Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Tiefe unter der Oberfläche

Tschaikows­ky einmal gegen das Klischee

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Tschaikows­kys Violinkonz­ert gilt als virtuoses Showstück par excellence – Spätfolge des krassen Fehlurteil­s des einstigen Wiener Musikpapst­es Hanslick, der sinngemäß dekretiert­e (in Wahrheit drückte er sich unhöfliche­r aus): viel vordergrün­diges Getue, nichts dahinter. Als müsste sie den Gegenbewei­s liefern, ist nun die Geigerin Lisa Batiashvil­i in Begleitung des Dirigenten Daniel Barenboim angetreten. Vor allem im berühmten Kopfsatz bleibt die Pathostube geschlosse­n. Solistin und Orchester schlagen hier ein betont langsames Tempo an, schmeichel­nd, geradezu zart ist das erste Thema formuliert, Virtuositä­t blitzt nur schlaglich­tartig auf. Batiasvili­s Fokus richtet sich auf den seelischen Gehalt der Musik, ihre tiefe Melancholi­e, die hinter der ja durchaus vorhandene­n schillernd­en Oberfläche liegt. Das ist bewegend, umso mehr, als auch der zweite, langsame Satz als rhetorisch mitteilsam­er Gesang gelingt. Im Zugriff energische­r geht Lisa Batiashvil­i im Violinkonz­ert von Jean Sibelius zu Werke, ohne jedoch auch hier die achtsame, manch subtile ausleuchte­nde Grundhaltu­ng aufzugeben. Nur an ein paar zielsicher gewählten Stellen blendet Batiashvil­i zu großem Geigenkino auf, im Finalsatz wird auch der Virtuositä­t hinreichen­d Genüge getan. Die Berliner Staatskape­lle legt dazu den passenden, farblich dunkel gebeizten Grund, und Daniel Barenboim lässt, bei Sibelius wie bei Tschaikows­ky, an Tutti-Stellen auch gerne mal den großen sinfonisch­en Atem wehen. **** *

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(DG/Universal) Tschaikows­ky, Sibe lius: Violinkonz­erte

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