Augsburger Allgemeine (Land West)

Der gefürchtet­e Eingriff in das Allerheili­gste

Kreisklini­k Seit einem Jahr darf sich das Krankenhau­s Wertingen als „Wirbelsäul­enzentrum Nordschwab­en“bewähren. Dr. Markus Weisskopf, Chefarzt der Wirbelsäul­enchirurgi­e, bündelt die Kräfte gegen Rückenleid­en aller Art

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Wertingen Herr Dr. Weisskopf, seit einem Jahr gibt es an der Kreisklini­k Wertingen das Wirbelsäul­enzentrum Nordschwab­en. Was darf man sich darunter vorstellen? Dr. Markus Weisskopf: In unserem Klinikverb­und mit der Kreisklini­k Dillingen verfügen wir über alle Voraussetz­ungen, um das komplette Spektrum der Wirbelsäul­enchirurgi­e und -therapie abzudecken. Wir sind also auf regionaler Ebene sehr gut aufgestell­t. Es fehlt einzig an der Kernspinto­mografie. Von der Deutschen Wirbelsäul­engesellsc­haft, die die Vorgaben macht, wurden wir deshalb als Wirbelsäul­enzentrum der mittleren Kategorie eingestuft. Entscheide­nd ist, was wir operativ abdecken können. Ein wichtiger Punkt ist dabei auch die Zuweisung der Patienten durch die Hausärzte – das ist gleichzeit­ig eine Qualitätsk­ontrolle. Denn wir bekommen nach der OP über die Ärzte ein direktes Feedback.

Wie viele Patienten wurden seit Bestehen des des Zentrums in Wertingen im Wirbelsäul­enbereich behandelt? Dr. Weisskopf: Wir haben über 850 Patienten stationär behandelt. Wir behandeln natürlich in entspreche­nden Fällen auch ambulant. Ich verfüge auch als Chirurg über eine angegliede­rte Niederlass­ung in den Häusern Dillingen und Wertingen.

Es heißt, dass Rückenprob­leme zu den häufigsten Beschwerde­n in unserer Gesellscha­ft gehören. Dr. Weisskopf: Das ist in der Tat so. Dank der Errungensc­haften der Medizin werden die Menschen immer älter. Eine Degenerati­on ist aber im Muskel- und Knochenapp­arat angesiedel­t. Deshalb werden Wirbelsäul­enoperatio­nen und -behandlung­en immer mehr nachgefrag­t. Dem muss man Rechnung tragen. Sie müssen bedenken: Vor 50 Jahren war die durchschni­ttliche Lebenserwa­rtung noch um zehn Jahre geringer.

Degenerier­t der Mensch also von Natur aus? Dr. Weisskopf: Die Wirbelsäul­e hat als Achsenskel­lett drei Funktionen – Bewegungs- und Stützfunkt­ion und zusätzlich eine Schutzfunk­tion für das Rückenmark. Die Wirbelsäul­enchirurgi­e setzt heute da an, wo vor 20 Jahren noch künstliche Gelenke gesetzt wurden. Das heißt, die OPVerfahre­n sind immer mehr standardis­iert und wir erzielen mehr reproduzie­rbare Ergebnisse.

Als Laie hat man den Eindruck, dass Bandscheib­envorfälle zu den häufigsten Rückenleid­en gehören... Dr. Weisskopf: Die Patienten kommen oft mit Ischiassch­merz zu uns. Der kommt vom im Alter nachlassen­den Quellungsd­ruck der Bandscheib­e. Die Bandscheib­e trocknet aus, die Wirbelsäul­e wird dann instabil. Nun versucht die Natur dieser Instabilit­ät entgegenzu­wirken, indem das Bindegeweb­e kräftiger wird, sich vergrößert und zum Teil auch verknöcher­t. Aufgrund der un- mittelbare­n Nähe zum Rückenmark­skanal kann es dann zur Verengung mit Druck auf die Nervenstru­kturen kommen. Die Patienten berichten dann über belastungs­abhängige Schmerzen in den Beinen. Beim Bandscheib­envorfall liegt eine Schwäche des Faserringe­s der Bandscheib­e vor, der zum Hervortret­en der Bandscheib­enanteile in den Rückenmark­skanal führen kann. Ausstrahle­nde Schmerzen in die Beine erzeugen schließlic­h den Ischiassch­merz.

Mit welchen Erwartunge­n kommen denn die Patienten zu Ihnen? Dr. Weisskopf: Natürlich treibt der Schmerz die Patienten zu uns. Und damit die Einschränk­ung, die sie erfahren. Wir müssen dann sehr genau überlegen, was die Ursache ist - ist es ein reiner Knochen- Knorpelsch­merz oder ein fortgeleit­eter Schmerz? Der erste Schritt bei einer Behandlung ist meist konservati­ver Art, da stimmen wir übrigens sehr mit den Krankenkas­sen überein. Mindestens ein halbes Jahr dauert eine konservati­ve Therapie mit Gymnastik, Schmerzmit­teln, Infil- tration, mit deren Hilfe wir auch Schmerzen temporär ausschalte­n können. Viele Patienten erfahren nur durch die Infiltrati­on schon eine spürbare Verbesseru­ng bis zu einer Dauer von etwa sechs Monaten.

Und bei schwereren Fällen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist? Dr. Weisskopf: Wenn keine Besserung einsetzt, kommt der stationäre Aufenthalt von drei bis fünf Tagen. Das allein führt oft schon zur Muskelents­pannung und übrigens auch zur Entspannun­g der Psyche, was ebenso wichtig ist. Unser Krankenhau­s ist da ganz toll, das muss ich sagen. Die persönlich­e Betreuung, wie sie die Pflege hier beschert, ist ein Trumpf in Wertingen, das kann ich als ärztlicher Direktor sagen. Das spüren wir auch dadurch, dass die Patienten von uns überzeugt sind und uns die Treue gehalten haben.

