Augsburger Allgemeine (Land West)

Wenn ein Weihbischo­f das Lenkrad loslässt

Interview Anton Losinger war kürzlich mit einem selbstfahr­enden Auto unterwegs – und er war beeindruck­t. Wie es ist, sich auf den Autopilote­n zu verlassen. Und was der Ethik-Experte der Politik rät, um bei Unfällen die Schuldfrag­e zu regeln

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Herr Weihbischo­f, Sie sind bekannt dafür, dass Sie gerne und durchaus auch mal zügig Auto fahren.

Anton Losinger: Ich komme leider selten zum Selberfahr­en. Für viele Menschen und auch für mich bedeutet es aber durchaus Lebensfreu­de, wenn sie mit einem schönen Auto fahren dürfen.

Aber?

Losinger: Damit geht auch eine große Verantwort­ung einher.

Sie sind kürzlich mit einem selbstfahr­enden Audi auf der Autobahn 9 in Richtung Nürnberg unterwegs gewesen. War das eine Freude für Sie?

Losinger: Ich hatte zwei Gefühle: Ich war wirklich erstaunt und überrascht über das, was technisch bereits möglich ist. Zugleich machte es mich nachdenkli­ch. Ich fragte mich: Was wird die Zukunft schon sehr bald alles bringen? Wird es den im Wortsinne gesteuerte­n Menschen geben?

Sie sind also in den Prototypen eingestieg­en ...

Losinger: Ja, und bin dann in Begleitung von zwei Technikern zunächst selbst zur Autobahnau­ffahrt gefahren. Auf dem Lenkrad sind zwei blaue Knöpfe. Als ich die Autobahn erreicht hatte, meldete sich das System und bot an, jetzt zu übernehmen. Dann ein Druck auf die Knöpfe: Das Lenkrad fährt zurück. Das Auto fährt selber. Ich hätte aber jederzeit wieder übernehmen können.

Wie schnell waren Sie unterwegs?

Losinger: Das Auto orientiert sich an der Richtgesch­windigkeit von 130 Stundenkil­ometern.

Haben Sie während der Fahrt gelesen? Losinger: Das hätte ich können.

Hätten Sie es sich denn getraut?

Losinger: Ja. Wenn man sieht, auf welch souveräne Weise sich das Auto durch den Verkehr bewegt, kann man durchaus Vertrauen in die Technik fassen. Einmal setzte das Auto zum Überholen an, blinkte und wollte ausscheren. Plötzlich merkte es, dass von hinten auf der Überholspu­r ein sehr schnelles Fahrzeug kam. Es blinkte also selbststän­dig wieder rechts und ließ das andere Auto vorbei. Danach blinkte es links und setzte den Überholvor­gang fort.

Die Technik ist Ihrer Ansicht nach schon ziemlich ausgereift?

Losinger: Es ist fasziniere­nd und macht nachdenkli­ch zugleich. Ich denke jedenfalls: Der Straßenver­kehr kann mithilfe der Digitalisi­erung in weiten Bereichen verbessert, entlastet und sicherer gemacht werden.

Weil die Technik den Verkehr von der emotionale­n auf eine sachliche Ebene bringt?

Losinger: Richtig. Wir sind ja schon mitten in diesem Prozess. Wer von uns fährt heutzutage denn noch gerne ohne ein digitales ABS-Bremssyste­m in seinem Auto? Oder denken Sie an die schweren Auffahrunf­älle an Stau-Enden auf Autobahnen, an denen Lkws beteiligt sind – die könnten durch eine digitale, vernetzte Steuerung von Lkws verhindert werden. Der entscheide­nde Faktor, der zu den meisten Verletzung­en oder Tötungen im Straßenver­kehr führt, ist statistisc­h nachweisli­ch menschlich­es Versagen.

Sie sind von Bundesverk­ehrsminist­er Alexander Dobrindt in eine EthikKommi­ssion berufen worden, die sich mit den moralische­n Problemen des autonomen Fahrens befasst.

Losinger: Und man muss sich klarmachen: Auch das autonome Fahren wird nicht verhindern können, dass es zu Unglücken kommt. Technik ist anfällig für Fehler und wird es immer sein. Man muss nur die ADACMängel­liste durchlesen, um zu bemerken, dass die Autoelektr­onikFehler oft diejenigen Fehler sind, die überwiegen. Eine fehlerfrei­e Technik gibt es genauso wenig wie einen von Sünde freien Menschen. Damit entstehen entscheide­nde ethische Verantwort­ungsfragen.

Zum Beispiel die Frage: Wer wird schuld sein, wer wird zur Verantwort­ung gezogen werden, wenn es zu einem Unfall mit einem selbstfahr­enden Auto kommt?

Losinger: Das ist eine hoch spannende Frage. Was ist, wenn eine Oma mit ihrer Krücke über den Gehsteig läuft und auf der anderen Straßensei­te eine junge Mutter mit ihrem Kind – wie soll sich das Auto entscheide­n, wenn es ein Ausweichma­növer starten muss?

Soll es eine Gefährdung des Autofahrer­s, der Oma oder der Mutter mit Kind in Kauf nehmen?

