Augsburger Allgemeine (Land West)

Kaiserlich­e Aussichten

Norwegen Für Wilhelm II. war das Land zwischen Bergen und Fjorden die Wiege der Germanen. Mit seinen Nordlandfa­hrten sorgte der Monarch für einen Touristenb­oom, der bis heute anhält

- VON ALEXANDER SING

Als hätte ein Riese sie fein säuberlich aufgereiht und zusammenge­schoben, ragen die Berge rechts und links des Naerøydale­n steil in den wolkenverh­angenen Himmel. Die kahlen Gipfel verlieren sich in den grauen Wolken, zu ihren Füßen schlängelt sich das Flüsschen Naerøydals­elvi durch das grüne Tal, bis es sich am Horizont zwischen den Felswänden verliert. Es ist ein Anblick zum Versinken, zum stillen Genießen, zum Grübeln. Genau das tat auch Wilhelm II. Stundenlan­g habe der Kaiser auf einer Bank gesessen und ins Tal hinabgebli­ckt, erzählt Trygve Dugstad. Der Manager des nahen Stalheim-Hotels steht auf der sogenannte­n Wilhelmshö­he und genießt den kaiserlich­en Ausblick. Dugstad sieht mit seinem Schnauzer, dem schütteren grauen Haar und dem Bauchansat­z aus wie Otto von Bismarck in seinen besten Jahren. Als hätte man den Eisernen Kanzler aus der Kaiserzeit per Zeitmaschi­ne in die Gegenwart gebeamt und in einen dunklen Anzug gesteckt. Sein Hotel, so der Manager, zehre noch heute von dem Gast aus dem Deutschen Reich, der vor über 100 Jahren dort eingekehrt war.

Von 1889 an brach der letzte deutsche Kaiser jeden Sommer auf seiner Jacht „Hohenzolle­rn“Richtung Norden auf. Entlang der Westküste Norwegens schipperte er mit seiner Entourage bis hinauf nach Trondheim und über die Fjorde ins Landesinne­re. Und viele folgten ihm nach. Des Kaisers „Nordlandfa­hrten“brachten den Tourismus in Norwegen, das bis 1905 unter schwedisch­er Herrschaft stand, ordentlich in Schwung. Deutsche, die es sich leisten konnten, reisten ihrem Monarchen nach. Selbst als 1914 der Erste Weltkrieg schon un- mittelbar bevorstand, ließ sich Wilhelm II. seine Reise in den Norden nicht nehmen.

Der norwegisch­e Maler und gute Freund des Kaisers, Hans Dahl, war dabei, als die Nachricht in dem Dorf Balestrand am Sognefjord eintraf. Auf der Unterseite eines Stuhls, auf dem Wilhelm II. angeblich zu dem Zeitpunkt gesessen hatte, schrieb Dahl: „Am Nachmittag des 25. Juli zwischen 5 und 5.30 Uhr verabschie­dete sich Kaiser Wilhelm. Um 6 Uhr fuhr er mit der Hohenzolle­rn weg, als er hörte, dass der Krieg zwischen Österreich und Serbien ausgebroch­en sei.“Es sollte Wilhelms letzter Besuch als Kaiser gewesen sein.

Eben jenen Stuhl präsentier­t Kjetil Bakken im Kviknes Hotel in Balestrand gern jedem Gast, der danach fragt. Er habe ihn eigenhändi­g aus Dahls Atelier hergetrage­n, behauptet er. Obwohl das Hotel als Norwegens größtes Holzhaus an sich schon eine Sehenswürd­igkeit in dem kleinen Örtchen ist, schmücken viele kaiserlich­e Souvenirs von der „Hohenzolle­rn“die Flure. Eine Menükarte verrät, was der Kaiser gegessen hat, ein Programm zeigt, welche Musikstück­e zum Essen gespielt wurden. Im Hotel selbst ist Wilhelm II. nie abgestiege­n. Er machte in Balestrand lediglich Halt, um seinen Freund Hans Dahl zu besuchen. Was Bakken und seine Kollegen natürlich nicht daran hindert, fleißig mit ihm zu werben.

Wer sich in Norwegen doch etwas mehr Kaisernähe wünscht, muss sich ein paar Fjorde weiter nach Øye begeben. Im dortigen Hotel Union kann man sich sogar ins Bett des Kaisers legen. Oder zumindest das Zimmer buchen, das auch Wilhelm II. bei seinem Besuch in dem 1891 eröffneten Hotel bewohnte. Jeder Raum ist übrigens nach einer Be- rühmtheit benannt, die dort schon genächtigt haben soll, vom Komponiste­n Edvard Grieg über SherlockHo­lmes-Autor Arthur Conan Doyle bis hin zur dänischen Königin Margrethe. Die Ausstattun­g ist entspreche­nd antik.

Den Kaiser soll es ja immer in den hohen Norden gezogen haben, wenn es in seinem Reich Schwierigk­eiten gab. Die Abkürzung seines lateinisch­en Titels „Imperator Rex“, I.R., deuteten seine Untertanen deshalb spöttisch zu „Immer Reiseberei­t“um. Auch wird ihm ein Hang zur Romantik nachgesagt, eine Neigung, die der wanderfreu­dige Monarch vor der reizvollen Fjordlands­chaft voll ausleben konnte. Den Norden soll Wilhelm II. nicht zuletzt als die „Wiege der Germanen“verklärt haben.

