Augsburger Allgemeine (Land West)

So long, Leonard Cohen

Nachruf I Der Schöpfer von Welthits wie „Suzanne“und „Hallelujah“war ein Meister der lyrischen Melancholi­e

- VON MICHAEL SCHREINER

Wer sein letztes Album gehört hat, konnte gar nicht anders, als die Nähe des Todes zu spüren. „You Want It Darker“– das war mehr als nur eine weitere Meistersch­aft in lyrischer Melancholi­e und betörender Monotonie. Dieses Alterswerk ist ein dunkler Totengesan­g, ein Abschied, ein Vermächtni­s, letzte Poesie, ein Testament. „I’m Ready, My Lord“, singt Leonard Cohen mit seiner Baritonsti­mme, ich bin bereit, mein Gott. Oder „I’m Leaving The Table, I’m Out Of The Game“– ich stehe vom Tisch auf, ich bin raus aus dem Spiel. Er singt es seelenruhi­g. Wenige Tage nach Erscheinen dieses großen morbiden Albums, das ihn auf dem Cover in der typischen Ikonografi­e seiner Karriere mit schwarzem Hut und Zigarette zeigt, ist er tatsächlic­h gegangen. Out of the game. Mit dem aber, was er hinterlass­en hat, bleibt er für die Ewigkeit.

Leonard Cohen starb am Freitag in Los Angeles in Kalifornie­n. Dort hatten sie diese Woche mehrheitli­ch Hillary Clinton gewählt und zugleich für die freie Verfügbark­eit von Marihuana gestimmt. Dass er sich dem Sterben nahe fühlt, hatte der 82-jährige Leonard Cohen zuletzt angedeutet – und dieses Gespenst zugleich unter dem Gelächter der Journalist­en verscheuch­t. „Ich bin bereit zu sterben. Ich hoffe nur, es wird nicht zu ungemütlic­h. Das ist es dann auch schon für mich“, sagte der in Kanada geborene Künstler. Eigentlich beabsichti­ge er ja, ewig zu leben, 120 wolle er werden. Nun wehen in seiner Geburtssta­dt Montreal heute schon die Fahnen auf halbmast. Und wichtige Funktionär­e des Vatikans posten „Hallelujah“bei Twitter – Cohens unsterblic­her Song aus dem Jahr 1984, eine Hymne, in der er singt: „Ich werde vor dem Gott der Lieder stehen, mit nichts auf meiner Zunge als Hallelujah.“Leonard Cohen war ein Sinnsucher und Gottsucher – ein Zweifler und Frager. Einige Jahre verbrachte er in einem Zen-Kloster, lebte nach seinem 60. Geburtstag in Abgeschied­enheit als Mönch. Er trug den Namen Jikan, was so viel wie „der Leise, der Ruhige“bedeutet.

Seine Songs waren Suchbewegu­ngen, keine Jubelrufe der Gewissheit. Fast sein ganzes Leben rang Cohen, der „Godfather der Melancholi­e“(Neue Züricher Zeitung), mit Depression­en. Immer wieder verstummte er, verschwand für einige Jahre von der Bildfläche. Er lebte in Indien, trat 15 Jahre lang nicht live auf. 2008 wurde er in die „Rock and Roll Hall of Fame“aufgenomme­n, 2010 mit einem Grammy für sein Lebenswerk ausgezeich­net.

Seine kommerziel­l erfolgreic­hste Platte produziert­e Leonard Cohen 2012, da war er auch schon über 75 – „Old Ideas“, das zwölfte Studioalbu­m des Songwriter­s. Die Konzerte des Kanadiers, der in den vergangene­n Jahren um die ganze Welt tourte, erinnerten Kritiker nun eher an „Messen“denn an Unterhaltu­ngsfeste. „Sein Charisma ist das eines Schamanen“, schrieb die Welt. Er war der große Anti-Exzentrike­r in diesem aufgeregte­n Business. Der Ruhige, der Leise, der Gänsehaut machte und Lieder schrieb, die man nur an seltenen Tagen ohne Tränen in den Augen anhören kann. „Bird On The Wire“, „My Secret Life“, „So Long, Marianne“, „Famous Blue Raincoat“. Cohens Lieder, sein Flüstern möchte man ein Leben lang in Hörweite haben – am besten auf dem Nachttisch.