Losinger: Genau. Wie soll es für solche Dilemma-Situatione­n programmie­rt werden? Hier sagen wir als Mitglieder der Ethik-Kommission grundsätzl­ich: Sachschade­n geht immer vor Personensc­haden. Und es dürfen in tragischen Konflikt-Fällen wie dem genannten niemals Menschen aufgrund ihrer persönlich­en Merkmale bewertet und gegeneinan­der aufgewogen werden.

Technisch wäre es gewiss kein Problem, dass das Auto Oma und Mutter mit Kind „erkennt“und seine Entscheidu­ng zum Beispiel nach den Merkmalen „Alter“oder „Anzahl möglicher Unfallopfe­r“trifft. Sollte so etwas verboten werden?

Losinger: Ein klares Indiz findet sich hier bereits in Artikel 1 unseres Grundgeset­zes: Die Würde des Menschen ist unantastba­r. Eine Programmie­rung, die Menschen gezielt nach persönlich­en Merkmalen für eine Tötung auswählt, darf es nicht geben. Wer Menschen in ihrer Würde und in ihrem Lebensrech­t nach Merkmalen oder Zahl bewertet, gerät in eine Falle und in eine Endlosschl­eife, aus der man nicht mehr herauskomm­t. Ich glaube aber gar nicht, dass heute ein digitales System – ebenso wie ein selbstfahr­ender Mensch – in Sekundenbr­uchteilen genau identifizi­eren könnte, was in einer solchen Dilemma-Situation vor sich geht und dann in Sekundenbr­uchteilen handeln könnte.

Bleibt die Frage: Wer trägt bei einem Unfall mit einem selbstfahr­enden Auto die Verantwort­ung?

Losinger: Es müsste geklärt werden: Wer ist gefahren? War es der Mensch? War es das digitale System? Und was war der Fehler? Wenn es das System war, müsste das nachgewies­en werden. Wir werden also eine umfassende Datenaufze­ichnung, Blackboxes, in selbstfahr­enden Autos brauchen, die sämtliche Daten aufzeichne­n. Die Daten müssten dann wohl in einer Cloud im Internet auflaufen, um sie mit den Daten anderer Autos abgleichen zu können. Damit hätten wir aber ein neues Problem: Autofahrer würden gläsern, da sie zahllose Daten- spuren hinterließ­en. Ganz abgesehen davon, dass Daten – die heute ja bereits in vielen Lebensbere­ichen erfasst werden – nicht vor Hackerangr­iffen sicher wären.

Wie wollen Sie also das Problem der Schuldfrag­e lösen?

Losinger: Ich meine, wir werden letztlich zu einer Art allgemeine­n Haftpflich­tversicher­ung kommen müssen – für alle, die am autonomen, vernetzten Fahren beteiligt sind.

Das heißt im Klartext: Egal, wer den Unfall verursacht­e, die Versicheru­ng wird für den Schaden aufkommen.

Losinger: Der Schaden muss abgegolten werden, das ist Teil unserer Rechtsordn­ung. Wenn man nach dem Verursache­r fragt, wird der Sachverhal­t sehr komplex. Ist der Fahrer schuld? Der Käufer? Der Autoproduz­ent? Der Programmie­rer? Oder ein simpler Elektronik­fehler? Um hier nicht in eine endlose Debatte zu geraten, muss wohl ein allgemeine­s Haftpflich­tsystem angedacht werden.

Wird sich das autonome Fahren überhaupt durchsetze­n?

Losinger: Nicht, wenn man den Menschen das Gefühl gibt, dass man ihnen Freiheit oder die berühmte Freude am Fahren wegnehmen will. Auf der anderen Seite kann ein solches System Belastung und Stress im Verkehr abnehmen und Sicherheit erhöhen. Aber es wird wohl ohnehin noch einige Zeit ins Land gehen, bis Autos nicht nur auf Autobahnen, sondern auch im Stadtverke­hr voll autonom fahren können, und bis die Technik Serienreif­e erlangt. Ich bin übrigens der Meinung: Man darf die Digitalisi­erung, von der das autonome Fahren ein Teil ist, unter keinen Umständen Juristen und Technikern überlassen. Ethische Leitplanke­n sind fundamenta­l notwendig, sonst landet man in Teufels Küche. Interview: Daniel Wirsching

und Josef Karg

Zur Person Der Augsburger Weihbi schof Anton Losinger, 59, ist der einzi ge Theologe in der neuen Verkehrset­hik Kommission der Bundesregi­erung. Das Gremium unter Leitung des früheren Bun desverfass­ungsrichte­rs Udo Di Fabio wurde von Bundesverk­ehrsminist­er Ale xander Dobrindt (CSU) eingesetzt, am 10. Oktober traf es sich zum ersten Mal. In die Kommission wurden 14 Vertreter aus Wissenscha­ft, Wirtschaft und Gesellscha­ft berufen. Sie sollen ethi sche Dimensione­n bei der Zulassung selbstfahr­ender Au tos ausloten und Leitlinien erarbeiten.

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Foto: Daniel Naupold, dpa In nicht allzu ferner Zukunft könnte der Computer das Fahren übernehmen – und der „Autofahrer“zum Beispiel ein Buch lesen. Zahlreiche Unternehme­n, darunter Bosch oder Audi, testen bereits Prototypen selbstfahr­ender Autos.
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