Augsburger Allgemeine (Land West)
Zwischen Aretha und Amy
Die Soul-Sängerin Sharon Jones ist tot
„Ich bin noch hier“, „I’m still here“– so hieß ihr letzter Song, veröffentlicht im Sommer und präsentiert auf vielen Konzerten. Denn dass diese Sharon Stone einfach auf die Bühne musste – dies wusste, wer sie dort erlebt hat. Hier, mit ihren DapKings, lebte diese große Stimme des Soul auf, in ihrem Schwung herrlich mitreißend, in ihrer Innigkeit tief berührend. Und dazu die Wucht ihrer Erscheinung! Nein, auch von den Nebenwirkungen einer Chemotherapie nach erneuter Krebserkrankung ließ sie sich nicht abhalten. Am vergangenen Freitag nun ist die 60-Jährige im Kreis ihrer Familie und Freunde gestorben.
Wer Songs wie „100 Days, 100 Nights“, „The Game Gets Old“oder „If I Call You“heute hört, wird noch immer kaum verstehen, dass ihre Karriere nach vielen Jahren im Background erst mit 45 so richtig begann. Aber für sie, in deren Sound Ikonen wie Aretha Franklin und Ella Fitzgerald fortlebten, war die Zeit erst reif, als Soul zur hippen Retro-Welle wurde. Deren Heldinnen nämlich, wie Amy Winehouse etwa, verehrten Sharon Jones und verschafften ihr, als eigentliche Erbinnen, Aufmerksamkeit. Für die große Karriere und die Branchenriesen aber, so sagte Sharon Jones, sei sie ohnehin „zu klein, zu dick, zu schwarz und zu alt“. Kein Satz von Bitterkeit. Denn nach einem Leben voller Kampf um Selbstbehauptung, war ihr die Unabhängigkeit wichtiger und der Traum eigener Soul-Konzerte – ja, mit den formidablen Dap Kings und sieben Sharon-Jones-Alben tatsächlich Wirklichkeit.
Geboren im Rassismus der Südstaaten, aufgewachsen in den Unruhen Brooklyns, arbeitete diese Sharon Jones zwischenzeitlich auch als Gefängniswächterin und Wachfrau. Beseelt aber wurde sie in den Gospel-Chören. Auch davon singt sie in „I’m still here“, ihrem Vermächtnis, das uns für immer sagt: „Ich bin noch hier.“Wolfgang Schütz