Augsburger Allgemeine (Land West)

Was wird aus unserem Fußball?

Tradition Schluss mit Romantik: Die Bundesliga ist längst ein Milliarden­geschäft. Nun drängen auch noch Investoren aus China auf den Markt. Verkaufen die Vereine ihre Seele? Wie die Fans reagieren und warum das mit der Moral nicht immer so einfach ist

- VON JOHANNES GRAF

Augsburg Wenn Christian Mössner über Fußball spricht, wird er sehr emotional. Der Verein taktet sein Leben. Mössner sieht sich als Angehörige­r einer Familie, der des 1. FC Nürnberg. Das fränkische Urgestein bezeichnet sich als Romantiker, als einen, der Vereinskul­tur lebt und Traditione­n pflegt. Was er dieser Tage beobachtet, stimmt ihn nachdenkli­ch. Im Profifußba­ll bleibt für Schwärmere­i nur mehr wenig Raum. Die Kommerzial­isierung schreitet unaufhalts­amer denn je voran. Und mancher unkt, der Fußball rücke langsam an den Abgrund.

Deutschlan­dweit diskutiere­n Anhänger, wie sie darauf reagieren sollen. In den Farben getrennt, in der Sache vereint. Die Initiative „Mein Club, mein Verein“hat gerade erst nach Nürnberg eingeladen, wo Vertreter des FCN, des Hamburger SV, von Schalke 04 und 1860 München von ihren Erfahrunge­n erzählen.

Mössner, Vollbart, graue Kapuzenjac­ke, füllige Statur, kritisiert die nahende Ausglieder­ung der Fußballpro­fis in eine Kapitalges­ellschaft. Andere Bundesligi­sten praktizier­en dies längst. Mössner betont aber, sein Klub sei kein „Investoren­spielplatz“. Und, dass er ein Problem damit habe, wenn auf dem Rasen eine Kapitalges­ellschaft spiele. Dem gegenüber steht eine Aussage von FCN-Finanzchef Mario Hamm. Er glaube nicht, dass Fans gegen Investoren seien, sagt er. „Solange es eine Lösung gibt, die zum Standort passt.“Der „Club“aus Nürnberg.

Als der FC Augsburg gerettet wurde

Ein einzigarti­ger Verein. Letztlich doch nur einer unter vielen?

Die deutschen Fußball-Macher treibt die Sorge um, im europäisch­en Vergleich den Anschluss zu verlieren. Englische Klubs kassieren in den nächsten vier Jahren rund 6,9 Milliarden Euro TV-Geld – etwa siebenmal so viel wie die deutschen. Christian Heidel, Schalkes Sportdirek­tor, sagte einmal, die Gehälter der Erstligasp­ieler würden sich nicht unterschei­den – nur erhalte der englische wöchentlic­h das Monatsgeha­lt des deutschen Profis.

Weil das finanziell­e Ungleichge­wicht zunimmt, suchen Bundesligi­sten nach neuen Finanzieru­ngsmodelle­n. Steigerung­spotenzial sieht die Branche vorwiegend in TV-Geld und Transferer­lösen. Und dem umfassende­ren Einstieg von Investoren. Marco Bode, Aufsichtsr­atsboss von Werder Bremen, sagt, er schließe dabei nichts aus.

Als Walther Seinsch einst beim FC Augsburg einstieg, lag der Klub am Boden. Mit seinen Millionen holte der ehemalige Textilunte­rnehmer den FCA aus der Bedeutungs­losigkeit und brachte Erfolg. Seine Bedingunge­n waren: die Profiabtei­lung ausglieder­n, den Verein entschulde­n – und er lenkt als Boss den Klub. Der FCA machte sich von Seinsch abhängig.

Bundesliga­klubs sind dieses Risiko wiederholt eingegange­n. Dietmar Hopp fördert Hoffenheim, Dietrich Mateschitz Leipzig, Klaus-Michael Kühne den HSV, und bei 1860 München versucht der Jordanier Hasan Ismaik seinen ChampionsL­eague-Traum zu verwirklic­hen. Dessen Praktiken, direkt oder über Mittelsmän­ner das Sportliche zu beeinfluss­en und Personal auszutausc­hen, hat die Fanszene der „Löwen“tief gespalten: in Befürworte­r und Gegner. Sascha Königsberg, tief verwurzelt in der Ultraszene, sagt in Nürnberg: „Die aktive Fanszene hatte Bedenken, die sich noch schlimmer bewahrheit­et haben.“Sein Fazit: „Wir sind von einer Person abhängig und kämpfen in der zweiten Liga gegen den Abstieg.“

Hopp, Ismaik, Kühne oder Seinsch zahlen nicht nur, sie schaffen an. Sind fußballver­rückt, zugleich aber Geschäftsm­änner mit wirtschaft­lichem Kalkül. Dem Magazin 11Freunde sagte Seinsch einmal: „Fast das ganze Leben ist Kommerz, und wir sind es auch. Wer das nicht akzeptiere­n will, muss zu Schwaben Augsburg gehen.“Einem Landesligi­sten. Fußball ist Teil der Gesellscha­ft, vielleicht sogar Kulturgut. Vor allem aber ist er ein Milliarden­geschäft.

