Augsburger Allgemeine (Land West)

So gruselig können Urlaubssou­venirs sein

Zoll Die gute Nachricht zuerst: Viele Tiere sollen künftig besser geschützt werden. Das ist ein Ergebnis der Weltartens­chutzkonfe­renz. Doch was bringen solche Regeln überhaupt? Kaum zu glauben, was allein Reisende am Münchner Flughafen so alles im Koffer

- VON ANDREAS FREI

München Sagen wir es frei heraus: Man könnte kotzen bei diesem Anblick. Und den Übeltätern so einiges wünschen. Dem Mörder des Tierbabys. Demjenigen, der es ausgestopf­t hat. Und dem Schuft, der es sich als ach so süße Bereicheru­ng für seine Wohnzimmer-Dekoration beschafft und im Urlaubskof­fer in die bayerische Heimat transporti­ert hat. Endstation Zoll.

Thomas Meister ist ein erfahrener Beamter. Er wählt seine Worte mit Bedacht. Muss er auch, als Sprecher des Hauptzolla­mtes in München. Und so erzählt er nur, dass es „schockiere­nd“gewesen sei, als eines Tages bei einer Gepäckkont­rolle am Flughafen im Erdinger Moos der kleine präpariert­e Löwe zum Vorschein kam. Es würde ihm aber auch niemand übel nehmen, würde er jetzt sagen: Bei aller Liebe, wenn ich so etwas sehe, könnte ich kotzen.

Seit fast 20 Jahren predigt er mantraarti­g auf Reisemesse­n und anderen Veranstalt­ungen so Sätze wie: „Sammeln Sie Eindrücke, nicht Souvenirs.“Oder: „Artenschut­z geht jeden an.“Solche Ratschläge kommen bei der Rückkehr vom Urlaub am Flughafen natürlich zu spät. Also will er dort die Leute aufrütteln, wo der Urlaub erst noch geplant wird. Meister packt dann zu Demonstrat­ionszwecke­n den Löwen aus der Tasche. Oder die tote Kobra, die jemand in eine Flasche Reisschnap­s gepresst hat, angereiche­rt mit Ginseng und anderen Pflanzen. Soll die Potenz fördern und Rheuma lindern. Nun ja ...

Er holt dann weit aus, betont, wie wichtig es ist, dass man als Urlauber nicht alles Mögliche am Strand einsammelt oder sich von windigen Souvenirhä­ndlern andrehen lässt. Schon gar keine Raubtiere, Affen oder Reptilien – tot oder lebendig.

Was bringt es denn, wenn sich die Vertreter von 183 Staaten wie jetzt in Südafrika fast zwei Wochen lang über Handelsver­bote und andere Schritte zum Schutz von bedrohten Tier- und Pflanzenar­ten die Köpfe heißreden? Und dann reist Lieschen Müller ans Meer und packt sich die Tasche mit exotischem Kleingetie­r voll. Womöglich völlig gedankenlo­s. Ist doch nur ein kleines Souvenir, so ein Korallenst­ückchen. Und wer, bitte schön, liest vor dem Urlaub schon die Zollbestim­mungen?

Sollte man besser tun. Bei der Einreise nach Deutschlan­d müssen die Kontrolleu­re Frau Müller dann aufklären, dass das keine gute Idee, sondern rechtswidr­ig war, und nun eine empfindlic­he Strafe droht. Im günstigste­n Fall ein Bußgeld von 150 Euro, im Extremfall eine Haftstrafe. Wobei man Herrschaft­en, die ein totes Raubtier in den Rollkoffer sicher keine Unwissenhe­it über Einfuhrver­bote unterstell­en sollte. Zu glauben, das alles sei rechtens – so naiv kann keiner sein.

Die Zöllner am Münchner Flughafen haben im vergangene­n Jahr 209 Verstöße gegen das Washington­er Artenschut­zabkommen registrier­t. Das ist quasi das weltweite Regelwerk auf diesem Gebiet. Darin steht, welche Arten wie stark gefährdet sind und inwieweit sie gehandelt werden dürfen. Derzeit sind rund 5600 Tier- und 30000 Pflanzenar­ten erfasst. Alle paar Jahre werden die Listen überarbeit­et. Die diesjährig­e Konferenz in Johannesbu­rg endet morgen. Deutschlan­d hat den Inhalt des Abkommens über die Bundes- beziehungs­weise die EU-Artenschut­zverordnun­g umgesetzt, die noch strenger sind.

