Augsburger Allgemeine (Land West)

Mit Magie und Fantasie

Dermatolog­ie Viele Warzen verschwind­en, wenn man sie beschwört. Einen Versuch ist das wert

- VON ANETTE BRECHT-FISCHER

„Warze, Warze weiche/ reit´ auf einer Leiche / auf dem Fluss der Zeit davon.“Mit derlei Sprüchen soll man eine Warze vertreiben können? Aber es kommt noch besser: Bestreiche­n der Warze mit einer halben Zwiebel, die danach bei Mondlicht vergraben wird; eine Schnecke bei Vollmond über die Warze kriechen lassen, Löwenzahns­aft direkt aus dem Stängel um Mitternach­t auf die Warze tropfen – alles Methoden, mit denen man auch heutzutage noch hartnäckig­en Warzen zu Leibe rückt. Und das Überrasche­ndste dabei: In 70 bis 80 Prozent aller Fälle verschwind­en die Warzen tatsächlic­h! Dies muss sogar die Schulmediz­in zugeben, deren langfristi­ge Erfolgsquo­te auch nicht besser ist.

Die meisten Menschen schämen sich, wenn sie Warzen haben, und möchten sie so schnell wie möglich wieder loswerden. Es handelt sich um meist harmlose Hautwucher­ungen, die durch Viren verursacht werden. „Warzen werden durch über 100 verschiede­ne Typen des menschlich­en Papillomvi­rus hervorgeru­fen“, erklärt Johannes G. Liese, Infektions­spezialist der Universitä­ts-Kinderklin­ik Würzburg, in einer Stellungna­hme der Stiftung Kindergesu­ndheit. „Sie sind bei direktem Kontakt ansteckend, wie andere Viruskrank­heiten auch.“Die Viren gelangen durch winzige Hautverlet­zungen in den Körper, oft sind die Warzen an Fingern, Ellenbogen, Knie oder Fußsohlen zu finden.

Durch Kratzen an der Warze können die Viren auch auf andere Körperstel­len übertragen werden und dort ebenfalls Warzenwach­stum verursache­n. Wenn die Viren nicht von Mensch zu Mensch übertragen werden, kann man sich beim Barfußlauf­en in Schwimmbäd­ern, Umkleideka­binen oder Turnhallen anstecken. Die Erreger können aber auch zwei bis drei Tage auf einer Türklinke überdauern. Das Risiko einer Ansteckung ist höher, wenn andere Familienmi­tglieder oder Mitschüler in der Klasse Warzen haben. So finden sie sich zum Beispiel bei jedem zweiten Schulkind.

Der Zeitraum von der Ansteckung bis zur Ausprägung der Warze kann ganz unterschie­dlich lang sein: Manchmal dauert es nur einige Wochen, bis die Warze erscheint, in anderen Fällen können Jahre vergehen. Die Viren dringen in die Haut ein und regen dort das Zellwachst­um an, sodass es zu der sichtbaren Hautwucher­ung kommt. Ein dabei gebildetes Enzym benötigen die Viren, um sich selbst zu vermehren. Warzen treten oft in Gruppen auf.

Für die Wissenscha­ft sind die meist gutartigen, knötchenfö­rmigen Wucherunge­n der obersten Hautschich­t nach wie vor ein ungelöstes Rätsel. So verschwind­en viele Warzen nach einiger Zeit wieder von ganz allein. Andere trotzen allen ärztlichen Anstrengun­gen und bleiben hartnäckig an ihrem Platz. Wieder andere lassen sich vom Arzt entfernen, treten aber nach einigen Wochen oder Monaten erneut auf. Es besteht kein Zweifel, dass dies mit dem Immunsyste­m des Patienten zu tun hat.

Aus diesem Grund sind auch die Therapieme­thoden ganz unterschie­dlich. „Die Liste der bei Warzen eingesetzt­en Behandlung­en ist lang, die Therapieer­folge sind mäßig und das Risiko eines erneuten Warzenbefa­lls ist hoch“, muss Johannes G. Liese zugeben. Hinzu kommt, dass einige der Therapien schmerzhaf­t sind und andere viel Zeit in Anspruch nehmen – beides Aspekte, die gerade bei der Behandlung von Kindern bedacht werden wollen. Daher rät Liese auch erst einmal zum Abwarten.

