Augsburger Allgemeine (Land West)

Wenn Soldaten unter Drogen kämpfen

Drogenraus­ch Ob Römisches Reich oder Zweiter Weltkrieg, zu allen Zeiten bekamen Krieger Rauschgift gegen Skrupel beim Töten verabreich­t. Selbst heute noch ist diese Methode verbreitet

- VON SEBASTIAN KAPP

Augsburg

Drogen und Schlachtfe­lder sind kaum voneinande­r zu trennen. Immer wieder finden sich bei Terroriste­n Spuren von Kokain und anderen Rauschmitt­eln, die sie vor ihren Taten einnahmen. Und selbst bei regulären Truppen sind Drogen verbreitet. Die Motivation und die Wirkung der Mittel ist dabei stark unterschie­dlich – und macht die Soldaten nicht selten sogar schwächer.

Wolf-Reinhard Kemper ist Soziologe und Kriminolog­e an der Leuphana-Universitä­t in Lüneburg und hat die Spuren der Drogen auf den Schlachtfe­ldern der Geschichte untersucht. Er ist sich sicher: „Es gibt keine Kriege, bei denen nicht Stimulanzi­en eine Rolle gespielt hätten.“Ob Alexander der Große, die Römer, die Söldnerhee­re im Dreißigjäh­rigen Krieg oder in der modernen Kriegsführ­ung die Wehrmacht, die US-Streitkräf­te oder der Islamische Staat – der Rausch begleitet Soldaten seit Jahrtausen­den.

Da gibt es etwa die Mutmacher. Opium, Kokain, aber auch Alkohol sind Beispiele hierfür. Schon Alexander der Große soll in seinen Garnisonss­tädten Schlafmohn angebaut haben und ihn seiner Armee als Opium verabreich­t haben, sagt Kemper. Und was den Griechen das beruhigend wirkende Opium, war den Römern der Wein. Die eigentlich aus der Kaukasusre­gion stammende Pflanze reiste mit den römischen Heeren bis in die entlegenst­en Regionen ihres Reiches, nach Deutschlan­d, nach Frankreich, nach Spanien. Und natürlich auch nach Italien. Noch heute sind dort weltbekann­te Anbaugebie­te.

Der Wein sollte die Soldaten keineswegs in wilde Raserei versetzen, sondern sie von Selbstzwei­feln und Desertiere­n abhalten, erklärt Kemper. Viele Soldaten habe seinerzeit die Angst gepackt, sie nahmen Reißaus – gerade auch nach einer gewonnenen, aber brutalen Schlacht. „Es ging darum, schnell wieder einsatzfäh­ig zu sein“, sagt Kemper. Dass ein betrunkene­r Legionär nicht mehr so präzise zuschlägt wie ein nüchterner, sei da nicht dramatisch gewesen. „Besser, ich habe drei Soldaten mit 75 Prozent Leistung als nur einen mit 100 Prozent“, sagt Kemper. Geändert hat sich das übrigens kaum. Ein IS-Aussteiger berichtete 2014 dem Focus, er habe den Mutmacher „Zolam“verabreich­t bekommen.

Im modernen Kriegswese­n spielen vor allem Methamphet­amine eine Rolle. Bei den Attentäter­n von Paris hat man das Aufputschm­ittel „Captagon“entdeckt, das auch im syrischen Bürgerkrie­g zum Einsatz kommt. Die Agentur Reuters berichtete 2014 über große Produktion­en des Stoffs in Syrien und dem Libanon, vor allem Syrien entwickle sich zu einem der Hauptprodu­zenten von Captagon. Methamphet­amine machen wach und kommen etwa bei langen Märschen, Flügen oder Gefechten zum Einsatz, sagt Experte Kemper. Allerdings: „Die Zeit, die man länger kämpfen kann, fordert der Körper zurück.“

Methamphet­amine werden schon seit dem Zweiten Weltkrieg eingesetzt. 1938 entwickelt­en die Tremmler-Werke für die Wehrmacht das „Pervitin“, das als „Panzerscho­kolode“oder „Fliegermar­zipan“vertrieben wurde. „Es wurde schon beim Überfall auf Polen eingesetzt“, sagt Kemper. Schließlic­h sei für die Blitzkrieg­taktik ein schnelles Vorankomme­n unabdingba­r – je weniger die Soldaten schlafen mussten, umso besser. Doch das vermeintli­che Wundermitt­el, verwandt mit der heutigen Modedroge Crystal Meth, hatte dramatisch­e Nebenwirku­ngen. Immer mehr Frontsolda­ten wurden süchtig. Bekannt sind etwa die Feldpostbr­iefe des späteren Literaturn­obelpreist­rägers Heinrich Böll, in denen er mehr Pervitin forderte. Das medizinisc­he Problem beschreibt Kemper so: „Der Körper holt sich irgendwann den entgangene­n Schlaf zurück.“Das Kriegsende hätten einige Soldaten im komatösen Zustand erlebt.

Eine verheerend­e Wirkung können Drogen auch im Einsatz selbst haben. 2002 töteten US-Piloten in Afghanista­n vier kanadische Soldaten – aus Versehen. Erst vor Gericht kam heraus, dass die Männer zuvor Drogen genommen hatten. „GoPills“sollten die Piloten bei ihren langen Einsätzen wach halten. Wirkstoff sei das Amphetamin „Dexetrin“. Um den Schlafmang­el auszugleic­hen, sollten sie danach „No-go-Pills“zu sich nehmen – starke Schlafmitt­el. Die US-Luftwaffe bestätigte damals diese Praxis, betonte aber, die Soldaten nähmen die Pillen freiwillig. „Die haben 20er-Riegel bekommen, und da wurde gesagt: Wenn du müde wirst, nimmst du die nächste“, sagt Kemper. Das habe teils zu Überdosier­ungen geführt.

Die Bundeswehr hat Pervitin übrigens schon in den siebziger Jahren aus dem Verkehr gezogen.

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Foto: Imago-Archiv Vietnam-Krieg Anfang der siebziger Jahre: Schon Alexander der Große soll in seinen Garnisonss­tädten Opium für seine Soldaten angebaut haben.
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