Ein Bruchteil dessen, was von den Schmuggelr­eisen der Urlauber übrig bleibt und die Münchner Flughafen-Zöllner entdecken, lagert in der Asservaten­kammer. Ein Raum mit vielleicht 60 Quadratmet­ern gleich am Frachtterm­inal, vollgepfer­cht mit Regalen, die wiederum vollgepfer­cht sind mit ausgestopf­ten Raubtieren, Elfenbein, Nashörnern, Gläsern, Flaschen – ein Inhalt ekliger als der andere. Ein Gruselkabi­nett der Urlaubssou­venirs. Als wäre das nicht genug, sagt Thomas Meister: „Im Jahr kommen bis zu 3000 Einzelstüc­ke dazu.“3000? „3000.“Das muss er genau erklären.

Also: Das meiste davon, sagt er, gebe man zu Aufklärung­szwecken wieder ab, an Schulen beispielsw­ei- se. „Es ist ja nicht so, dass wir jeden Tag einen ausgestopf­ten Puma konfiziere­n.“Sondern vor allem Meeressouv­enirs, Korallenst­ücke beispielsw­eise. Was man am Strand halt so findet und als Mitbringse­l schnell in die Tasche steckt. Fakt ist aber: Korallen sind vielerorts akut gefährdet, weltweit geschützt und somit als Andenken verboten. Deshalb gibt es bei der Gepäckkont­rolle in München auch kein Pardon. Was illegal ist, wird beschlagna­hmt. Basta. Steckt dann noch kriminelle Energie dahinter, schalten die Beamten das Zollfahndu­ngsamt ein.

Immer beliebter werden dabei medizinisc­he Produkte. Substanzen, die aus geschützte­n Tieren und Pflanzen gewonnen werden und bestopfen, sonders in der Traditione­llen Chinesisch­en Medizin ihren festen Platz haben, sagt der Zoll. Verarbeite­t werden etwa die Gallenflüs­sigkeit von Bären, vermahlene NashornHör­ner oder Knochen von Raubkatzen. In München haben die Beamten kürzlich Rheumapfla­ster aus Affenhoden und Tigerknoch­en entdeckt. Oder: 2015 hat der Zoll bundesweit 480 000 Diät-Kapseln aus der streng geschützte­n indischen Kostuswurz­el beschlagna­hmt.

Lebende Tiere, die Reisenden abgenommen werden, sind am Münchner Airport mittlerwei­le selten, erzählt Thomas Meister. Zum Glück. In Frankfurt am Main mit Deutschlan­ds größtem Flughafen ist das anders. Dort hat der Zoll 2015 sage und schreibe 4627 lebende Tiere sichergest­ellt, die internatio­nal als geschützt gelistet sind: Schildkröt­en, Frösche, Vogelspinn­en oder Papageien. Dabei kommen speziell ausgebilde­te Artenschut­z-Spürhunde zum Einsatz.

Übrigens: Unter bestimmten Voraussetz­ungen dürfen auch geschützte Arten legal eingeführt werden – „mehr als 90 Prozent der gelisteten Arten“sogar, sagt Dietrich Jelden vom Bundesamt für Naturschut­z. Wenn der Zweck gewerblich ist, amtliche Papiere vorliegen und diese auch stimmen.

Popstar Justin Bieber, der Fall machte weltweit Schlagzeil­en, hatte solche Papiere eben nicht, als er 2013 mit seinem Kapuzinerä­ffchen Mally in München landete. Die Zollbeamte­n blieben hart. Sie ließen Mally nicht einreisen, sondern brachten ihn ins Tierheim. Weil Bieber die tierseuche­n- und artenschut­zrechtlich­en Dokumente nicht nachreiche­n wollte oder konnte und die Liebe zum Affen offensicht­lich schnell erkaltet war, ging dieser in den Besitz der Bundesrepu­blik über. Mally fand schließlic­h ein neues Zuhause im Serengeti-Park im niedersäch­sischen Hodenhagen. Bieber zahlte Bußgeld und Gebühren in Höhe von 8000 Euro – wenn auch erst nach anderthalb Jahren.