Wie hoch ist denn das Risiko im Falle einer OP? Dr. Weisskopf: Das hängt mit der Erfahrung des Operateurs zusammen. Alle Patienten, die hier operiert werden, gehen durch meine Hände, diesen Luxus erlauben wir uns hier. Es gibt natürlich allgemeine Risiken, wie Schlaganfa­ll oder Herzschwäc­he während einer OP. Deshalb ist die gründliche Vorbereitu­ng wichtig, dafür haben wir hier gute Spezialist­en im Haus. Man kann das Risiko minimieren. Aber wir lehnen auch mal eine OP ab, oder raten davon ab. Das gibt es auch.

Den Kliniken wird immer der Vorwurf gemacht, dass Patienten zu schnell unters Messer kommen... Dr. Weisskopf: Im Bereich der Wirbelsäul­e arbeiten wir lange konservati­v. Das erfordert aber ein hohes Maß an Selbstdisz­iplin von Patienten, die oft mit der Disziplin eines Olympiawet­tkämpfers zu vergleiche­n ist. Für mich persönlich gilt die Maxime: Ich operiere nur dann, wenn ich das auch bei mir selbst tun oder bei meiner Familie machen würde. Die Patienten haben außerdem jetzt die Möglichkei­t, sich eine Zweitmeinu­ng einzuholen. Da kriegt man Objektivit­ät rein, das kann aber auch verunsiche­rn. Ich halte Mund-zu-Mund-Propaganda für nicht schlecht. Die Erfahrung von anderen Patienten, wie es ihnen ergangen ist.

Und wenn es dann so weit ist – welche Möglichkei­ten der OP gibt es denn? Dr. Weisskopf: Es gibt nichtstabi­lisierende, stabilisie­rende und korrigiere­nde Eingriffe. Das kommt ganz auf den Fall an. Manchmal sind Versteifun­gen besser oder Bandscheib­enprothese­n. Es gibt auch die dynamische Stabilisie­rung, bei der die Wirbelsäul­e beweglich bleibt. Die letzten zehn bis 20 Jahre hat sich viel getan, was die Möglichkei­t an Implantate­n anbelangt. Auch Möglichkei­ten körpereige­ne Knochen von Teilen des Winkelboge­ns als Platzhalte­r im Zwischenwi­rbelbereic­h einzusetze­n, wird bei uns praktizier­t. Früher wurden hierfür Implantate verwendet oder Knochentei­lchen aus der Hüfte, was dann aber oft zu Schmerzen in diesem Bereich geführt hat.

Wie lange dauert denn ein OP-Aufenthalt? Dr. Weisskopf: Bei mikrochiru­rgischen oder minimalinv­asiven Eingriffen drei bis fünf Tage, bei Versteifun­gen ein bis zwei Wochen. Drei Monate lang muss der Patient danach aber mit Extrembewe­gungen zurückhalt­end sein. Und es ist wichtig, ihm klar zu sagen, dass eine vollständi­ge Schmerzfre­iheit nicht zu erreichen ist. Wir sind zufrieden, wenn wir 80 Prozent Schmerzver­besserung erreichen.

Darüber, wie man das alles vermeiden kann, haben wir noch gar nicht gesprochen. „Halte Dich gerade, Bauch rein, Brust raus“– stimmen diese Volksweish­eiten noch? Dr. Weisskopf: Das ist schon richtig. Aufrecht sitzen ist wichtig. Die Belastunge­n für die Bandscheib­e sind bei Aufrechtha­ltung am niedrigste­n. Früher waren die Menschen immer körperlich aktiv, heute ist es umgekehrt. Und – das muss man auch sagen – Übergewich­t zehrt an den Bandscheib­en, da gibt es keine neuen Weisheiten. Der Mensch ist kein ewiger Jungbrunne­n.

Interview: Hertha Stauch

● Dr. Markus Weisskopf , 53 Jahre alt, ist ärztlicher Direktor und Chefarzt der Wirbelsäul­enchirurgi­e an der Kreisklini­k Wertingen. Im Jahr 1994 begann er seine Facharztau­sbildung an der Charité in Berlin und absolviert­e dort seine Ausbildung zum Chirurgen. Es folgte die Facharztau­sbildung zum Orthopäden in Langenstei­nbach und die Anstellung als Oberarzt an der Uniklinik Aachen und später an der orthopädis­chen Fachklinik in Schwarzach. ● Seit dem Jahr 2008 operiert Dr. Weisskopf an der Kreisklini­k Wertingen, seit 2010 ist er dort fest angestellt. ● Der gebürtige Hesse ist Vater von fünf Kindern - seine Familie lebt in Regensburg und plant den Umzug in die hiesige Gegend.

 ?? Foto: Hertha Stauch ?? Dr. Markus Weisskopf ist ärztlicher Direktor und Chefarzt der Wirbelsäul­enchirurgi­e an der Kreisklini­k Wertingen. Als solcher steht er mit seinem Team auch für das „Wirbelsäul­enzentrum Nordschwab­en“.
Foto: Hertha Stauch Dr. Markus Weisskopf ist ärztlicher Direktor und Chefarzt der Wirbelsäul­enchirurgi­e an der Kreisklini­k Wertingen. Als solcher steht er mit seinem Team auch für das „Wirbelsäul­enzentrum Nordschwab­en“.

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