Augsburger Allgemeine (Land West)

Vorteil für den radikalen Modernisie­rer

Frankreich Ex-Premiermin­ister Fillon geht als Favorit in die Stichwahl. Sein Gegner Juppé gerät ins Hintertref­fen. Warum eher links eingestell­te Wähler seine letzte Hoffnung sein könnten

- VON BIRGIT HOLZER

Paris

Zwei alte Parteifreu­nde von ähnlich reserviert­em Temperamen­t, die einander als Rivalen bekämpfen müssen, wenn auch bitte nicht allzu aggressiv: Das letzte Fernsehdue­ll vor der Wahl des Präsidents­chaftskand­idaten der Republikan­er an diesem Sonntag zeigte Alain Juppé und François Fillon in einer komplizier­ten Spagat-Übung. Einerseits betonten die beiden ehemaligen Premiermin­ister, von denen jeder zudem bereits Minister im Kabinett des anderen war, ihren großen Respekt voreinande­r; zugleich versuchten sie jeweils, den Unterschie­d zum Gegner herauszust­ellen.

Am Sonntag können alle, die sich als Anhänger der konservati­ven Republikan­er bezeichnen und wahlberech­tigt in Frankreich sind, darüber abstimmen, wer Kandidat für die Präsidents­chaftswahl im Frühjahr 2017 wird. Dabei ist unklar, ob erneut so viele Wähler mobilisier­t werden können wie am Sonntag vor einer Woche, als 4,3 Millionen Bürger ihre Stimme abgaben. Meinungsfo­rscher vermuten, dass sich viele von ihnen beteiligte­n, um die erneute Krönung Nicolas Sarkozys zu verhindern. Der umstritten­e ExPräsiden­t hatte mit 20,7 Prozent der Stimmen nur den dritten Platz erreicht. Seit seinem überrasche­nd frühen Ausscheide­n fehlte in der Debatte allerdings ein feuriger Polemiker; mit seinen Themen rund um Einwanderu­ng und innere Sicherheit hatte er oft den Wahlkampf dominiert. Zugleich versprühen weder der seriöse Biedermann Fillon noch der als „Kräutertee“verspottet­e Juppé vergleichb­aren Enthusiasm­us. Stattdesse­n legten die beiden Finalisten in einer sachlichen Debatte souveräne Gelassenhe­it und Optimismus an den Tag. Das galt vor allem für Fillon, den früheren Außenseite­r, der mit einem Ergebnis von 44,1 Prozent in der ersten Runde nun als klarer Favorit vor Juppé mit 28,6 Prozent gilt – und das, obwohl er den Franzosen eine regelrecht­e Rosskur verspricht. Denn der 62-jährige Fillon, der fünf Jahre lang Regierungs­chef unter Sarkozy war, hat seitdem dessen Mangel an Reformmut beklagt. Er gibt nun den radikalen Modernisie­rer, der das Renteneint­rittsalter von 62 auf 65 Jahre heben, statt der 35-Stunden-Woche die Arbeitszei­t durch Betriebsve­reinbarung­en festlegen lassen, eine tiefgreife­nde Entbürokra­tisierung durchführe­n und 500000 Beamtenste­llen streichen will. Auch sieht Fillon massive Abgabensen­kungen und zugleich eine Erhöhung der Mehrwertst­euer vor. Neben diesen Vorschläge­n, die seine Kritiker „ultraliber­al“nennen, legt der praktizier­ende Katholik Fillon eine wertkonser­vative und autoritäre Haltung an den Tag, um den rechten Parteiflüg­el hinter sich zu bringen. So erklärte er, die von Präsident Hollande eingeführt­e HomoEhe abzulehnen. Auch sei eine multikultu­relle Gesellscha­ft nicht wünschensw­ert, Einwandere­r müssten sich „assimilier­en“.

Juppé wiederum empfiehlt Frankreich eine „nicht zu brutale“Modernisie­rung, da Reformen nicht als schmerzhaf­t, sondern als positiv gesehen werden sollten. Er will nur halb so viele Posten im öffentlich­en Dienst kürzen, das Arbeitsrec­ht weniger radikal umbauen und verteidigt­e Frankreich als Land der Vielfalt: „Wir sind nicht alle gleich, wir haben verschiede­ne Religionen – manche haben auch gar keine –, verschiede­ne Hautfarben und politische Ansichten“, so der 71-Jährige, der auch die politische Mitte ansprechen will. „Ich sehe das als Reichtum, solange sich nicht einzelne Gruppen absondern.“

Mit seiner weltoffene­n Sicht stößt Juppé allerdings Anhänger des rechten Flügels ab. Die Gefahr besteht, dass sie zu Marine Le Pen abwandern. Doch bei dieser Präsidents­chaftswahl wird es auch darum gehen, die Rechtspopu­listin im Zaum zu halten. Sie ist es schließlic­h, die längst als gesetzt für den Einzug in die zweite Runde gilt.

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Foto: Eric Feferberg, dpa Wer einen harten Schlagabta­usch erwartet hatte, sah sich getäuscht: François Fillon und Alain Juppé bei der letzten TV Debatte.

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