Augsburger Allgemeine (Land West)
Eine Sehreise zu Wasser und zu Land
Lombardei Die Provinz Varese ist ein Paradies für Sportler aller Art – aber auch für Genießer italienischer Kunstschätze und (Lebens-)Kultur
Weit und leuchtend blau spannt sich der Himmel über die lombardische Provinzmetropole Varese. Ungewöhnlich warm sind die Temperaturen an diesen italienischen Spätsommertagen und die Hitze lässt die Luft flirren. Während das Leben in der Altstadt zwischen Parks, Palästen, und Piazze pulsiert, während Touristenströme durch die Einkaufsstraßen rund um die romanische Basilika San Vittore flanieren, liegt nur wenige Kilometer entfernt die Stille fast greifbar über der Landschaft. Der Sacro Monte am Rande Vareses – einer von sieben heiligen Bergen des Unesco-Weltkulturerbes – wird von üppiger Vegetation in Smaragdgrün getaucht. Dorthin haben sich an diesem Tag nur wenige Wanderer verirrt – so wie wir.
Einladend schlängelt sich ein steiler Pfad nach oben, auf dessen poliertem Kopfsteinpflaster sich die gleißende Sonne spiegelt. Wir streben in der Hitze des Nachmittags nur gemächlich zur kleinen Ortschaft auf dem Gipfel. Nur keine Eile, schließlich ist es heiß. Und schließlich gibt es viel zu sehen auf der zwei Kilometer langen Strecke. Wir halten immer wieder inne, genießen das atemberaubende Alpenpanorama am Horizont und erleben, was den Sacro Monte zum heiligen Berg macht: die 14 Rosenkranzkapellen, die den Weg säumen. Mit lebensgroßen Figuren im Inneren stellen sie Szenen aus dem Leben Jesu nach.
Fremdenführerin Elena Castiglioni weiht uns in geschichtliche Hintergründe ein: Um gegen die Reformation aufzubegehren, haben die streng katholischen Bürger Vareses auf dem Sacro Monte ein Bollwerk gegen den Protestantismus gesetzt. San Carlo Borromeo, Erzbischof von Mailand, hat dabei eine wichtige Rolle gespielt. Es ist das erste Mal, dass uns der Name Borromeo auf dieser Reise begegnet – doch es bleibt nicht das letzte Mal.
Ein kleines Dorf schmiegt sich oben auf die Anhöhe rund um die Kirche Santa Maria. Cafés und Bars laden zur willkommenen Pause, um der Hitze mit kühlen Getränken zu begegnen. Es sind nicht mehr als 40 Bewohner, die auf dem Sacro Monte leben. Dazu kommen 30 Klausurnonnen, drei Priester – und ein Mann, den sie „Il Mille“(„Der Tausend“) nennen. Er lebt im Auto und verdingt sich mit Hausmeister-Arbeiten bei den Einheimischen. Wer er ist, woher er kommt – das weiß kein Mensch. „Il Mille“war eines Tages plötzlich da. „Er stammt wohl aus Osteuropa“, weiß Elena Castiglioni über den Geheimnisvollen zu erzählen, „und sein Name klingt wohl auch nur so.“„Il Mille“ist das Faktotum des Sacro Monte.
Zurück nach Varese geht es bequemer als hinauf. Mit der Jugendstilseilbahn Funicolare legen wir binnen weniger Minuten all die Höhenmeter zurück, die wir vorher zu Fuß hinauf gewandert sind. Wandern ist ein großes Thema rings um Varese. Auf rund 800 Kilometern kann man zu Fuß die Ausläufer der Alpen erkunden, die sieben Seen der Provinz, Landschaft und Städte. Doch wer gekommen ist, um sich sportlich zu betätigen, findet ein noch weit größeres Betätigungsfeld. Die Wander- sind zugleich Radwege. In deren Ausbau haben die Kommunen viel Geld investiert. Von der Ebene bis zu voralpinen Steigungen ist viel geboten. Wir wollen uns einen Eindruck verschaffen und steigen auf die Montainbikes, die unser drahtiger Tourenführer Silvano Moroni vors Hotel den aus gebrannten Ziegeln sind noch Original und der Blick vom „Torre Castellana“erschließt eine malerische landschaftliche Szenerie.
Tief unter uns liegt der südliche Zipfel des Lago Maggiore. Von dort aus starten wir anderntags die nächste Erkundungstour – diesmal in einem Segelboot, das schwankend über die bewegten Wellen hüpft. Gianluigi Arioli ist unser Skipper, der sich müht, bei bewegtem Seegang Kurs im Borromäischen Golf zu halten. Kurs auf – wie könnte es anders sein – die Borromäischen Inseln: Isola Madre, Isola dei Pescatori und Isola Bella. Denn auch in diesem Teil des Lago Maggiore ist der Name Borromeo allgegenwärtig.
Alle drei Inseln haben ihren ganz eigenen, reizvollen Charme. Auf der Isola Bella allerdings haben sich die kunstsinnigen Borromeos selbst übertroffen. „Carl III. Borromeo war der Vater der Insel“, erzählt Barbara Polli, die unsere staunende Gruppe durch Palazzo und Gärten führt, die barockes Lebensgefühl atmen. Von 200 Räumen des Schlosses dürfen 30 besichtigt werden. Der Rest wird rein privat genutzt, wenn denn die Borromeos gerade dort weilen. Just an diesem Tag muss es so sein, denn die Flagge auf der Terrasse – das Zeichen ihrer Anwesenheit – ist gehisst.
Reiche Gemäldesammlungen flämischer Maler beherbergt der Palazzo, Salons, Bibliotheken und sechs Grotten, die über und über mit Flusssteinen, Tuff und Marmor ausgestattet sind. Napoléon Bonaparte war einer der illustren Gäste, die einst auf der Insel weilten. Zu Wiederholungsbesuchen kam es allerdings nicht, nachdem es dem Franzosenkaiser gefiel, 1805 eine Burg der Borromeos in Arona zu zerstören.
So prunkvoll, so üppig der Palazzo auf der Isola Bella unsere Augen verwöhnt, so karg mutet auf den ersten Blick das Kloster Santa Caterina del Sasso an – unsere nächste Anlegestelle. Wie trügerisch! Denn auf den zweiten Blick offenbart sich ein Kirchenbau, in dem Licht und Schatten in den reichen Fresken des Malers Giovanni Battista de Advocatis ein malerisches Spiel treiben. Dicht an eine Felsenwand des südöstlichen Seeufers geschmiegt, scheint diese Einsiedelei fern zu sein vom Tourismustrubel. 1170 hatte ein schiffbrüchiger Kaufmann nach seiner Rettung eine Kirche gebaut. Noch heute beten und arbeiten dort Benediktinermönche und Dominikanerinnen.
Es sind die Kontraste in der Provinz Varese, die staunen machen. Kontraste, die Kulturschätze, Naturschönheiten und kulinarische Köstlichkeiten zu einer Einheit verbinden. Zu einer Reise für alle Sinne.