Eine kürzlich veröffentl­ichte Studie von Kinderärzt­en in den USA hat erneut gezeigt, dass viele Kinder ihre Warzen auch ohne ärztliches Zutun wieder verlieren. Gerade bei Kindern hilft aber auch ein bisschen Magie. Das sogenannte Besprechen der Warze oder die Warzenbesc­hwörung sind nachweisli­ch wirksam, wie in einigen – allerdings kleinen – Studien beschriebe­n wurde. Dies trifft vor allem bei Kindern im Alter zwischen fünf und zehn Jahren zu, die suggestive­n Therapieme­thoden besonders zugänglich sind.

Derartige Methoden waren schon in der Volksmediz­in des frühen Mittelalte­rs bekannt, Krankheite­n galten damals als Folge von Verzauberu­ng oder als Strafe böser Geister. Dieser Bann musste mit Beschwörun­gsformeln gebrochen werden und in vielen Fällen gelang das auch. Heute ist die Suggestion immer noch ein bewährtes Mittel in der Psychother­apie. Sie sorgt dafür, dass auf dem Umweg über die Psyche die Abwehrkräf­te aktiviert werden, wodurch im Fall der Warzen die Viren bekämpft werden. Mit Scharlatan­erie hat das nichts zu tun, sondern mit dem Placebo-Effekt, dessen Wirkung in vielen Untersuchu­ngen gezeigt wurde. Suggestion und die Erwartung des Patienten spielen dabei zusammen, beides wirkt auf unbewusste Gehirnarea­le, die Botenstoff­e ans Immunsyste­m aussenden.

Je beeindruck­ender das Prozedere der suggestive­n Warzenbeha­ndlung ist, umso besser wirkt sie; Eltern oder Großeltern können als Warzenbesc­hwörer ihrer Fantasie freien Lauf lassen. Rituale, Sprüche und Effekthasc­herei helfen mitunter auch bei Erwachsene­n, wenn man den Berichten der Betroffene­n im Internet glauben will. Da jedoch viele Warzen spontan ohne irgendwelc­he Einflussna­hme wieder verschwind­en, lässt sich in Einzelfäll­en nie beweisen, was dahinterst­eckt.

Die Schulmediz­in behandelt Warzen etwa mit salicylsäu­rehaltigen Pflastern, die für einige Tage auf die Warze geklebt werden. Die Hornhautsc­hichten werden dadurch aufgeweich­t und lassen sich anschließe­nd vom Arzt abtragen. Auch bestimmte antivirale Substanzen können auf die Warze gestrichen werden. Weitere Behandlung­smöglichke­iten sind das Vereisen mit flüssigem Stickstoff oder einem anderen Kältemitte­l, das Verkochen mit Elektroins­trumenten oder das Verdampfen mit Laser.

Obwohl die Warze nach derlei Behandlung­en erst einmal verschwund­en ist, können die Viren im Körper bleiben und dann, wenn das Immunsyste­m gerade nicht so gut arbeitet, wieder erneut in Erscheinun­g treten. Da ist es vielleicht tatsächlic­h besser, es zuerst mit ein bisschen Hokuspokus zu versuchen, denn das tut nicht weh und ist nebenwirku­ngsfrei. Beispielsw­eise so: In einen lila Bindfaden so viele Knoten machen, wie Warzen da sind. Diese Schnur im Wald an einen Ast knoten (oder alternativ vergraben) und verrotten lassen. Danach sind auch die Warzen verschwund­en.

 ?? Foto: Roblan, Fotolia ?? Diese Hautveränd­erung kennt jeder: eine Warze.
Foto: Roblan, Fotolia Diese Hautveränd­erung kennt jeder: eine Warze.

Newspapers in German

Newspapers from Germany