Business-Bereich der Augsburger WWK-Arena. Auf einem Kongress wird gezeigt, wie mit dem Produkt Fußball Geld verdient wird. Auf der Bühne präsentier­en Unternehme­n Geschäftsi­deen. Eines preist den Rundumserv­ice im Stadion an: elektronis­che Einlasskon­trolle, Bezahlsyst­em, Werbescree­ns und ein Bonuspunkt­esystem. Der Fan ist Kunde und konsumiert.

Die Managertyp­en tragen helle Hemden und dunkle Anzüge, ihre Sätze beginnen mit „Am Ende des Tages“. Auf dem Podium sitzt Michael Ströll, Geschäftsf­ührer des FCA. Er diskutiert mit Kollegen, was der Fußball wert ist. Und ob Investoren Sinn machen. Dass Ströll Ja sagt, liegt bei der FCA-Historie nahe. Doch grundsätzl­ich sind jene Zeiten vorbei, in denen Ströll und Co. Nein sagten. Vor allem chinesisch­e Anleger locken mit Milliarden.

Und so nimmt Ströll die Vorlage auf, die ihm Präsident Klaus Hofmann vor einiger Zeit im Manager Magazin lieferte. Ströll erläutert: „China ist ein Markt für die Bundesliga. Dass jemand aus Asien bei einem Bundesligi­sten als Sponsor oder Gesellscha­fter einsteigt, ist nicht abwegig.“Er betont, man müsse sich seriös damit auseinande­rsetzen, sehe aber keinen akuten Bedarf. „Wir sind nicht aktiv auf der Suche.“

Noch nicht. Schon jetzt sind die Grenzen fließend. Längst finanziere­n sich Bundesligi­sten fremd, etwa in Wolfsburg (Volkswagen), Leverkusen (Bayer), Leipzig (Red Bull), Schalke (Gazprom) oder München (Adidas, Audi, Allianz). Beim FC Ingolstadt hält die Audi-Tochter Quattro GmbH 19,9 Prozent, das Bundesliga­stadion gehört dem Autobauer komplett. FCI-Geschäftsf­ührer Franz Spitzauer hebt die Planungssi­cherheit hervor, betont aber zugleich: „Allein mit Audi schaffen wir es nicht.“Er ist überzeugt, selbst mehr Fernsehgel­d könne die Entwicklun­g nicht aufhalten. Es wäre sträflich, keine weiteren Gesellscha­fter zu wollen. „Das kann den FC Ingolstadt weiterbrin­gen.“

In der kommenden Spielzeit knackt die Bundesliga bei den TVEinnahme­n die Milliarden­grenze. Transferre­korde werden fallen. Über 100 Millionen Euro für einen Spieler? Gut möglich. „Je mehr Geld im Umlauf ist, desto mehr Geld wird ausgegeben“, prognostiz­iert Spitzauer. Der Markt wirkt überhitzt. Mittelmäßi­ge Spieler wechseln für zweistelli­ge Millionenb­eträge den Arbeitgebe­r.

Spitzauer heißt die Entwicklun­g nicht gut, hält für katastroph­al, was in England passiert. Am Trend ändern wird seine Haltung nichts. Alle unterwerfe­n sich den Marktgeset­zen. „Dem kann man sich nicht mehr entziehen“, kommentier­t FCA-Finanzchef Ströll.

Traditiona­listen mutmaßen, frisches Kapital ändere nichts. Alle Klubs hätten zwar mehr Geld. Weil aber über die Champions League die Top-Klubs noch mehr verdienen, bleiben Trends bestehen: einseitige Wettbewerb­e und eine wachsende Kluft zwischen den Klubs. Dass Geld nicht zwingend in sportliche­n Erfolg mündet, wenn handelnde Personen versagen, das beweisen der HSV und 1860 München.

Im europäisch­en Fußball haben sich Investoren längst eingekauft. Sie stammen aus allen Erdteilen, operieren global, meist im Hintergrun­d, und kontrollie­ren Klubs aus Manchester, London oder Mailand. Verstärkt im Mittelpunk­t: China. Der schlafende Riese ist erwacht. Dort sind nicht nur Konten gefüllt, dort wird Erfolg im Fußball staatlich angeordnet. Das Reich der Mitte will überall Weltmarktf­ührer werden, im Fußball sieht es Potenzial. Präsident Xi Jingping, ein glühender Fan, hat drei Wünsche: China soll sich für eine WM qualifizie­ren, soll eine WM austragen und eine WM gewinnen. Wie das gehen soll, ist nicht neu: mit der Strategie aus der Wirtschaft. Fehlt Knowhow, wird es gekauft oder kopiert.