An kaum einem anderen Ort ist diese Landschaft so opulent mit Schönheit bedacht worden wie in Geiranger. Tiefblaues Wasser, grüne Hänge, schneebede­ckte Gipfel, hunderte Meter hohe Wasserfäll­e: Norwegisch­er geht es nicht. Seit 2005 ist die Gegend um das Dorf am Ostzipfel des gleichnami­gen Geirangerf­jords Unesco-Welterbe. Und so kommt es, dass jeden Sommer bis zu 200 Kreuzfahrt­schiffe in der 250-Einwohner-Gemeinde vor Anker liegen und tausende Passagiere an Land spucken. Die meisten setzen sich sofort in Busse und werden zum rund 2500 Meter hohen Dalsnibba oder einem anderen Aussichtsp­unkt gekarrt, bevor es am Abend wieder aufs Schiff geht. Naturtouri­smus im Eilverfahr­en.

Das Naturerleb­nis hat auch die norwegisch­e Tourismusb­ehörde längst für ihr Marketing entdeckt. Nicht zuletzt, weil Norwegens Wirtschaft massiv unter der Ölpreiskri­se leidet, die in dem Land schon viele Menschen den Job gekostet hat, sucht man verstärkt andere Einkommens­quellen. Das zeigt sich vor allem an der Küste. Im Hafen von Bergen lagen vor einiger Zeit noch viele Öltanker. Bei einem Rundgang am Kai fallen aber vor allem Jachten, Segelschif­fe und Kreuzfahrt­schiffe auf, die im feuchten Seewind vor sich hinschauke­ln.

Auf dem berühmten Bergener Fischmarkt versucht Marco Giordano gerade, einer Touristin aus Brasilien eine Dose Kaviar zu verkaufen. Seit acht Jahren lebt er in Bergen. Zuerst verdingte er sich als Fischer auf dem Atlantik, jetzt ist er Verkäufer, weil er recht passabel mehrere Sprachen spricht, wie er sagt. „Ohne die Touristen würde es den Fischmarkt nicht mehr geben. Sie bringen das Geld in die Stadt.“Und schon wendet der Mann mit dem Drei-Tage-Bart und der leuchtend orangefarb­enen Schürze sich wieder der Brasiliane­rin zu, die fasziniert ein Stück Walfleisch begutachte­t.

Bergen hat für Touristen einiges zu bieten, Deutsche machten es im 17. Jahrhunder­t als Standort der Hanse zu einem bedeutende­n Handelshaf­en. Das von den Hanseaten erbaute Viertel „Tyske Bryggen“(„Deutsche Brücke“) zählt mit seinen 300 Jahre alten bunten Holzhäuser­n zum Welterbe. Dort lebten einst die deutschen Kaufleute und trieben Handel. Außerdem starten in Bergen die Schiffe auf den weltbekann­ten Hurtigrute­n.

400 Kilometer die Küste entlang nach Norden, treffen die Touristen in Ålesund auch wieder auf den Kaiser. Ein sieben Meter hoher Obelisk auf dem Hausberg Aksla, von dem aus das Konterfei Wilhelms II. auf die Stadt hinabstarr­t, erinnert hier an den Monarchen. Sogar eine der Hauptverke­hrsstraßen trägt seinen Namen. „Er ist unser Held. Ålesund wäre nicht dasselbe ohne ihn“, sagt ein älterer Herr am Abend im Pub „Dirty Nelly“auf die Frage nach dem Kaiser und bestellt aus Verbundenh­eit zu den Deutschen erst einmal eine Runde Jägermeist­er.

Im Januar 1904 vernichtet­e ein Großbrand weite Teile von Ålesund, die Holzhäuser brannten 16 Stunden lang lichterloh. Wie durch ein Wunder starb nur ein einziger Mensch, doch mehr als 10 000 Menschen wurden obdachlos. Wilhelm II. schickte nur einen Tag später Schiffe der Reichsmari­ne mit Decken, Nahrung und Medikament­en los, später bauten deutsche Ingenieure Baracken für die Obdachlose­n auf. Auch dank dieser Hilfe konnten innerhalb von nur drei Jahren 600 Gebäude neu aufgebaut werden, die heute der Innenstadt von Ålesund ihren Jugendstil­Charme verleihen. Geschwunge­ne Formen, bunte Verzierung­en, Erker und Giebel prägen die Quaderstei­nbauten rund um das Hafenbecke­n.

Nach dem Krieg und der Abschaffun­g der Monarchie war aller Glanz verloren. Wilhelm II. aber kam weiter. Die Zeitzeugin Klara Maråk berichtet von einem seiner letzten Besuche bei ihrem Großvater Knut Maråk. Der Gutsbesitz­er hatte dem Kaiser bei dessen Besuchen in Geiranger regelmäßig Kutschen für Ausfahren besorgt: „Ein grauhaarig­er, bärtiger Herr kam vorbei, nur ein Diener begleitete ihn. Knut schien es, er kenne den Herren und fragte vorsichtig: ,Ist es wirklich…?‘ ,Ja, es ist wirklich…‘, antwortete der ehemalige Kaiser und sie umarmten sich.“Norwegen ließ den Kaiser nie mehr los.

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Foto: Alexander Sing Der Geirangerf­jord ist zwar nur rund 15 Kilometer lang, zählt aber zu den schönsten Fjorden in ganz Norwegen. Am Ostende liegt der Ort Geiranger, den im Sommer täglich Kreuzfahrt­schiffe anfahren. Den besten Blick hat man von der Ørnesvinge­n (deutsch...

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