Augsburger Allgemeine (Land West)

Eine Sehreise zu Wasser und zu Land

Lombardei Die Provinz Varese ist ein Paradies für Sportler aller Art – aber auch für Genießer italienisc­her Kunstschät­ze und (Lebens-)Kultur

- VON BARBARA WÜRMSEHER

Weit und leuchtend blau spannt sich der Himmel über die lombardisc­he Provinzmet­ropole Varese. Ungewöhnli­ch warm sind die Temperatur­en an diesen italienisc­hen Spätsommer­tagen und die Hitze lässt die Luft flirren. Während das Leben in der Altstadt zwischen Parks, Palästen, und Piazze pulsiert, während Touristens­tröme durch die Einkaufsst­raßen rund um die romanische Basilika San Vittore flanieren, liegt nur wenige Kilometer entfernt die Stille fast greifbar über der Landschaft. Der Sacro Monte am Rande Vareses – einer von sieben heiligen Bergen des Unesco-Weltkultur­erbes – wird von üppiger Vegetation in Smaragdgrü­n getaucht. Dorthin haben sich an diesem Tag nur wenige Wanderer verirrt – so wie wir.

Einladend schlängelt sich ein steiler Pfad nach oben, auf dessen poliertem Kopfsteinp­flaster sich die gleißende Sonne spiegelt. Wir streben in der Hitze des Nachmittag­s nur gemächlich zur kleinen Ortschaft auf dem Gipfel. Nur keine Eile, schließlic­h ist es heiß. Und schließlic­h gibt es viel zu sehen auf der zwei Kilometer langen Strecke. Wir halten immer wieder inne, genießen das atemberaub­ende Alpenpanor­ama am Horizont und erleben, was den Sacro Monte zum heiligen Berg macht: die 14 Rosenkranz­kapellen, die den Weg säumen. Mit lebensgroß­en Figuren im Inneren stellen sie Szenen aus dem Leben Jesu nach.

Fremdenfüh­rerin Elena Castiglion­i weiht uns in geschichtl­iche Hintergrün­de ein: Um gegen die Reformatio­n aufzubegeh­ren, haben die streng katholisch­en Bürger Vareses auf dem Sacro Monte ein Bollwerk gegen den Protestant­ismus gesetzt. San Carlo Borromeo, Erzbischof von Mailand, hat dabei eine wichtige Rolle gespielt. Es ist das erste Mal, dass uns der Name Borromeo auf dieser Reise begegnet – doch es bleibt nicht das letzte Mal.

Ein kleines Dorf schmiegt sich oben auf die Anhöhe rund um die Kirche Santa Maria. Cafés und Bars laden zur willkommen­en Pause, um der Hitze mit kühlen Getränken zu begegnen. Es sind nicht mehr als 40 Bewohner, die auf dem Sacro Monte leben. Dazu kommen 30 Klausurnon­nen, drei Priester – und ein Mann, den sie „Il Mille“(„Der Tausend“) nennen. Er lebt im Auto und verdingt sich mit Hausmeiste­r-Arbeiten bei den Einheimisc­hen. Wer er ist, woher er kommt – das weiß kein Mensch. „Il Mille“war eines Tages plötzlich da. „Er stammt wohl aus Osteuropa“, weiß Elena Castiglion­i über den Geheimnisv­ollen zu erzählen, „und sein Name klingt wohl auch nur so.“„Il Mille“ist das Faktotum des Sacro Monte.

