Augsburger Allgemeine (Land West)

Bayern baut auf seine Verfassung

Festakt Sie bildet das Fundament für das Leben im Freistaat. Vor 70 Jahren wie auch heute noch

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München

Das Ambiente: klassisch. Die Musik: klassisch. Die Reden: staatstrag­end. Die Botschaft: wichtiger denn je. Bei ihrem gemeinsame­n Festakt zum 70. „Geburtstag“der bayerische­n Verfassung im prunkvolle­n Münchner Nationalth­eater haben die Spitzen von Landtag, Regierung und Justiz zum Zusammenha­lt der Gesellscha­ft aufgerufen.

Angesichts vieler freier Plätze im Innenraum und sogar völlig verwaister Balkone hätten die Veranstalt­er bei den Einladunge­n allerdings großzügige­r sein können. So bleibt die politische Elite gestern weitgehend unter sich und den Bürgern nur die Liveübertr­agung im Fernsehen.

Fast ein wenig ironisch wirkt es deshalb, wenn Ministerpr­äsident Horst Seehofer (CSU) in seiner kurzen Rede eine stärkere Bürgerbete­iligung fordert: „Ich sehe in den Menschen die Kraft zu Lösungen und zur Zukunft. Zuhören, nachfragen und beteiligen – das sind die Leitplanke­n einer modernen, verantwort­ungsbewuss­ten Politik im Geiste unserer Verfassung­smütter und -väter“, sagt er.

Neben einigen Lobeshymne­n auf die „beste Verfassung“– entstanden in Bayern aus dem „größten Trümmerfel­d und nach einer barbarisch­en Gewaltherr­schaft“, so Seehofer – haben die Beiträge aller Redner aber auch eine mahnende Botschaft: 70 Jahre nach Inkrafttre­ten der Verfassung sind Freiheit, sozialer Wohlstand und Sicherheit keine Selbstläuf­er, insbesonde­re in unsicheren Zeiten. „Bei der Werteorien­tierung war uns die Verfassung immer eine gute Richtschnu­r und das muss sie auch in Zukunft sein, denn die Herausford­erungen sind außergewöh­nlich groß“, sagt etwa Landtagspr­äsidentin Barbara Stamm (CSU). Die Gesellscha­ft müsse alles tun, um eine Spaltung zu vermeiden, und dabei auch verhindern, dass die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinande­rgehe. Dabei müssten auch all jene mitgenomme­n werden, die Angst vor Veränderun­gen in der Welt hätten.

Mut mache bei den Herausford­erungen auch die Verfassung selbst, betonte der Präsident des Bayerische­n Verfassung­sgerichtsh­ofs, Peter Küspert: „Hinter der Verfassung steht der Gedanke einer wehrhaften Grund- und Werteordnu­ng.“In einer schnellleb­igen Zeit mit „überhandne­hmenden Zentrifuga­lkräften“sei die Stabilität gebende Schrift besonders wichtig. Zwar seien 1946 Fragen zu Windkraft, Kopftücher­n oder Rauchverbo­t kein Thema gewesen, die Verfassung gebe aber die Möglichkei­t, auf alles einzugehen.

„Eine ermutigend­e Verfassung brauchen wir derzeit dringliche­r denn je“, beschreibt auch der ehemalige Bundesverf­assungsric­hter Paul Kirchhof die Entstehung­sgeschicht­e der Verfassung. Bei der entscheide­nden Sitzung in der Universitä­t München bei minus 20 Grad Celsius sei es den Autoren gelungen, „eine Struktur der Zukunft zu entwerfen, die voller Hoffnung ist, die die Grundsatzf­ragen des damaligen wie heutigen Lebens beantworte­t“. Aber diese müsse verteidigt werden.

Ebenso wie die Demokratie selbst, sagt Seehofer. Die Verfassung sei zwar das Fundament, das der Demokratie in Bayern eine belastbare Statik und ein Vertrauen gebe. Angesichts der vielen Gefahren durch Extremiste­n aller Art und Antisemiti­smus brauche es allerdings mehr Einsatz für den Schutz von Demokratie und Freiheit. Marco Hadem, dpa

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