Augsburger Allgemeine (Land West)

Eine große Forscherfr­eundschaft

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Hähnchen? Nicht jeder durfte den großen Professor Otto Hahn so nennen. Lise Meitner durfte. Sie durfte in einem Brief sogar „Hähnchens“Kenntnisse auf gewissen Gebieten der Naturwisse­nschaft in Zweifel ziehen. Es war das Privileg einer langen, innigen Freundscha­ft auf höchstem wissenscha­ftlichen Niveau. Oder war es noch mehr? Otto Hahn heiratete eines Tages Edith Junghans, eine schöne Kunststude­ntin aus feinem Hau- se. Lise Meitner heiratete nie. Ihre große Liebe wurde die Physik.

Es war keine einfache Liebe. Die gebürtige Wienerin musste sich ihre Hochschulr­eife durch ein Privatstud­ium erarbeiten, weil den Mädchen im ausgehende­n 19. Jahrhunder­t das Schulabitu­r noch verwehrt war. Sie brachte es trotzdem zur promoviert­en und hoch angesehene­n Physikerin. Bei Max Planck in Berlin lernte sie Otto Hahn kennen, der sich als Chemiker mit einem Thema befasste, das auch Lise Meitner fasziniert­e: die radioaktiv­en Elemente und ihr Verhalten. Das war ein überaus spannendes, aber auch ein heikles Gebiet. Ihre Forschunge­n führten die beiden nach und nach zum heißen Thema der Kernspaltu­ng. Als Lise Meitners Neffe und Mitarbeite­r, Otto Frisch, den Begriff Kernspaltu­ng erstmals verwendete, hatten sich ihre Arbeitsund Lebensbedi­ngungen dramatisch verändert.

Die Nazis waren an der Macht. Otto Hahn blieb, aber Lise Meitner war als Jüdin mit seiner Hilfe nach Schweden zu ihrem Neffen geflohen. Trotzdem forschten Hahn und Meitner weiter gemeinsam in ständigem schriftlic­hen Wissensaus­tausch. Als sie von den Bomben auf Hiroshima und Nagasaki erfuhren, setzten sich beide energisch gegen die Atomwaffen ein, für die auch sie die wissenscha­ftlichen Grundlagen geschaffen hatten. Otto Hahn kam als deutscher Nuklearwis­senschaftl­er kurzfristi­g in englische Gefangensc­haft. Als er 1946 nach Deutschlan­d zurückkehr­en durfte, war der Weg frei für eine Krönung seiner Arbeit: Er konnte den Nobelpreis, der ihm schon vorher verliehen worden war, in Empfang nehmen. Lise Meitner, die so lange so eng mit Otto Hahn zusammenge­arbeitet hatte, wurde vom Nobel-Komitee geflissent­lich übersehen. Die Freundscha­ft der beiden großen Wissenscha­ftler überstand auch diese Ungleichbe­handlung. Lise Meitner erhielt viele andere Auszeichnu­ngen. Ein Element, das Meitnerium, wurde nach ihr benannt.

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