Augsburger Allgemeine (Land West)
„Man kann sich von nahezu allen häuslichen Pflichten freikaufen“
Deutschland im sogenannten Markt für haushaltsnahe Dienstleistungen. Offiziell, also angemeldet. Etwa vier Mal so viel tun es schwarz. Das Bundeswirtschaftsministerium schreibt von einer Wachstumsbranche: „Das Nachfragepotenzial unter den Privathaushalten wird auf rund 40 Prozent geschätzt, bisher jedoch nicht ausgeschöpft.“So kann man es formulieren. Oder aber auch feiner, pointierter. Wie zum Beispiel Christoph Bartmann, der ein ganzes Buch zu diesem Thema geschrieben hat mit dem griffigen Titel: „Die Rückkehr der Diener. Das neue Bürgertum und sein Personal.“
Bartmann wechselt demnächst als Direktor an das Goethe-Institut in Warschau, die letzten fünf Jahre leitete er das Büro in New York. Einer Stadt, in der das Nachfragepotenzial ein ganz anderes als in deutschen Städten ist. Viel höher nämlich. Wo es nicht nur Doormen gibt in den feinen Apartmenthäusern, die einem die Tür aufhalten, Concierge, die einem Koffer und Pakete auch mal bis in die Wohnung tragen, sondern auch Heerscharen von Putzfrauen, Nannys, Köchinnen und Lieferanten, die morgens in der Lobby einlaufen, um dann in die jeweiligen Apartments zu streben, aus der die Bewohner herausstreben, um Wichtigeres zu erledigen als lästige Haushaltspflichten: ihren Job, ihr Hobby, ihren Sport. Die auch ihren Hund gerne vom Dogsitter abholen lassen, damit der die Runde Gassi geht. „Man kann sich von nahezu allen häuslichen Aufgaben freikaufen und dabei stets auf ein Überangebot an kostengünstiger Arbeitskraft zugreifen“, schreibt Bartmann. Eine Art betreutes Wohnen.
Beinahe „obszön“empfand Bartmann in seiner Anfangszeit in New York dieses neofeudale Leben. Weil man es ja auch als Europäer nicht unbedingt mehr gewöhnt war. Diener, also bitte, doch nicht bei uns! Das Kapitel war nach dem Ersten Weltkrieg hierzulande nahezu ad acta gelegt, weil ja zum einen, wer immer es konnte, sich beispielsweise lieber in Büros oder Fabriken verdingte, als wie in früheren Zeiten ein Schattenleben in fremden Haushalten zu führen. Und weil ja auch die Hausfrau das Kommando im Heim übernahm, sich vielleicht durch moderne Geräte helfen ließ, ansonsten als Einzelkämpferin waltete. Auch diese Entwicklung aber ist schon wieder Geschichte. „Ein halbes Jahrhundert nach dem Exodus des Personals aus den bürgerlichen Haushalten setzt ein gegenläufiger Trend ein, der sich immer mehr verstärkt,“schreibt der Germanist. Kehren eben jene Helferinnen und Helfer zurück, wohnen aber meist nicht mehr im Haus wie einst, sondern kommen nur dann, wenn gebraucht. Sind wir also längst hier in der OnDemand-Dienstleistungsgesellschaft angekommen mit einem Arbeitsheer, das sich vor allem aus süd- und osteuropäischen Ländern rekrutiert. So weit zu Christophs Bartmanns Befund.
Warum aber steigt die Bereitschaft wieder, sich von modernen Heinzelmännchen den Alltag freiräumen zu lassen? Weil es – zumindest gefühlt – anders kaum geht! Die Mittelschicht leidet unter Stress! Vor allem berufstätige Eltern, also jene, die in der sogenannten „Rushhour“des Lebens stehen. Wie bitte soll man denn alles schaffen, wenn der Mann arbeitet, die Frau arbeitet, die Kinder auch gut gedeihen sollen, vielleicht auch noch ein Familienmitglied zu pflegen ist und etwas Freizeit will doch auch noch genossen werden. Das bisschen Haushalt macht sich halt immer noch nicht von allein. Zwar surrt der Staubsaugerroboter selbstständig vor sich hin, rührt brav der Theraber momix die Kartoffelsuppe, aber wer besorgt die Zutaten? Da lässt man sich eben die fertig gepackte Lebensmittelkiste schicken. Oder ordert gleich beim Inder um die Ecke. Fenster putzen? Irre viel Arbeit, die kann man sich doch einmal im Jahr abnehmen lassen? Geschenke kaufen für Weihnachten? Puuh, lieber ins Internet gehen, da wird einem alles auch noch gebracht. Und was die Kinder betrifft? Was tun, wenn die Krippe nachmittags schließt, aber nicht das Büro? Und irgendwann wollen doch auch Mama und Papa mal einen ruhigen Abend zu zweit. Wie gut, wenn es da das Aupair gibt oder den Babysitter für Freitagabend, die Großeltern wohnen ja zu weit weg.