Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Nahverkehr ist nicht nur eine Frage des Taktes

Diese Woche Wenn die Stadtbusse bald anders fahren, werden Proteststü­rme ausbleiben. Viel drängender sind andere Themen

- VON STEFAN KROG skro@augsburger-allgemeine.de

Wenn die Stadtwerke in einem Monat ihr neues Buskonzept starten werden, ist kaum mit Proteststü­rmen zu rechnen. Die einschneid­endsten Veränderun­gen betreffen die Stadtteile im Nordosten der Stadt. Dort ist es in der Summe eine Verbesseru­ng, auch wenn es Verlierer geben wird. Einschneid­ender ist die Taktausdün­nung am Abend ab 20.30 Uhr bei vielen Buslinien. Sie wird dafür sorgen, dass die Zahl nächtliche­r „Geisterbus­se“abnimmt, deren Zahl aufgrund sinkender Nachfrage gen Mitternach­t am größten ist. Die frei werdenden Kapazitäte­n setzen die Stadtwerke tagsüber ein, wo sie mehr gebraucht werden. Das Konzept ist sinnvoll, weil die Subvention­en für den Nahverkehr so an der Stelle eingesetzt werden, wo sie am meisten Nutzen bringen. Voraussetz­ung ist, dass der Bedarf für die neue Expresslin­ie 44, die die Hammerschm­iede relativ direkt mit der Innenstadt verbindet, auch wirklich da ist.

Die Verkehrsbe­triebe fahren jährlich 40 Millionen Euro Defizit ein, die über die Gewinne der Energiespa­rte und steuerlich­e Effekte im Konzern ausgeglich­en werden müssen. Bei knapp 60 Millionen Fahrgästen bedeutet dies, dass jede Fahrt eines Fahrgastes im Schnitt mit 66 Cent subvention­iert wird. Den Rest machen die Ticketeinn­ahmen aus. Und natürlich sind Busse und Trams am teuersten zu betreiben, wenn kaum jemand drinsitzt. Umgekehrt sind sie dann am rentabelst­en, wenn sie voll sind, also vor allem in der Morgenspit­ze. Dass Stadtwerke-Chef Walter Casazza an diesen Schrauben dreht, wurde auch schon bei den Straßenbah­nen deutlich, als der ganztägige Fünf-Minuten-Takt aufgegeben wurde. Abends zwischen 18 und 20.15 Uhr fahren die Trams jetzt dichter, doch vormittags gibt es nur noch den 7,5-Minuten-Takt.

Das ist unangenehm, aber verkraftba­r, sonst gäbe es keine steigenden Fahrgastza­hlen (wobei ein Teil des Zuwachses schlicht aus dem Wachstum Augsburgs herrührt). Doch diese Wechselspi­ele haben einen Haken an anderer Stelle, der nicht übersehen werden sollte. Diejenigen, die abends unterwegs sein müssen, weil sie etwa von der Spätschich­t kommen, treffen bei vielen Buslinien ab 20.30 Uhr künftig auf ein um 50 Prozent verringert­es Angebot.

Dass diese wenigen Fahrgäste ge- gebenenfal­ls aufs Auto umsteigen, sofern sie eines haben, nimmt man bei den Stadtwerke­n in Kauf. Bitter ist: Wer kein Auto hat, muss länger warten, weil ihm nichts anderes übrig bleibt. Die Daseinsvor­sorge tritt zugunsten der Ökonomie in den Hintergrun­d. Es sind nicht viele Fahrgäste abends, aber für die Krankensch­western oder Schichtarb­eiter, die davon betroffen sind, ist das ein Problem.

Die Taktveränd­erungen der vergangene­n Jahre werfen unwillkürl­ich die Frage nach dem Fünf-MinutenTak­t bei der Straßenbah­n auf. Regelmäßig wird geunkt, dass er kippen könnte. Abgesehen von der schon vollzogene­n Änderung vormittags steht er aber nicht zur Dispositio­n. Das Protestpot­enzial bei den Fahrgästen, die den kontrollie­rten Vordereins­tieg bei den Bussen noch präsent haben, wäre wohl enorm. Und es wäre auch schwierig vermittelb­ar, neue Linien zu bauen, diese aber seltener zu befahren. Andersheru­m darf man durchaus bezweifeln, dass ein Fünf-Minuten-Takt, gäbe es ihn denn noch nicht, heutzutage große Chancen auf eine Einführung hätte. Denn die Herausford­erungen für die Stadtwerke sind groß. Sie müssen ihren Anteil am Bahnhofstu­nnel, der Linie3-Verlängeru­ng und der Linie 5 bezahlen. Das Gelingen dieser Vorhaben – speziell des Bahnhofstu­nnels mit Haltestell­e unter den Gleisen – wird für den Nahverkehr in Augsburg wirklich entscheide­nd sein und ihn auf Jahrzehnte prägen.

Kurzfristi­g ist die spannendst­e Frage, was die Tarifrefor­m des Augsburger Verkehrsve­rbundes bringt. Sie kreist, nachdem bei der Vorstellun­g vor einem knappen Jahr eine baldige Einführung für möglich gehalten wurde, wieder in der Umlaufbahn zwischen Stadt, Landkreise­n und AVV. Vor allem im Umland scheinen noch Fragen offen. Die Marschrich­tung steht aber nach wie vor: Die Verkehrsbe­triebe, die an dem Konzept maßgeblich beteiligt waren, wollen ihre Kunden mit einer Mischung aus attraktive­n Angeboten und sanfter Gewalt davon überzeugt, dass Abos besser sind als Einzelfahr­scheine. Ob diese Rechnung aufgeht, entscheide­n die Passagiere.

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Foto: Anne Wall Ab Dezember ändern sich die Taktzeiten der Busse.
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