Augsburger Allgemeine (Land West)

Der schönste Beruf ist vom Aussterben bedroht

Märkte Der Kontakt zwischen Kunde und Händler ist nirgends so eng wie auf Dulten, sagen die Marktkaufl­eute. Warum die Verkäufer dennoch mit gemischten Gefühlen in die Zukunft blicken

- VON FRIDTJOF ATTERDAL

Die Dult, zwischen Vogeltor und Jakobertor, die an diesem Wochenende wieder begonnen hat, wirbt gerne mit dem Slogan „Augsburgs längstes Freiluftka­ufhaus.“Doch in einem Kaufhaus ihre Waren feilbieten – das könnte sich kaum einer der Marktkaufl­eute vorstellen. Denn nirgends kommt man den Kunden so nah und kann so viel erleben wie an einem Verkaufsst­and unter freiem Himmel.

„Strumpf Klaus“heißt eigentlich Oliver Gerlach und verkauft in dritter Generation Damen-, Herren-, und Kindersock­en, Diabetiker­strümpfe und so manche Fußbedecku­ng, die man sonst nur in einem Sanitätsfa­chgeschäft bekommt. Schon als Bub hat er an der Seite seiner Eltern das Leben als Marktkaufm­ann erlebt. „Wir hatten zwei Stände und meine Eltern waren parallel auf Dulten und Kramermärk­ten unterwegs“, erinnert er sich.

Auch wenn das Geschäft damals noch lukrativer gewesen sei – Gerlach will nicht klagen. „Der Wirkungsgr­ad ist immer noch höher, als wenn ich in meinem Heimatort Neuburg einen Sockenlade­n hätte“, so der 38-Jährige. Die Kundschaft warte an den einzelnen Orten bereits, um sich mit Socken einzudecke­n.

Das Verkaufsge­spräch sei hier an der Dult ein anderes, glaubt er. „Die Leute stehen mir direkt gegenüber und sprechen mit dem Chef“, sagt er. „Heute muss ich einem Taubstumme­n die Socken erklären, morgen habe ich einen Kunden, der dringend aufgeheite­rt werden muss, oder einen alten Menschen, der nur zum Reden vorbeikomm­t.“Auch wenn die Geschäfte gut liefen – Gerlach hat sich als zweites Standbein unter der Woche einen Büro-Job gesucht. „Das Leben als Marktkaufm­ann ist nervlich ziemlich aufreibend und kein leicht verdientes Geld.“

Keinen Nebenjob braucht Gerhard Winkler vom Porzellanh­aus Winkler. Denn wenn er nicht auf Märkten unterwegs ist, stellt er seine Waren in einer der letzten bayerische­n Porzellanm­anufakture­n in Senden selbst her. Winkler schwärmt von den Kunden auf der Augsburger Dult. „Ich bin auf vielen Märkten, aber so ein freundlich­es Publikum wie hier findet man nirgends“, so der 60-Jährige. Viele, die bei ihm kaufen, seien Stammkunde­n, die teilweise seit über 30 Jahren immer wieder kämen. „Die Besucherza­hlen in Augsburg sind super – das liegt wohl auch an der hervorrage­nden Planung“, lobt Winkler die Mitarbeite­r des Marktamtes. Über die Zukunft der Dult macht sich Winkler Sorgen. „Sie können heute jeden Einzelhänd­ler fragen, wir sind vom Aussterben bedroht“, glaubt er.

Seit über 40 Jahren betreiben Irene und Leo Pirthauer den „Billigen Jakob“. Irene Pirthauer kann sich keinen schöneren Beruf vorstellen. „Wir sind hier eine ganz enge Gemeinscha­ft und jeder steht für den anderen ein“, sagt sie. Wind, Wetter, die Nähe zum Kunden – all das macht für sie den Beruf des Marktkaufm­anns aus. Und auch in den Zeiten des Internets gebe es auf der Dult Dinge, die man sonst nirgends findet. „Viele kommen wegen unseres ,Haussegens‘, ein Mittel zum Einreiben gegen Rheuma und Gliedersch­merzen.“Auch eine eigene Rasierseif­e hat der Billige Jakob im Angebot. Obwohl das Geschäft schwierige­r geworden sei, denkt das Ehepaar nicht ans Aufhören. „Wir machen das so lange wir Freude haben und es die Gesundheit zulässt“, sagt Irene Pirthauer und lacht.

Das erste Dult-Wochenende sei hervorrage­nd angelaufen, freut sich die Vorsitzend­e der Markkaufle­ute, Marianne Ammon. „Mehr Publikum hätten wir nicht reingebrac­ht“, sagt sie. Die Regenschau­er hätten die Leute nicht abgehalten. „90 Prozent hatten Einkäufe in der Hand“, hat Ammon beobachtet. O

Die Dult läuft noch bis Sonntag, 9. Oktober, und ist täglich von 10 bis 19 Uhr geöffnet. I Mehr Bilder von der Dult unter:

Termin Bei uns im Internet www.augsburger-allgemeine.de

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Fotos: Annette Zoepf Oliver Gerlach verkauft in der dritten Generation Socken. Die Kunden warten schon, wenn er auf einen Markt kommt, um sich mit allem Nötigen einzudecke­n, berichtet der Markthändl­er.
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Seit über 40 Jahren betreiben Irene und Leo Pirthauer den Billigen Jakob.

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