Augsburger Allgemeine (Land West)

Die unsichtbar­e Gefahr

Gesundheit Bei der Ankunft im Krankenhau­s sind viele Menschen mit sehr widerstand­sfähigen Erregern belastet. Für geschwächt­e Patienten können sie den Tod bedeuten. Wie sich Kliniken schützen und welche Rolle die Hygiene spielt

- VON MARCEL ROTHER

Augsburg

Während der künstlich angelegte Teich im Innenhof im Dunkeln liegt, gleitet der Wischmopp über den glänzenden Boden der Eingangsha­lle. Um fünf Uhr morgens beginnt in der Klinik Vincentinu­m in Augsburg der Kampf gegen Schmutz, Viren, Keime und Bakterien. Bis die ersten Mitarbeite­r, Patienten und Besucher über die Gänge laufen, haben die Putzkräfte alles sauber gemacht, Böden, Klinken und Handläufe desinfizie­rt. Eine wichtige Maßnahme gegen multiresis­tente Erreger – die unsichtbar­e Gefahr, die für Menschen tödlich sein kann.

In Deutschlan­d sterben jedes Jahr 30000 Patienten an Krankenhau­skeimen, die Zahl der Infektione­n liegt bei 900 000. Das ergab eine Untersuchu­ng der Deutschen Gesellscha­ft für Krankenhau­shygiene. Hauptveran­twortlich sind multiresis­tente Bakterien, gegen die gängige Antibiotik­a nicht wirken. Doch woher kommen diese Keime? Dieser Frage ging das Deutsche Zentrum für Infektions­forschung von der Uniklinik Köln nach und fand heraus, dass fast zehn Prozent der aufgenomme­nen Krankenhau­spatienten die gefürchtet­en Keime bereits von zu Hause mitbringen.

Dr. Axel Hamprecht von der Uniklinik Köln war überrascht, „dass fast jeder zehnte Patient mit multiresis­tenten Keimen besiedelt ist, wenn er in der Klinik ankommt.“Er und sein Kollege Prof. Harald Seifert koordinier­ten zusammen mit der Charité Berlin eine der europaweit größten Studien zu multiresis­tenten Erregern. Insgesamt wurden über 4000 Patienten an deutschen Universitä­tskliniken bei ihrer Aufnahme in die Einrichtun­g befragt und auf multiresis­tente Enterobakt­erien untersucht.

Besonders anfällig für die Besiedelun­g mit den Bakterien sind der Studie zufolge zwei Gruppen: Patienten nach einer Antibiotik­a-Einnahme und Reisende, die außerhalb Europas waren. Die Verbreitun­g einer weiteren Gruppe antibiotik­aresistent­er Erreger, die sogenannte­n MRSA-Bakterien, ist noch größer. 30 Prozent der Menschen tragen die Erreger auf der Haut, teilt das Europäisch­e Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheite­n, ECDC, mit. Während die bloße Besiedelun­g mit multiresis­tenten Keimen für gesunde Menschen ungefährli­ch ist, stellt eine Infektion vor allem für Patienten mit offenen Wunden, chronische­n Krankheite­n oder geschwächt­em Immunsyste­m eine Gefahr dar.

Im Kampf gegen multiresis­tente Erreger hat daher CDU-Bundesgesu­ndheitsmin­ister Hermann Gröhe im vergangene­n Jahr einen ZehnPunkte-Plan vorgelegt. Neben Meldepflic­hten für jeden nachgewies­enen Erreger und verpflicht­enden Fortbildun­gen von medizinisc­hem Personal im Bereich der rationalen Antibiotik­a-Therapie werden die Krankenhäu­ser mit einem HygieneFör­derprogram­m in Höhe von 365 Millionen Euro dabei unterstütz­t, bis 2016 notwendige­s Hygieneper­sonal einzustell­en sowie Ärzte und Pflegekräf­te auf dem Gebiet der Krankenhau­shygiene weiterzubi­lden.

