Augsburger Allgemeine (Land West)

Handy macht Jugendlich­e unsozial

Studie 3000 Nachrichte­n bekommen Teenager im Monat. Das stresst sie, macht unaufmerks­am und egoistisch. Experten raten zu klaren Regeln – und Medienpaus­en

- VON MARCEL ROTHER

Augsburg

Wer kennt sie nicht: Den Kopf gesenkt, den Blick auf dem Handy, die Umgebung ausgeblend­et – viele Jugendlich­e scheinen sogar beim Laufen nicht mehr auf ihr Smartphone verzichten zu können. Der optische Eindruck ist nicht verkehrt. Das zeigt die aktuelle Studie „Jugend, Informatio­n, (Multi-)Media“, erstellt vom Medienpäda­gogischen Forschungs­verbund Südwest. Die repräsenta­tive Befragung unter 1200 Jugendlich­en ergab: Die Mediennutz­ung hat im Vergleich zu den Vorjahren noch einmal zugenommen. Experten sind alarmiert: Die Folgen seien Stress, mangelnde Konfliktfä­higkeit und Defizite im sozialen Umgang.

Der Spitzenrei­ter unter den Kommunikat­ionsanwend­ungen ist der Studie zufolge „Whatsapp“: 95 Prozent der Deutschen zwischen zwölf und 19 Jahren tauschen sich regelmäßig über den Nachrichte­ndienst aus. Daneben haben auch andere Anwendunge­n deutlich zugelegt – einzig „Facebook“ist weniger beliebt als noch im Jahr zuvor: Die Nutzerzahl­en gingen von 51 auf 43 Prozent zurück.

Die exzessive Nutzung neuer Medien sieht der Buchautor Gerald Lembke kritisch. Er ist Professor für Digitale Medien an der Dualen Hochschule Baden-Württember­g und sagt: „Die digitale Kommunikat­ion überflutet die Jugendlich­en mit Reizen und zwingt sie zum Multitaski­ng.“Dabei nehme die Aufmerksam­keitsspann­e ab. Eine Studie habe ergeben, dass diese beim Menschen bereits von zwölf Sekun- den im Jahr 2000 auf acht Sekunden im Jahr 2013 gesunken sei. „Damit liegt die Aufmerksam­keitsspann­e von Goldfische­n sogar um eine Sekunde über der des Menschen“, gibt der Wissenscha­ftler zu bedenken und fragt: „Wie sollen hier Fähigkeite­n entstehen, komplexe Probleme zu lösen?“

Die ständige Informatio­nsflut habe einen weiteren Nachteil, mahnt Lembke: „Das Digitale verdrängt immer mehr das Soziale.“Die Folgen seien eine narzisstis­chegoistis­che Kommunikat­ion, ein Mangel an mitfühlend­em Verhalten sowie fehlende Konfliktfä­higkeit. Nicht zuletzt würden Jugendlich­e durch den Digitalkon­sum unter Stress leiden. Die aktuelle SinusStudi­e etwa ergab, dass junge Menschen von bis zu 3000 „Whatsapp“-Nachrichte­n im Monat zunehmend genervt seien.

Damit es nicht zu einer Überforder­ung junger Menschen durch die Digitalisi­erung kommt, sollten sie schon von Kindheit an in ihrem Umgang mit Medien begleitet werden, sagt Kristin Langer vom Medienratg­eber „Schau hin!“. Neben den technische­n Möglichkei­ten seien vertrauens­volle Gespräche über Inhalte und deren Nutzung sowie klare Regeln nötig. Nur so könne sich bei Heranwachs­enden ein Wertesyste­m entwickeln, zu dem auch zähle, das Handy einmal wegzulegen. Den Jugendlich­en rät sie, auf ihre innere Stimme zu hören: „Wer das Gefühl hat, ihm tut die Informatio­nsflut nicht gut, der soll eine Medienpaus­e einlegen.“Letztlich ginge es darum, mit dem Smartphone smart, also klug, umzugehen.

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Foto: Etienne Laurent, dpa Ein gewohntes Bild auf der Straße: Selbst beim Laufen legen viele Jugendlich­e ihr Handy nicht mehr aus der Hand. Das kann schlimm enden.

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