Augsburger Allgemeine (Land West)
Ungarn lassen Orbán alt aussehen
Referendum Weil nicht einmal jeder Zweite teilnimmt, zählt das Ergebnis der Volksabstimmung gegen EU-Flüchtlingsquoten nicht. Von denen, die zur Urne gehen, unterstützen allerdings 98 Prozent den Premier
Wien
Der rechtsnationale ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán präsentiert sich gegen alle Fakten als Sieger im Referendum über die Verteilung von Asylbewerbern in Europa. Das Ergebnis sei ein „überwältigender Erfolg“sagte er am Sonntagabend. Nun habe die Regierung die politische Vollmacht erhalten, das ungarische Volk vor der europäischen Zwangsquote zu schützen, erklärte sein Stellvertreter Zsolt Semjén.
Dabei ist Orbáns Versuch kläglich gescheitert, die Ungarn gegen die EU an die Urnen zu bringen. Das Referendum hat das nötige Quorum für die Beteiligung verpasst. Nicht die gesetzlich vorgeschriebenen 50 Prozent der wahlberechtigten Ungarn, sondern nur 43,3 Prozent stimmten darüber ab, ob „eine verpflichtende Ansiedlung von nicht ungarischen Bürgern“aufgrund von EU-Entscheidungen stattfinden dürfe. Besonders in Budapest war die Beteiligung niedrig, dort gaben zudem 11,8 Prozent der Wähler ungültige Stimmen ab, was durchaus als Zeichen des Protests gesehen werden kann. Denn ungültige Stimmen zählen wie nicht abgegebene Stimmen, senken also die Beteiligungsrate auf 40,4 Prozent.
Für sich verbuchen kann Orbán nur, dass fast alle Abstimmenden gegen die Flüchtlingsquote votierten. 98,3 Prozent also in seinem Sinne. Die 3,2 Millionen Wähler, die sich hinter Orbán stellten, entspre- chen ziemlich genau der Zahl jener Wähler, die 2014 entweder seine Partei Fidesz oder die rechtsextreme Partei Jobbik gewählt hatten. Das Wählerreservoir wurde demnach bestenfalls ausgeschöpft, aber nicht vergrößert.
Innenpolitisch hat Orbán sogar verloren; denn um die erstrebte Verfassungsänderung durchzusetzen, wird er die Stimmen der Jobbik-Partei benötigen. Sie wird letztendlich von dem fremdenfeindlichen Referendum profitieren. Der Jobbik-Vorsitzende Gábor Vona wertete das Ergebnis als persönliche Niederlage von Ministerpräsident Orbán und forderte ihn zum Rücktritt auf. Gleichzeitig verlangte er, den Schutz vor einer EU-Quotenregelung, den Orbán noch am Wahlabend angekündigt hatte, in die Verfassung aufzunehmen. Wie das genau aussehen soll, blieb offen. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU wird Ungarn wohl nicht aufs Spiel setzen, denn das träfe dann umgekehrt auch die Ungarn, die zu Hundertausenden im EU-Ausland arbeiten und mehr als drei Milliarden Euro nach Ungarn pro Jahr überweisen.
Bemerkenswert ist, dass die Mehrheit der Ungarn das Referendum nicht unterstützt hat. Angesichts der millionenschweren Werbekampagne, der weitgehenden Unterstützung durch die längst nicht mehr freien Medien und der durch interne Streitereien geschwächten sozialdemokratischen und linken Opposition ist das erstaunlich.
Viele Europapolitiker reagierten mit Erleichterung und Genugtuung auf das Scheitern der Volksabstimmung. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) schrieb auf Twitter, Ungarns Bürger seien Orbán nicht gefolgt. „Was wir jetzt brauchen, ist Dialog, um Lösungen zu bringen, nicht künstliche Spannungen.“
Auch der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn, der kürzlich Ungarns Austritt aus der EU vorgeschlagen hatte, lobte das Ergebnis, ebenso wie der italienische Premier Matteo Renzi.
Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz warb am Sonntag um Verständnis für Orbáns Position. Immerhin hätten mehr Menschen in Ungarn gegen die Flüchtlingsquoten aus Europa gestimmt als 2003 für den EU-Beitritt in einer Volksabstimmung.