Augsburger Allgemeine (Land West)
Adventskalender muss sein?
Morgens nach dem Aufstehen aufs Barometer klopfen, mittags Mahlzeit wünschen, abends die Tagesschau, später mit dem Hund raus und dann Nachtschlaf in stabiler Seitenlage. Menschen lieben ihre schönen Gewohnheiten und vertrauten Traditionen. In der Weihnachtszeit kommen besonders viele Rituale zusammen. Zu ihnen gehört der Adventskalender. Türchen auf, Schokolade raus – und irgendwann sind es nur noch 6… 5… 4 Leckerlis bis zum neuen Tablet. Das ist in Ordnung und so wenig zu beanstanden wie die Tatsache, dass Kinder sich an Fasching verkleiden. Wer könnte etwas gegen einen so harmlosen Supermarktartikel wie Adventskalender haben?
Weil die Frage aber ein „muss“enthält, geht es hier weiter mit Contra und Widerspruch, zumindest aber Einspruch. Ist nicht der klassische Abreißkalender der sinnvollere Begleiter für uns? Jeden Tag hängt da ein Blatt mit einer Zahl drauf – und dahinter kommt kein Schokolädchen und auch kein buntes Bildchen vom Weihnachtsmann im Schnee, mit dem man billig abgespeist wird, sondern wieder eine magische Zahl. Wer am Morgen des 3. Februar den 2. Februar vom dicken Block reißt, der denkt sicher noch nicht an den 24. Dezember. Aber zwischen Zeigefinger und Daumen kribbelt ein Gefühl für die Vergänglichkeit, für Anfang und Ende. Wer abgerissene Tage in einer Schachtel sammelt und ab und zu durch die Hände rieseln lässt, besinnt sich ganzjährig und hat es nicht nötig, sich im Advent auf einen konfektionierten Countdown einzulassen. Und ist es nicht so, dass der Adventskalender heute ein absurder Nachzügler ist, der einsetzt zu einem Zeitpunkt, da auf den Weihnachtsmärkten und OnlinePortalen, in den Läden, Straßen und Vorgärten das Fest längst angezählt ist?