Augsburger Allgemeine (Land West)
Kann Frankreich den Rechtsruck jetzt noch verhindern?
Leitartikel Mit François Fillon steht ein strammer Konservativer zur Wahl. Warum das den Rechtspopulisten mehr schaden könnte als dem angeschlagenen Präsidenten
François Fillons Vorteil war, dass er unterschätzt wurde. Als Dritter hinter Alain Juppé und Nicolas Sarkozy war er ins Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der französischen Konservativen gegangen, als Erster ging er ins Ziel. Die Favoriten waren so sehr mit sich beschäftigt, dass sie sich kaum um Fillons radikales Reformprogramm und seine stramm wertkonservativen Positionen kümmerten. Dabei hatte keiner ein derart präzises Programm wie der Ex-Premierminister, der verspricht, Frankreich wieder stark zu machen.
Noch ist Fillon aber nur der Kandidat und nicht der Präsident. Denn seine Rezepte werden nicht jedem gefallen: weder den Beamten, deren Zahl er um eine halbe Million verringern will, noch den Arbeitnehmern, die statt 35 Stunden pro Woche mindestens 39 arbeiten sollen. Zwar verspricht der Konservative, Steuern und Abgaben zu senken, aber doch in erster Linie für Reiche und Unternehmen. Der Liberalismus in der Wirtschaftspolitik, für den er wirbt, gilt vielen Franzosen als Schimpfwort, nicht als Tugend.
Dass Fillon nach dem Triumph über seine innerparteilichen Rivalen auch die Präsidentschaftswahl gewinnen kann, ist deshalb längst nicht ausgemacht. Für ihn gestimmt haben überwiegend besser verdienende, ältere Menschen auf dem Land. Künftig geht es aber darum, die Mehrheit aller Franzosen zu überzeugen. Wie seine Chancen dafür stehen, hängt vor allem davon ab, wer sein Gegner sein wird.
Der junge Ex-Wirtschaftsminister Emmanuel Macron könnte Probleme haben, mit seinen ähnlich wirtschaftsliberalen Visionen noch einen Platz im Kreis der Mitbewerber zu finden. Er will sich als „demokratischer Revolutionär“gegen die alte Garde profilieren und setzt auf den Verdruss über die etablierten Politiker. Das teilt er mit der Rechtspopulistin Marine Le Pen. Für sie dürfte Fillon mindestens genauso schwer zu bekämpfen sein, da er viele ihrer Themen abdeckt. Auch der Ex-Premier steht für eine von der EU unabhängige Außenpolitik und eine innenpolitisch harte Linie. Sein Werben für ein „Europa der Nationen“signalisiert nicht gerade den Wunsch, die deutschfranzösische und europäische Zusammenarbeit zu vertiefen. Wie Le Pen zeigt auch Fillon Wohlwollen gegenüber Putins Russland und verteidigt das klassische Familienmodell. Indem er sich klar gegen eine multikulturelle Gesellschaft, für die Begrenzung der Zahl von Einwanderern und deren „Assimilierung“ausspricht, stellt er den einflussreichen rechten Parteiflügel zufrieden, der mit einem Kandidaten Juppé vielleicht zum Front National abgewandert wäre.
Präsident François Hollande wiederum, der entschlossen scheint, trotz seiner großen Unbeliebtheit nochmals anzutreten, würde in Fillon den einfacheren Gegner bekommen. Der Konservative polarisiert und ermöglicht es den Sozialisten damit, ein traditionell linkes Programm anzubieten sowie sich als Hüter des französischen Sozialmodells mit großzügigen Transferleistungen zu empfehlen.
Zwar tritt Fillon nicht als rechtsdrehender Polemiker auf wie ExPräsident Nicolas Sarkozy, doch präsentiert auch er eine harte und autoritäre Linie. Als Reaktion darauf könnte sich die Linke hinter einem inhaltlichen und personellen Gegenentwurf versammeln – wenn die Entscheidung darüber nicht zum Desaster gerät. Genau darauf deutet allerdings momentan der offene Machtkampf zwischen Hollande und seinem Premierminister Manuel Valls hin. Die Sozialisten stehen vor einem Schlüsselmoment: Entweder sie einigen sich auf eine Person und ein Programm, das sie mit den Menschen versöhnt. Oder sie kapitulieren vor Fillon und Le Pen.
Die Sozialisten stehen vor der Schicksalsfrage