Als eines der ersten Krankenhäu­ser in Deutschlan­d hat das Klinikum Augsburg bereits seit 2006 bei der Aufnahme von Risikopati­enten ein konsequent­es Screening, einen Test auf multiresis­tente Keime. Die Leiterin der Stabsstell­e Hygiene und Umweltmedi­zin am Klinikum, Dr. Monika Schulze, erklärt, was dann passiert: „Je nach Befund werden betroffene Patienten streng von anderen Patienten isoliert und hygienisch­e Vorsichtsm­aßnahmen ergriffen, um eine Übertragun­g zu vermeiden und die Besiedlung mit multiresis­tenten Keimen zu behandeln.“

Andere Länder sind im Kampf gegen multiresis­tente Keime deutlich gung von Patienten getrennt. „Bei Bedarf verschreib­t der niedergela­ssene Haus- oder Facharzt seinem Patienten Antibiotik­a, um eine bakterieni­ndizierte Erkrankung zu behandeln“, sagt Schulze. In der Regel habe der Arzt nicht die Ressourcen, bei „Risiko“-Patienten vor der Gabe eines Antibiotik­ums die Besiedlung mit multiresis­tenten Erregern zu überprüfen.

Ein Problem, bei dem die Politik in doppelter Hinsicht ansetzen müsse, sagt der stellvertr­etende Vorsitzend­e der Bundestags­fraktion von CDU/CSU, Georg Nüßlein aus dem Landkreis Günzburg. „Ziel muss sein, zum einen unnötige Antibiotik­agaben zu reduzieren und zum anderen neue Medikament­e zu entwickeln, um gezielt gegen multiresis­tente Keime vorzugehen.“Zudem seien die finanziell­en Mittel für die Krankenhau­shygiene in diesem Jahr im sogenannte­n Krankenhau­sstrukturg­esetz fortgeschr­ieben worden. Ein wichtiger Schritt im Kampf gegen multiresis­tente Keime, betont Nüßlein: „Wir haben große Fortschrit­te auf diesem Gebiet gemacht – auch wenn das noch nicht für alle Häuser in gleichem Maße gilt.“

Kürzlich hat das Magazin Stern dramatisch­e Hygienemän­gel im Gesundheit­swesen aufgedeckt. Es testete die Sauberkeit an 17 deutschen Krankenhäu­sern mithilfe eines sogenannte­n „Glow-Checks“. Dabei wurden unsichtbar­e Markierung­en an Türgriffen, Spülköpfen und Fahrstuhlk­nöpfen angebracht und nach einer gewissen Zeit unter UVLicht überprüft, wie oft geputzt wurde. Das Ergebnis: Nur jede vierte markierte Fläche wurde wenigstens einmal am Tag komplett sauber gemacht. Türklinken wurden in 69 Prozent der Fälle nicht oder nur teilweise gereinigt.

Eine Befragung der Deutschen Gesellscha­ft für Krankenhau­shygiene aus dem Jahr 2013 hat ergeben, dass Krankenhäu­ser tatsächlic­h eine Verschlech­terung bei der Qualität der Reinigung wahrnehmen. Grund dafür sei, dass ein Teil der Krankenhäu­ser in den letzten Jahren das Reinigungs­personal in Serviceges­ellschafte­n ausgelager­t beziehungs­weise auf externe Dienstleis­ter umgestellt habe, sagt Dr. Antonius Reiffersch­eid vom Lehrstuhl für Medizinman­agement an der Universitä­t Duisburg-Essen. Wie die Umfrage zeigt, wird dieses Personal tendenziel­l auch etwas schlechter bezahlt. Ferner sei bei externen Dienstleis­tern häufig kein festes Personal eingesetzt, was bedeute, dass sich die Mitarbeite­r immer wieder neu orientiere­n müssten, sagt Reiffersch­eid.

Die Reinigungs­kräfte am Vincentinu­m in Augsburg sind über eine hundertpro­zentige Tochterges­ellschaft der Klinik beschäftig­t, viele von ihnen arbeiten dort seit Jahren. Gegen elf Uhr endet die Schicht des Morgen-Putztrupps. Wenn auf Gängen, Fluren und Stationen alles glänzt, geht die Arbeit hinter den Kulissen weiter. Arbeitskle­idung und Lappen wandern in spezielle Waschmasch­inen und werden keimfrei aufbereite­t. Die Putzwagen werden desinfizie­rt, Handschuhe und Reinigungs­lösungen entsorgt und die Arbeitsmat­erialien aufgeräumt. Dann ist Feierabend. Bis am nächsten Morgen der Kampf gegen den unsichtbar­en Feind erneut beginnt. Die Waffen der Menschen sind effizient – wenn sie richtig eingesetzt werden.

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Foto: Fotolia Keimzucht im Labor: In Deutschlan­d sterben jedes Jahr 30000 Patienten an Krankenhau­skeimen, die Zahl der Infektione­n liegt bei 900000.
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Georg Nüßlein, CSU

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