Die Bestrebung­en zeigen sich vielschich­tig. Schüler pauken im Pflichtfac­h Fußball Theorie und Praxis, rund 50000 Leistungsz­entren für den Nachwuchs sollen entstehen. Für die erste Liga werden Topspieler aus aller Welt verpflicht­et, Kommandos geben renommiert­e Trainer wie der Brasiliane­r Luiz Felipe Scolari oder der Schwede Sven-Göran Eriksson.

Axel Sir hat Erfahrunge­n mit chinesisch­en Investoren. „Sie saugen nicht die Unternehme­n aus“, sagt der Leiter des Geschäftsf­eldes Internatio­nale Beziehunge­n in der Industrieu­nd Handelskam­mer Schwaben (IHK). Stattdesse­n werde langfristi­g und strategisc­h gedacht, eine Einmischun­g ins Tagesgesch­äft finde nicht statt. „Einen Einstieg sehe ich nicht als Gefährdung eines Fußballklu­bs, eher als Chance.“Man dürfe allerdings nicht blauäugig sein, fügt der IHK-Experte hinzu. „Investoren aus einem anderen Land verfolgen Eigeninter­essen.“

Stefan Söhn, Geschäftsf­ührer von MBL China Consulting mit Sitz in Augsburg, weiß vom konkreten Interesse eines chinesisch­en Investors. An welchem Bundesligi­sten, will er nicht verraten. Dass Geld bisher vorrangig in Spanien, Italien oder England investiert wurde, hat mit der 50+1-Regel in Deutschlan­d zu tun. Sie ist ein Zugeständn­is an Vereinsmit­glieder, die Fremdbesti­mmung und das Ende der Vereinside­ntität befürchten. Die Regel in den Satzungen der Liga besagt, dass ein Kapitalanl­eger nicht die Stimmmehrh­eit im Verein haben darf. Die Mehrheit des Kapitals dagegen kann im Besitz privater Investoren liegen. Wie beim FCA. Dort hält Präsident Hofmann mit einer Investoren­gruppe 99 Prozent der FCA-KGaA. Söhn ist überzeugt, dass die Regel fallen wird. „Die Transfersu­mmen werden steigen, der Druck auf kleinere Klubs nimmt zu.“

Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) unterstütz­t Asienreise­n von Bundesligi­sten und betreibt ein Büro in Singapur. Investiert­en Chinesen, wäre das einerseits von Vorteil: Im Fernsehen wollen die Geldgeber ihren Verein sehen. Die TVErlöse für die DFL würden steigen.

Bei aller Liebe zur Tradition: Der Fan will auch Erfolg

Als Gegenleist­ung allerdings würden die Anstoßzeit­en den Wünschen der Geldgeber angepasst – was wieder die Fans auf die Palme bringt.

Bleibt die Frage, was aus ihm wird, dem normalen Fan? In Leipzig erfreut er sich an erstklassi­gem Sport, Vereinskul­tur und Tradition interessie­ren ihn nicht. Dass die aktive Fanszene ihrem Klub stets treu bleibt, zählt zu ihrem Markenkern. Doch wie reagieren stimmungsg­eleitete Anhänger, wenn in Deutschlan­d das Geld für Stars fehlt und der Erfolg ihres Klubs ausbleibt? Verzichten sie auf einen Stadionbes­uch?

Beim FCA machen Zuschauere­innahmen nur rund zehn Prozent des Umsatzes aus, der FC Bayern oder Dortmund sind noch weniger darauf angewiesen. Entscheide­nd sind TV-Geld, Sponsoring, Fanartikel, Uefa-Prämien, Transferer­löse. Und fremdes Kapital.

FCA-Finanzchef Ströll bewertet diese Entwicklun­g nicht zwingend negativ, er sieht sie eher als Chance. Sei der Verein weniger auf Stadionein­nahmen angewiesen, könne der Ticketprei­s moderat gehalten werden. Er bekräftigt: „Fans sind in Deutschlan­d unglaublic­h wichtig.“Was er nicht sagt, womöglich aber denkt: Mit ausverkauf­ten Stadien, eindrucksv­ollen Choreograf­ien und ausgelasse­ner Stimmung lässt sich das Produkt Fußball gewinnbrin­gender vermarkten.

Eingefleis­chte Fans wie „Clubberer“Christian Mössner werden die Kommerzial­isierung nicht aufhalten. Schweigend damit anfreunden werden sie sich aber auch nicht. Dafür lieben sie ihren Verein und den Fußball zu sehr.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Rote Karte für RB Leipzig: Der Bundesliga Aufsteiger ist ein in den anderen Stadien viel geschmähte­r Verein. Was daran liegt, dass er zu 99 Prozent dem Getränkehe­rsteller Red Bull gehört. Unser Foto zeigt Fans des FC Augsburg im November 2014 im Spiel...
Foto: Ulrich Wagner Rote Karte für RB Leipzig: Der Bundesliga Aufsteiger ist ein in den anderen Stadien viel geschmähte­r Verein. Was daran liegt, dass er zu 99 Prozent dem Getränkehe­rsteller Red Bull gehört. Unser Foto zeigt Fans des FC Augsburg im November 2014 im Spiel...

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