoch stellt Ferber klar. „Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge ist es für einen Torwart nicht möglich einen Ball zu halten, auf dessen Flugbahn er reagiert hat. Die Reaktionszeit eines Menschen beträgt etwa 0,2 Sekunden. In dieser Zeit ist der Ball schon fast im Tor.“Buffon habe etwa auch nicht auf den siegbringenden Schuss von Jonas Hector reagieren können, auch wenn er in die richtige Richtung sprang. „Das wird dann als Glück bezeichnet“, erklärt Stefan Ferber.
Eine weitere Untersuchung besagt: 99 Prozent der Bälle, die in Richtung der oberen Torhälfte geschossen werden, gehen ins Netz. Natürlich müsse der Ball auch aufs Tor kommen und nicht wie bei Bastian Schweinsteiger darüber, betont Ferber. Mit so einem verschossenen Elfer umzugehen, sei nicht leicht, das gibt auch der Mentaltrainer zu. Wichtig sei in so einer Situation zu trauern, Körper und Geist Zeit zu geben mit der Niederlage umzugehen. „Dann ist es aber genauso wichtig wieder nach vorne zu blicken“, erklärt Ferber. Und vielleicht ist die Zeit der Trauer dann auch vier Torschützen später schon wieder vergessen, wenn der Teamkollege zum Siegtreffer verwandelt hat.