Augsburger Allgemeine (Land West)
Mutti ist die Bestie
Jess Jochimsen hinterfragt in der Kresslesmühle die Zumutungen der Gegenwart
Kinder können verblüffende Fragen stellen. Etwa: „Du Papa, was macht die Merkel eigentlich beruflich?“Was der Papa Jess Jochimsen seinem Sohn Tom geantwortet hat, bleibt offen. Sein Publikum jedoch hat der Kabarettist Jess Jochimsen knapp zwei Stunden lang in der gut besetzten Kresslesmühle mit seinen Antworten auf die Zumutungen der Gegenwart bestens unterhalten. „Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst?“, hatte er sein Programm überschrieben.
Als „zwei Schulstunden“hatte er den Abend angelegt und dabei ein Paket geschnürt aus Texten seiner Bücher, aus Liedern und urkomischen „Urlaubsbildern“. Herrlich seine Beschreibung eines Elternabends mit einer Mutter, die davon überzeugt ist, dass ihre Geige, Klavier und Fagott spielende Tochter Emilia-Clara „hochbegabt“ist. „Können wir uns nicht einfach darauf einigen, die Kinder in Ruhe zu lassen?“, fragt Jess Jochimsen an – stolz über seinen Sohn, der im ReliTest kurzerhand das vierte und fünfte Gebot zusammengelegt hat: „Du sollst Vater und Mutter nicht töten.“Und das soll laut Lehrerin falsch sein?
Haarscharf analysiert Jess Jochimsen die Strömungen der Gegenwart, hinterfragt die unbestimmten Ängste vor dem Fremden und vor Veränderung. „Ich bin kein Rassist, aber…!“Für Jochimsen ist das „der dümmste Satz, den man sagen kann“. Und er singt, begleitet von seiner Quetsche, diejenigen, die die Vergangenheit verklären , mit dem Lied „Guten Abend, gute Nacht“, in den Schlaf. So rührend, wie es beginnt, so spitz ist die Pointe. „Morgen früh, wenn Gott will, wirst Du wieder geweckt“, heißt es im Lied. „Was aber ist, wenn Gott nicht will?“, fragt Jess Jochimsen, der weiß, „dass wir die Angst nie loswerden“.
Ein Musterbeispiel für „gute Pädagogik“ist Jochimsens Ausflug in seine Vergangenheit als Kindergartenkind – als er ein Bild malte, das ihn und seine Eltern zeigte. Allerdings alle ohne Köpfe, ohne Arme und in Schwarz. Die Mutter heulte, das Kind wurde zum Psychologen geschleppt. Ein großes Drama, dabei konnte der Bub nur keine Arme und Köpfe malen; und das Schwarz war die einzige Farbe aus der Holzstiftebox, die ihm die anderen Kinder übrig gelassen hatte.
Jochimsens Episoden, oft auch in freche Gstanzl gekleidet, erzählen davon, dass man sich selbst die Welt nicht so schwer machen müsste. Dass sie auch einmal „eine Gaudi“vertrage. „Die Sätze der Gegenwart sind oft so erbärmlich real“, meinte er und schlug vor, doch einmal im Alltag das Gegenüber mit einem Satz aus einem Hollywood-Film zu überraschen, etwa morgens im Lehrerzimmer mit: „Ich geh’ schon mal runter in die Pathologie!“
Zum Schieflachen waren auch die Bilder, die Jochimsen zeigte, eine „Chronik der laufenden Zumutungen“. Da steht auf einem Rettungsring „für 60 Personen“, und auf einer Tafel ist zu lesen „Mutti ist die Bestie“.