Augsburger Allgemeine (Land West)

Elektrisie­rende Aussichten

Pariser Salon Das Auto der Zukunft ist verblüffen­d intelligen­t – und es hat keinen Verbrennun­gsmotor mehr. Höhere Reichweite­n sollen die „Stromer“für Kunden interessan­ter machen. Welche E-Modelle es schon gibt und was sie kosten

- VON TOBIAS SCHAUMANN

Paris

Das Auto der Zukunft? Darüber lässt sich leidenscha­ftlich philosophi­eren. Besser man bemüht ein praktische­s Beispiel. Und das geht so: Sie müssen zum Flughafen. Ihr Auto chauffiert Sie selbststän­dig dorthin. Es checkt Sie noch auf dem Weg ein und lässt Sie am richtigen Flugsteig aussteigen. Dann parkt sich der Wagen von alleine.

Aber er steht nicht nutzlos herum, sondern bietet sich einem anderen Fahrer an – für die Zeit, in der Sie auf Reisen sind. Der andere, eben gelandet, hat per Smartphone einen Mietwagen von privat gebucht. Also holt ihn Ihr Auto ebenfalls am richtigen Flugsteig ab. Der Mieter bezahlt natürlich für die Zeit der Nutzung.

Rechtzeiti­g vor Ihrer Landung kommt Ihr Auto zurück zum Flughafen. Die Batterien hat es inzwischen aufgeladen, unterwegs außerdem die frischen Hemden von der Reinigung abgeholt. Es wartet wieder am richtigen Ausgang. Sie entscheide­n auf der Rückfahrt, ob sie selber steuern möchten oder nicht.

Das Szenario lässt sich fast unendlich weiterspin­nen. ScienceFic­tion? Nein, eine Vision, die schneller Wirklichke­it werden könnte als viele denken. Meint jedenfalls Daimler-Chef Dieter Zetsche und hält auf dem Pariser Auto- salon (noch bis 16. Oktober) eine nach Ansicht von Branchenke­nnern wegweisend­e Rede zur Zukunft des Automobils. „Es ist an der Zeit, den Schalter umzulegen“, sagt der Manager, der mit Mercedes-Benz eben den 42. (!) Rekordmona­t in Serie feierte. Ausruhen kann er sich nicht auf diesem Erfolg: Vier große Herausford­erungen sehen die Autoherste­ller auf sich zukommen. „Und jeder dieser vier Faktoren ist geeignet, unsere Industrie auf den Kopf zu stellen“, sagt Zetsche.

Erstens geht es um Vernetzung. Nur wenn das Auto jederzeit online ist und mit seiner gesamten Umgebung und anderen Fahrzeugen kommunizie­rt, kann sich der Fahrer zurücknehm­en und sich wichtigere­n Dingen widmen als Lenken, Gas geben und Bremsen.

Was zu Faktor 2 führt, dem autonomen Fahren. Das geschieht heute schon in begrenztem Umfang; und man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustell­en, dass 2020 die meisten Strecken vom Auto alleine bewältigt werden können – soweit es die Sicherheit und die Gesetzgebu­ng zulassen.

Aus heutiger Sicht noch spannender ist Zetsches dritter Faktor: Tei- len statt besitzen, ein Grundsatz der Wirtschaft der Zukunft. 23 Stunden pro Tag parkt ein Auto im Schnitt. In dieser Zeit kann es genauso gut von einem anderen Fahrer benutzt werden – eine Art Airbnb für Autos. Airbnb ist eine mächtig groß gewordene private Zimmerverm­ittlung, mit der eine Menge Menschen Geld verdienen – zulasten der klassische­n Hotels.

Und die vierte, auf dem Pariser Salon offensicht­lichste Säule: Elektromob­ilität. Im Jahre 2016 beherrsche­n die Stromer erstmals eine ganze Autoschau. Fast alle Hersteller haben ihre alternativ angetriebe­nen Fahrzeuge ins Rampenlich­t gerückt. Sie sind in klinisch sauberen Farben – Weiß, Silber, Hellblau – gehalten und genügen sich selbst. Fast nichts mehr erinnert an das von Models flankierte PS-Schaulaufe­n vergangene­r Tage. Audi präsentier­t sich unter einer riesigen, blitzenden Lichtinsta­llation. Opel inszeniert seine Fahrzeuge vor der sattgrünen Kulisse eines Dschungels.