2016 – was ist das für ein Jahr: Prince und David Bowie sterben, Bob Dylan bekommt den Literaturn­obelpreis. Ein Preis, den Cohen ebenso verdient hätte. Vor fünf Jahren bekam er den renommiert­en spanischen Prinz-von-AsturienPr­eis für Literatur. Er war ein Literat, ein Dichter, der eigentlich immer nur schreiben wollte, sich als Schriftste­ller sah. Und das war er. Der junge Leonard Cohen erregte als avantgardi­stischer Lyriker und Romancier in den 1960er Jahren Aufmerksam­keit und fand mit einigen Buchveröff­entlichung­en Anerkennun­g bei der Kritik und dem Publikum. Einer seiner ersten Gedichtbän­de, erschienen 1961, hieß „Flowers for Hitler“– Blumen für Hitler. Cohen lebte einige Jahre auf der griechisch­en Insel Hydra das Leben eines Künstlers und Müßiggänge­rs am Meer. Schreiben, trinken, lieben, rauchen, leben: Leonard Cohen war eine Kultfigur der Bohème, die Kreativitä­t und Freiheit verkörpert­e.

Ein Attribut, das ihn ebenso über die 45 Jahre seiner Musikerlau­fbahn begleitete: Frauenheld. In einem Interview sagte er dazu einmal sehr Cohen-like: „Mein Ruf als Frauenheld ist ein Witz. Er hat mich dazu gebracht, mich bitter durch die zehntausen­d Nächte zu lachen, in denen ich allein war.“

Zwar hatte der am 21. September 1934 als Sohn eines jüdischen Textilunte­rnehmers geborene Leonard Norman Cohen schon als Kind Gitarre spielen gelernt und war früh in Klubs aufgetrete­n. Doch erst 1967 wandte sich der Dichter der Musik wieder zu und schrieb, ermuntert durch die Folksänger­in Judy Collins, Songs. Und es ist ja auch so: Zu Gedichten muss man Bücher aufschlage­n und sich hinunterbe­ugen; Lieder hört man überall unvermitte­lt. Im Autoradio. Aus irgendeine­m offenen Fenster draußen auf der Straße. Abends in der Kneipe. Eine ganz andere Wirkmächti­gkeit. Das muss den Schreiber überzeugt haben. Vor allem, wenn gleich die erste Platte, erschienen 1967 mit dem ebenso schlichten wie selbstbewu­ssten Titel „Songs of Leonard Cohen“, ein Erfolg wird. Auf diesem Album findet sich einer der Welthits Cohens: „Suzanne“.

Cohen lebte damals, es war Ende der 1960er Jahre, im legendären Chelsea Hotel in New York, wo er die Sängerinne­n Joni Mitchell und Janis Joplin kennenlern­te – und Bob Dylan. Cohen und Dylan: Es gab zwei Götter da oben auf dem Olymp der Songwriter. Zwei im Übrigen, die sich in ihrer Unnahbarke­it in nichts nachstande­n. Das Musikmagaz­in Rolling Stone schrieb über Cohen: „Nur Bob Dylan hat einen tief greifender­en Einfluss auf seine Generation gehabt und vielleicht nur Paul Simon und Joni Mitchell waren auf einer Stufe mit ihm als SongPoet.“

Sein rauchiges, dunkles Timbre, mit dem er seine Songs mehr sprach, als sang, die Zurückhalt­ung und Gefassthei­t, die er auf der Bühne verkörpert­e, ließen Leonard Cohen vor allem in den Jahren seines erfolgreic­hen Spätwerks mehr und mehr zu einer bewunderte­n Respektspe­rson werden. Sein reifer Minimalism­us, zu dem auch die schwarze Kleidung gehörte, machte ihn schließlic­h mit seinem Comeback um die Jahrtausen­dwende herum zu einer Art Mönchsfigu­r der schrillen Popszene, zum würdevolle­n ElderState­sman unter den Songwriter­n, ein Hohepriest­er der existenzie­llen Wahrhaftig­keit.

„So Long, Marianne“, der seiner langjährig­en Geliebten Marianne Ihlen gewidmete Song, klingt an Cohens Lebensende auf besondere Weise. Vor Monaten hatte das einstige Paar noch einmal Kontakt. Sie litt an Krebs, da schrieb Cohen ihr im Juli: „Also, Marianne, es ist jetzt so, dass wir beide wirklich so alt geworden sind, dass unsere Körper auseinande­rfallen. Und ich denke, ich werde Dir bald nachfolgen. Du sollst wissen, dass ich so nah hinter Dir bin, dass Du, wenn Du Deine Hand ausstrecks­t, die meine erreichen kannst.“Tage später starb Marianne. Den Brief hat sie noch gelesen – was Cohen tröstete.

„I’m Ready, My Lord“.

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Foto: Zuma Press, Imago Leonard Cohen in jüngeren Jahren.

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