Augsburger Allgemeine (Land West)
Luigi Malerba – Die nackten Masken (4)
Wer als Renaissance-Kardinal ein laster- und lotterhaftes Leben in Rom gewöhnt war, dem konnte es nicht in den Kram passen, wenn ein neuer Papst gewählt wird, der aufräumen möchte mit allen Orgien . . . Luigi Malerba: Die nackten Masken © Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, 288 Seiten, 13,90 Euro
Ich werde mich bemühen, die Nachrichten, die Ihr von mir haben wollt, zu bekommen, aber seit man diese Frau beseitigt hat, die unten in der Küche beschäftigt war, habt Ihr meiner Ansicht nach in Eurem Haus nichts mehr zu befürchten.“
,,Das Wort ,beseitigt‘ gefällt mir nicht. Man hat diese bösartige Giftmischerin ins Gefängnis von Tor di Nona gebracht, und das scheint mir die Strafe, die sie verdient hat und für die ich mich verantwortlich fühle. Daß sie in ihrer Zelle erdrosselt wurde, gehört zu ihrem Schicksal, das vom Willen Gottes und nicht von meinem abhängt.“
,,Vielleicht sollten wir auch den Tod unseres Abbreviators dem Willen Gottes zuschreiben und unsere Sorgen vergessen. Wie denkt Ihr darüber, Eminenz?“
,,Oh nein, Gott hat unseren Geistlichen keineswegs vergiftet. Im übrigen war er schon so alt, daß er auch ohne das Gift bald in den Himmel gekommen wäre.“
,,Er war der Älteste Eures ganzen Hausstands, und das Gift hat seinen Tod nur beschleunigt.“
,,Möchtest du damit sagen, daß die Giftmörder weise gehandelt haben?“
,,Ich sagte nur, daß er sehr alt war.“
,,Aber ich bin noch nicht sehr alt. Also?“
Der Diakon war verwirrt und fand keine Worte.
,,Und du hast dich nicht gefragt, warum ich nach dem Ende dieser Frau noch immer in Gefahr bin? Wer mit Gift umzugehen weiß, der kann seine Feinde auch mit anderen Mitteln beseitigen, glaubst du nicht? Der Wille zu töten ist stärker als das Gift und der Dolch. Er findet hundert, ja tausend Wege. Unser Leben ist so gefährdet und so fragil.“
,,Ab morgen haben wir ein robustes Gittertor, das uns vor den Gefahren der Straße schützt.“
,,Das genügt mir nicht. Es gibt Räuber, die eiserne Gittertore nicht fürchten.“
,,Ich kann mir denken, auf wen Ihr anspielt, Eminenz, aber ich verstehe nicht, warum Ihr Euch so sehr vor einem Menschen fürchtet, der die gleiche Macht hat wie Ihr. Ihr habt beide den gleichen Rang, soviel ich weiß.“
Der Kardinal della Torre hatte ein festes Vertrauen in die Loyalität des Diakons Baldassare, dem er – trotz mancher jugendlicher Naivität und Achtlosigkeit – schon manches Mal vertrauliche Aufträge erteilt hatte.
,,In meiner Eigenschaft als Kardinal bin ich nicht in Gefahr, aber als Konkurrent für das Amt des Kardinalkämmerers – um dir den Wettkampf um die begehrten Ränge begreiflicher zu machen.“
,,Das hatte ich verstanden, Eminenz, aber ich glaubte nicht, daß Euer Leben deshalb in Gefahr sei.“,,Das ist es aber.“,,Die Wahrheit ist manchmal ganz und gar unwahrscheinlich. Sagt mir, was ich tun soll.“
,,Wie du siehst, habe ich keine Geheimnisse vor dir. Ich habe dich in analytischem Sinn über die Lage informiert und über meine Wünsche und die Gefahren, in die mich diese Wünsche bringen.