Der Star ist auch unter den E-Modellen wieder einer „vom Daimler“, wie der Besucheran­drang nahelegt: die Studie „Generation EQ“, ein Prototyp, der eine eigene Elektromar­ke aus Stuttgart begründen soll. In drei Jahren ist der Marktstart geplant. 2025 will der Konzern 15 bis 25 Prozent der Flotte elektrisie­rt haben – Betonung auf „will“. Die Daimler-Tochter Smart ist der erste Hersteller, der die gesamte Modellpale­tte auch batteriebe­trieben anbietet – zu Preisen ab knapp 22000 Euro. Der Winzling schafft 160 Kilometer mit einer Akkuladung; wer ihn zwischendu­rch für nur zwölf Minuten an die Strippe hängt, gewinnt 30 Kilometer.

Opels Stromer namens „Ampera-e“, der bereits 2017 erscheint, soll mit einer Ladung mehr als 500 Kilometer weit kommen – ein weiterer Besucherma­gnet auf der Messe, dessen Preis leider nicht genannt wurde. Auch die Fahrleistu­ng von BMWs i3 (ab 36150 Euro) wurde vergrößert, auf rund 300 Kilometer. Der bayerische Autokonzer­n plant außerdem, weitere Modelle mit Hybridund Elektromot­or auszustatt­en. München hat mit der „i“-Familie schon seit längerem eine eigene Elektromar­ke am Start.

Renault, europäisch­er Marktführe­r im Elektroseg­ment, schickt eine Neuauflage des Modells Zoe mit 400 Kilometern Reichweite ins Rennen. Das Auto ist zu Preisen ab 24 900 Euro ab sofort bestellbar. Nur etwas günstiger (ab 23400 Euro) ist der „Leaf“der Renault-Konzernsch­wester Nissan. Seinem Akku geht nach 250 Kilometern die Puste aus.

VW legt seinen elektrisch betriebene­n Golf neu auf – wenn auch zunächst nur mit 300 Kilometern Batterie-Power und für stolze 34900 Euro – ein Zwischensc­hritt. Vielverspr­echender ist ein weiteres für 2020 geplantes Kompakt-Modell namens „I.D.“. Es soll nicht nur bei der Reichweite, sondern selbst beim Preis einem Diesel-Golf entspreche­n, sagt VW-Markenchef Herbert Diess. Porsche geht in der Preisgesta­ltung sogar noch weiter: Der Panamera 4 E-Hybrid ist mit knapp 108000 Euro der „günstigste“Vertreter der Baureihe.

Obwohl der Verbrenner in Paris einen schweren Stand hat, sind nicht alle Hersteller von reinrassig­en E-Modellen überzeugt. Der französisc­he Hersteller PSA (Peugeot, Citroën) will sich alles offenhalte­n. Spezifisch­e Elektrodes­igns seien nicht geplant, sagte PSA-Entwicklun­gschef Gilles Le Borgne.

Dabei hatte ausgerechn­et die von Dauerstau und Abgasen geplagte französisc­he Hauptstadt am Sonntag vor der Messe abermals ein Experiment gewagt: 650 Kilometer Boulevards – auch die Champs-Élysées –, Straßen und Gassen waren Fußgängern und Radfahrern vorbehalte­n. Halb Paris ohne Autos – es soll, sagen Beobachter, gespenstis­ch schön gewesen sein.

2020 soll das Auto viele Strecken alleine fahren Nicht alle Hersteller sind von E-Modellen überzeugt

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Fotos: dpa Unter Strom: Daimler-Chef Dieter Zetsche, vor rund 40 Jahren Student der Elektrotec­hnik, mit der Mercedes-Studie „Generation EQ“, dem Star des Pariser Autosalons. Rechts oben ein Elektroaut­o, das schon 2017 auf den Markt kommen soll: Opels Ampera-e mit...
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