Augsburger Allgemeine (Land West)
Martyrium im eigenen Haus
Justiz Drei Männer überfallen und foltern ein älteres Ehepaar. Die Folgen für die Täter sind nun klar: Sie müssen lange ins Gefängnis. Doch was ist mit den Senioren? Können sie ihre Angst je besiegen?
Weiden
Der Mann hat einen Nacken wie ein Boxer, das T-Shirt ist an den Oberarmen von den Muskelbergen bis zum Zerreißen gespannt. Der 40-Jährige mit dem kurz geschorenen Schädel hat den zynischen Spitznamen „Pralinchen“. Er war in seiner Heimat Tschechien als Geldeintreiber tätig, saß wegen Raubes und gefährlicher Körperverletzung viele Jahre im Gefängnis. Mit Gewalt und Folter kennt er sich aus – er weiß, wie er Informationen aus seinen Opfern herauspresst. Wegen dieser kriminellen Fähigkeiten wurde er für den brutalen Überfall auf ein 68 und 71 Jahre altes Ehepaar und die 89-jährige Mutter in der Oberpfalz von zwei Männer angeheuert.
Das Landgericht Weiden schickte „Pralinchen“und seine beiden Komplizen dafür am Donnerstag für neun bis elf Jahre ins Gefängnis. „Die Angeklagten dringen in das Allerheiligste einer Familie ein, in dem diese sich eigentlich sicher fühlen“, sagt der Vorsitzende Richter Walter Leupold. Danach sei ein ausgesprochen übles Gewaltverbrechen von ausgesprochen üblen Gewalttätern ausgeübt worden.
Die drei Senioren durchlebten bei der Tat einen regelrechten Albtraum. Vier Stunden lang sind sie in ihrem Haus in Weiden in der Oberpfalz in der Gewalt der Räuber. Erst wird der 71-Jährige mit einer Schreckschusspistole niedergeschlagen, gefesselt, geschlagen und getreten. Auch seine Ehefrau und die 89 Jahre alte Schwiegermutter erleiden das gleiche Schicksal. Sie sollen sagen, wo das Vermögen versteckt ist. Mit den schnell gefundenen mehreren tausend Euro Bargeld sind die Angeklagten nicht zufrieden.
Und dann folgen die brutalen Stunden von „Pralinchen“. Er sticht dem gefesselten 71-Jährigen immer wieder in den Fuß, fügt ihm Schnittverletzungen an den Armen zu. Wenn das Opfer ohnmächtig wird, wartet er kurz und setzt dann seine Misshandlungen fort. Die Ehefrau wird mit einem Lappen geknebelt, sie reißen der gefesselten Frau den Kopf zurück und ziehen die stumpfe Seite eines Messers über ihren Hals. Die Täter halten ihr auch die Pistole an die Schläfe und drücken ab. Dass vorher die Patronen entfernt wurden, wusste sie nicht. „Ich hatte in diesen Stunden mit dem Leben abgeschlossen“, sagt sie.
Diese „Scheinhinrichtungen“, wie es der Staatsanwalt in seinem Plädoyer nennt, muss auch die 89 Jahre alte Schwiegermutter des Hausbesitzers über sich ergehen lassen. Mehrmals holt „der kleine Dicke“mit einem Messer aus und sticht in Richtung Gesicht, weicht auf den letzten Zentimetern aber aus und bohrt die Klinge knapp neben den Kopf in den Sessel, in dem die Frau gefesselt sitzt. Immer wieder kommt einer der Räuber vorbei und tritt der alten Frau in den Oberkörper. Sie erleidet zahlreiche Rippenbrüche.
Ihrer Tochter brechen die Räuber unter anderem die Nase. Erst nach vier Stunden lassen die Räuber von ihren Opfern ab und fliehen mit Bargeld und Wertsachen im Wert von etwa 20000 Euro. Noch heute leiden die Opfer unter den Qualen, haben Albträume und Angst im eigenen Haus. Bei seiner Zeugenaussage kann der 71-Jährige die Angeklagten nicht anschauen. Als sich die Männer bei ihm entschuldigen wollen, wendet er sich beim Hinausgehen an „Pralinchen“. „Sie sind ein Schwein. Und Schweine müssen sich nicht entschuldigen“, sagt er hasserfüllt.
Seine Ehefrau ist milder. In die Seele lässt sich die heute 69-Jährige nicht blicken. Sie sagt aber, dass ihre Mutter Angst habe, allein zu sein. „Sie ist jetzt 90 Jahre alt und sollte eigentlich ihre letzten Jahre genießen. Das kann sie jetzt aber nicht mehr.“Alle drei leben seit dem Überfall mit der Angst. Die drei Männer hatten sich bei den Opfern entschuldigt. „Die Entschuldigung ist eher als Belastung für die Opfer zu empfinden. Dafür kann man sich nicht entschuldigen“, betont aber der sichtlich erboste Richter. André Jahnke, dpa