Jetzt möchte ich nur, daß du einen kurzen Urlaub nimmst“, sagte der Kardinal mit einem halben Lächeln,“in der Hoffnung, daß es dir gelingen möge, ihn gewinnbringend zu nutzen.“
Der Kardinal machte eine Gebärde, um seinem Vertrauten zu bedeuten, daß das Gespräch beendet sei. Der Diakon Baldassare küßte den Saphirring und entfernte sich mit leichtem Schritt.
Die Gifte und das Absolute
Vier Wochen nach dem Tod Leos X. war der alte Kardinal Accolti, Kardinalkämmerer der Hochwürdigen Apostolischen Kammer, an der Pest erkrankt – zum Entsetzen der vielen Kardinäle, die sich einbildeten, ihr Purpur würde sie vor Ansteckung schützen. Man sagte sogar, der arme Accolti sei ganz schwarz gewesen, wie rußgeschwärzt, und niemand sei hingegangen, um der Leiche die letzte Ehre zu erweisen. Er wurde ohne Trauerfeier beerdigt, mit einer hastigen Grabrede, vorgetragen von einem Dichterling der Akademie der Schlafmützen, den man aus Civitavecchia kommen ließ, weil sich in Rom niemand fand, der bereit gewesen wäre, über den an der schwarzen Pest Gestorbenen zu reden. Kaum hatte Kardinal Accolti seinen Geist aufgegeben, erhoben Kardinal Cosimo Rolando della Torre einerseits und Kardinal Valerio Ottoboni andererseits unverzüglich Anspruch auf die Nachfolge im Amt des Kardinalkämmerers – auch diesmal wieder in härtestem Wettstreit.
Das Amt des Kardinalkämmerers verlieh diesem das Recht, auf einem weißen Maultier reitend und mit einem wappengeschmückten roten Koffer ausgestattet an den feierlichen Umzügen teilzunehmen, goldund purpurgewirkte Tressen an seinem Seidenmantel zu tragen, und sich mit dem Titel eines ,,Tischgenossen des Papstes“zu schmücken. Die Präsenz des Kardinalkämmerers in den Büros der Apostolischen Kammer war erforderlich bei der Herausgabe der Päpstlichen Breven, die vom römischen Amtssitz abgingen, mit zwingender Wirkung und Pflicht zu unbedingtem Gehorsam, während die eher empfehlenden Breven in der Geheimen Kammer besprochen oder dem Ermessen des Papstes überlassen wurden. Die Präsenz des Kardinalkämmerers, sei es in der Apostolischen Kammer, sei es in der Geheimen Päpstlichen Kammer, verlieh diesem Amt nicht nur ein hohes Ansehen, sondern auch eine wirkungsvolle Möglichkeit, die Entscheidungen des Papstes zu beeinflussen.
Der Kardinalkämmerer war de facto und nominell das Haupt der Apostolischen Kammer und vereinigte in seiner Person die Kompetenzen der verschiedenen Rangordnungen dieses höchsten Organs der Macht: das Hauptschatzamt, die Allgemeine Buchhaltung, die verschiedenen Provinzschatzämter, die Ämter der geistlichen Kammerherren, die außer dem Büro des Abbreviators auch die Ernährungspräfektur und den Vorsitz in weiteren Ämtern umfaßten – denen der Lebensmittelversorgung, der Straßen- und Uferpflege, der Münze, der Gefängnisaufsicht, des Zolls, der Wasserversorgung, der Waffen und Archive – und schließlich das Meereskommissariat und die Präfektur der Engelsburg.
Der Vizekämmerer, der dem Kardinalkämmerer direkt unterstand, bekleidete außerdem das Amt des Gouverneurs von Rom, mit weitreichenden zivil- und strafrechtlichen Vollmachten, gemeinsam mit dem Richter der Kammer.
Nach dem Tod des alten Kardinalkämmerers, der sofort nach der Wahl des flämischen Papstes gestorben war, ohne noch an der Abstimmung teilzunehmen, munkelte man, daß eben diese schreckliche Nachricht, die ihn aus dem Konklave erreichte, ihm den letzten Stoß zum Flug in den Himmel gegeben habe, mit dem er sich endgültig von dieser unglücklichen Welt verabschiedet hatte.