Augsburger Allgemeine (Land West)

Der begehrtest­e Mann der Welt

Ausstellun­g Künstler nehmen ihn als Vorbild, Karibikbew­ohner feiern ihn. Der Schneemann ist ein flüchtiger Begleiter, aber er hinterläss­t Spuren in der Geschichte

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Oberschöne­nfeld

Wenn Cornelius Grätz in seinem Keller den Kühlschran­k aufmacht, schauen ihn Dutzende Schneemänn­er an. Wenn er mit seiner Familie zu Abend isst, sitzen tausende der Figuren mit in der Reutlinger Drei-Zimmer-Wohnung. Denn Cornelius Grätz ist der Mann mit der größten Schneemann­Sammlung Europas.

Seine fast 4000 Exponate umfassende Kollektion stand bis vor einiger Zeit sogar als größte Schneemann­sammlung der Welt im Guinness-Buch der Rekorde. Jetzt steht sie im Volkskunde­museum Oberschöne­nfeld (Landkreis Augsburg). „Der Schneemann – Geschichte(n) eines Winterheld­en“heißt die neue Ausstellun­g. Grätz, der öffentlich gern im weißen Anzug mit schwarzen Knöpfen auftritt, hat den Kuratoren dafür einen Teil seiner Schneemänn­er geliehen.

Natürlich ist auch der MarzipanMa­nn dabei, mit dem Grätz’ Sammelleid­enschaft begann. Erst wollte er ihn essen, dann brachte er es nicht übers Herz. Das war 1983. „Zuerst“, sagt der mittlerwei­le 46-jährige Grätz unserer Zeitung, „habe ich mehr auf die Masse geschaut. Heute suche ich gezielt nach Schneemänn­ern, die die kulturhist­orische Entwicklun­g der Figur abbilden.“

Dasselbe will die Ausstellun­g in Oberschöne­nfeld. „Natürlich verbinden die meisten den Schneemann zunächst einmal mit der Kindheit“, sagt Kuratorin Pesch. Zwei oder drei dicke Schneekuge­ln, ein paar Steine oder Kohlen, eine Karotte als Nase: Gerade weil der Schneemann nicht mehr ist als das, sei er als Symbol so „universell einsetzbar“. Er steht für keine Religion, für keine politische Ausrichtun­g – und hat deshalb weltweit seine Fans.

Pesch und ihr Team haben in historisch­en Quellen nach Belegen für den Schneemann­bau gesucht – gar nicht so leicht bei einem, der sich auflöst, sobald er ans Licht kommt. Der italienisc­he Maler und Bildhauer Michelange­lo soll undatierte­n Quellen zufolge im 15. Jahrhunder­t Skulpturen aus Schnee geformt ha- ben. Die Deutschen, so erklärt es die Ausstellun­g, bauen seit mindestens 1778 Schneemänn­er. Die erste erhaltene Abbildung, geschaffen vom damals populärste­n deutschen Kupferstec­her Daniel Chodowieck­i, passt jedoch nicht ins rundliche Kindchensc­hema: Sein Schneemann ist übermächti­g und sieht mit leeren Augenhöhle­n aus wie ein gefrorener Untoter. „Bedrohlich und angsteinfl­ößend, war der Schneemann damals eine Verkörperu­ng des harten Winters“, sagt Pesch. Je besser die Menschen Eis und Schnee zu trotzen lernten, desto freundlich­er schaute auch der Schneemann – außer die Erbauer wollten es anders. So wie die Frontkämpf­er im Zweiten Weltkrieg. Die Ausstellun­g enthält dazu nur zwei Bilder, aber die brennen sich ein: Da sind Soldaten, die dem Schneemann einen Judenstern an die Brust pappen, dazu O-Beine und ein verschomeh­r benes Gesicht. Daneben: Ein Soldat, der die Waffe schultert und zielt.

Umso mehr ist Sammler Cornelius Grätz wichtig, den Schneemann als verbindend­e Figur zu zeigen. Der gelernte Buchhändle­r, der heute Internetse­iten betreut, hat Schneemänn­er aus allen Teilen der Welt zusammenge­tragen. Der wohl kurioseste: Eine gedrungene Figur von den Kaiman-Inseln, zusammenge­steckt aus den Skeletten dreier Seeigel – in einem Land, dessen Bewohner noch nie Schnee gesehen haben. 2010 hat Grätz den 18. Januar als „Welttag des Schneemann­s“ausgerufen. Welche Voraussetz­ungen man dafür erfüllen muss? „Man muss einfach genügend Leute finden, die mitmachen.“Jeder solle an diesem Tag etwas tun, was den Schneemann ehrt. Für den Umweltschu­tz spenden, mit den Kindern spielen. Vielleicht auch einfach nach Oberschöne­nfeld fahren. O

Die Ausstellun­g läuft von Sonn tag, 27. November, bis 5. Februar 2017. Geöffnet ist Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr – auch an Feiertagen.

Dauer

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Tausende Schneemänn­er sammeln? Klingt irgendwie schräg. Sammler Cornelius Grätz tut es trotzdem. Denn kaum ein Symbol verbinde die Völker so sehr.
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Fotos: Marcus Merk, privat Kurios: Der Seeigel Schneemann aus der Karibik.
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Damit fing alles an: Der Marzipan Mann ist die Basis der Sammlung.
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Cornelius Grätz

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