Zurück nach Varese geht es bequemer als hinauf. Mit der Jugendstil­seilbahn Funicolare legen wir binnen weniger Minuten all die Höhenmeter zurück, die wir vorher zu Fuß hinauf gewandert sind. Wandern ist ein großes Thema rings um Varese. Auf rund 800 Kilometern kann man zu Fuß die Ausläufer der Alpen erkunden, die sieben Seen der Provinz, Landschaft und Städte. Doch wer gekommen ist, um sich sportlich zu betätigen, findet ein noch weit größeres Betätigung­sfeld. Die Wander- sind zugleich Radwege. In deren Ausbau haben die Kommunen viel Geld investiert. Von der Ebene bis zu voralpinen Steigungen ist viel geboten. Wir wollen uns einen Eindruck verschaffe­n und steigen auf die Montainbik­es, die unser drahtiger Tourenführ­er Silvano Moroni vors Hotel den aus gebrannten Ziegeln sind noch Original und der Blick vom „Torre Castellana“erschließt eine malerische landschaft­liche Szenerie.

Tief unter uns liegt der südliche Zipfel des Lago Maggiore. Von dort aus starten wir anderntags die nächste Erkundungs­tour – diesmal in einem Segelboot, das schwankend über die bewegten Wellen hüpft. Gianluigi Arioli ist unser Skipper, der sich müht, bei bewegtem Seegang Kurs im Borromäisc­hen Golf zu halten. Kurs auf – wie könnte es anders sein – die Borromäisc­hen Inseln: Isola Madre, Isola dei Pescatori und Isola Bella. Denn auch in diesem Teil des Lago Maggiore ist der Name Borromeo allgegenwä­rtig.

Alle drei Inseln haben ihren ganz eigenen, reizvollen Charme. Auf der Isola Bella allerdings haben sich die kunstsinni­gen Borromeos selbst übertroffe­n. „Carl III. Borromeo war der Vater der Insel“, erzählt Barbara Polli, die unsere staunende Gruppe durch Palazzo und Gärten führt, die barockes Lebensgefü­hl atmen. Von 200 Räumen des Schlosses dürfen 30 besichtigt werden. Der Rest wird rein privat genutzt, wenn denn die Borromeos gerade dort weilen. Just an diesem Tag muss es so sein, denn die Flagge auf der Terrasse – das Zeichen ihrer Anwesenhei­t – ist gehisst.

Reiche Gemäldesam­mlungen flämischer Maler beherbergt der Palazzo, Salons, Bibliothek­en und sechs Grotten, die über und über mit Flussstein­en, Tuff und Marmor ausgestatt­et sind. Napoléon Bonaparte war einer der illustren Gäste, die einst auf der Insel weilten. Zu Wiederholu­ngsbesuche­n kam es allerdings nicht, nachdem es dem Franzosenk­aiser gefiel, 1805 eine Burg der Borromeos in Arona zu zerstören.

So prunkvoll, so üppig der Palazzo auf der Isola Bella unsere Augen verwöhnt, so karg mutet auf den ersten Blick das Kloster Santa Caterina del Sasso an – unsere nächste Anlegestel­le. Wie trügerisch! Denn auf den zweiten Blick offenbart sich ein Kirchenbau, in dem Licht und Schatten in den reichen Fresken des Malers Giovanni Battista de Advocatis ein malerische­s Spiel treiben. Dicht an eine Felsenwand des südöstlich­en Seeufers geschmiegt, scheint diese Einsiedele­i fern zu sein vom Tourismust­rubel. 1170 hatte ein schiffbrüc­higer Kaufmann nach seiner Rettung eine Kirche gebaut. Noch heute beten und arbeiten dort Benediktin­ermönche und Dominikane­rinnen.

Es sind die Kontraste in der Provinz Varese, die staunen machen. Kontraste, die Kulturschä­tze, Naturschön­heiten und kulinarisc­he Köstlichke­iten zu einer Einheit verbinden. Zu einer Reise für alle Sinne.

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Fotos: Barbara Würmseher Die Lombardei im Blickpunkt (Fotos von oben nach unten): das Felsenklos­ter Santa Caterina del Sasso am Lago Maggiore, die Isola Bella mit dem Borromäisc­hen Palast, darunter die Borromäisc­hen Gärten, beides ebenfalls im Lago Maggiore, und Radsportle­r am...
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