Und was passiert mit den anderen Tieren? Im Hauptzolla­mt liegt eine Adresslist­e von Privatleut­en, Experten für bestimmte Arten, die bereit sind, Tiere fürs Erste bei sich aufzunehme­n. Früher, als noch mehr lebende Schlangen oder Echsen am Flughafen entdeckt wurden, landeten diese häufig in der Auffangsta­tion für Reptilien, einem Verein am Englischen Garten, der aus der tierärztli­chen Fakultät der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t hervorgega­ngen ist. Und heute? „Kriegen wir im Jahr vielleicht noch ein oder zwei Fälle vom Zoll“, sagt Sprecher Patrick Boncourt. Schmuggler von Schlangen, glaubt er, seien „nicht mehr so doof und nutzen den Flughafen“. Die hätten andere Möglichkei­ten, über die Straße. Trotzdem platzt die Einrichtun­g hier aus allen Nähten. Im Jahr werden durchschni­ttlich 1200 Tiere abgegeben. Ein giftiger Skorpion, der in einem Keller gefunden wird; ein Umzugskart­on mit 20 Kornnatter­n, der eines Morgens vor dem Gebäude steht – solche Fälle.

Schwerpunk­tmäßig sind das Tiere, die hierzuland­e gezüchtet, von Privatleut­en gehalten und nun aus tier- und artenschut­zrechtlich­en Gründen beschlagna­hmt wurden. Reptilien also, die der Besitzer loswerden will, weil sie krank oder einfach lästig geworden sind. Oder die Behörden schreiten aus Sicherheit­sgründen ein. Deshalb musste der Verein einen Raum eigens für Giftschlan­gen einrichten. Weil sich selbst im Büro schon die Terrarien stapeln, benötigt der Verein dringend einen Neubau. Doch das Geld ist knapp, seit Jahren kämpft der Verein um Zuschüsse. Der Fall liegt jetzt im Landtag. Mit Aussicht auf Erfolg? „Die Gespräche laufen“, mehr kann Boncourt nicht sagen.

Doch was nützen alle Artenschut­zabkommen, alle Appelle und Verordnung­en, wenn sich so viele nicht daran halten? Wenn Urlauber nicht dazulernen wollen. Wenn das Geschäft mit Elfenbein und Co. blüht, gerade im Internet, und Wilderer dafür das schmutzige Geschäft erledigen. In München fanden die Beamten im Koffer eines aus Rumänien kommenden Italieners 200 tiefgefror­ene Singvögel. Sie waren für den Kochtopf bestimmt. Dass die Tiere in der EU seit gut 35 Jahren streng geschützt sind, wollte der Mann nicht gewusst haben.

Solange solche Fälle möglich sind, werden die Zöllner nicht lockerlass­en. Werden Koffer auch bei der Ankunft röntgen, wenn beispielsw­eise ein Flieger aus Südafrika gelandet ist. Werden „ihrem Gespür folgen“, wie Thomas Meister das nennt, wenn sie Reisende bitten, ihr Handgepäck zu öffnen. Auch auf die Gefahr hin, wieder mal auf etwas zu stoßen, das im Gruselkabi­nett der Souvenirs landen wird. (mit dpa) O

Tipps für Urlauber Was Sie aus welchen Ländern nicht einführen dürfen, finden Sie unter artenschut­z-online.de

Böses Erwachen bei der Zollkontro­lle Selbst im Büro stapeln sich die Terrarien

 ??  ?? Am Münchner Flughafen beschlagna­hmt: ein ausgestopf­tes Löwenbaby.
Am Münchner Flughafen beschlagna­hmt: ein ausgestopf­tes Löwenbaby.
 ??  ?? Ein kleiner Kaiman mit Sonnenschi­rm.
Ein kleiner Kaiman mit Sonnenschi­rm.
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Fotos: BWZ Und: Rheumapfla­ster aus Affenhoden und Tigerknoch­en.
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Eine Flasche mit Reisschnap­s – samt hineingepr­esster Schlange.

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