Augsburger Allgemeine (Land West)
Wenn Kastanien bluten
Umwelt Im Norden Deutschlands sterben reihenweise Kastanienbäume. Schuld daran ist ein eingeschlepptes Bakterium. Bald könnten auch die ersten Bäume in Bayern betroffen sein
Augsburg
Die Kastanie. Kaum ein Baum – außer die Eiche vielleicht – ist in Deutschland populärer. Im Sommer spendet ihr grünes Blätterdach in Biergärten Schatten und fast jeder erinnert sich an eine Kindheit, in der im Herbst lustige KastanienMännchen gebastelt wurden. Doch nun geht es der Deutschen Rosskastanie an den Kragen: Ein Bakterium, das sich von Nordwesten her ausbreitet, bedroht nicht nur die Kastanie selbst, sondern mit ihr ein Stück deutsches Kulturgut.
Der Übeltäter trägt den komplizierten Namen Pseudomonas syringae pv. aesculi, stammt vermutlich aus Indien und ist ein Bakterium. In Deutschland wurde das Bakterium zum ersten Mal in Hamburg im Jahr 2007 nachgewiesen. Einer, der es von Anfang an beobachtete, ist Ralf Petercord, Leiter der Abteilung Waldschutz von der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft. „Das Bakterium kam wahrscheinlich mit Zierpflanzen über den Seeweg von Asien nach Europa“, sagt er. Von den Häfen in und Hamburg habe es sich schnell in den Niederlanden, Belgien und Frankreich verbreitet. In Deutschland seien bislang vor allem Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen betroffen. Aber Petercord warnt: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Bäume in Bayern sterben.“
Wo das Bakterium auftaucht, befällt es Kastanien jeder Größe und jeden Alters. Bis die ersten Schäden auftreten, dauert es drei bis vier Jahre, sagt der Experte. Anzeichen dafür seien hell gefärbte Blätter, „blutende“Risse in der Rinde – zunächst farblos bis gelblich, später dunkel – eine schüttere Krone und einzelne, absterbende Äste. Infolge der bakteriellen Infektion werden die offenen „Wunden“der Bäume häufig von holzzerstörenden Pilzen befallen. „Die Bakterien sind nur der Türöffner für weitere Schadorganismen, die letztlich zum Absterben der Bäume führen“, sagt Petercord. Dann bleibt nichts anderes übrig, als die Bäume zu fällen.
Ein Befall mit der Miniermotte kann ähnliche Symptome zeigen, wobei der ungleich harmloser sei: „Die Miniermotte ist zwar in aller Munde, aber im Vergleich zu dem Bakterium ein Witz“, sagt der Experte. Während die Kastanien unter dem Befall der Motten zwar optisch leiden – etwa durch vergilbte, schnell abfallende Blätter – bedeutet ein Befall mit den Bakterien meist den Tod für den Baum.
Das Bakterium verbreitet sich vermutlich über den Wind sowie über Nebel- und Regentropfen. Auch Insekten kämen als Überträger zen kaufen, die in Deutschland gezogen wurden.
Ob es durch das Bakterium zu einem Massensterben in Deutschland kommen und irgendwann gar keine Kastanien mehr geben wird, ist nicht absehbar. Aber „die Gefahr, dass sehr viele Bäume sterben werden, ist groß“, sagt Petercord. Denn eines stünde fest: Die Bakterien verbreiten sich sehr schnell und sie sind sehr anpassungsfähig. Die Gefahr, dass unsere Nachfahren die Kastanienbäume irgendwann nur noch von Fotos kennen werden, ist also real.
Ein Grund dafür ist, dass sich die Samen der Kastanie nur sehr schwer konservieren lassen – „längstens für ein paar Jahre“, sagt Petercord. Die einzige Möglichkeit, die Rosskastanie vor einem möglichen Aussterben zu bewahren, seien sogenannte Erhaltungszuchten, in denen lebende Pflanzen immer wieder geklont werden, sagt der Fachmann. „Das ist sehr aufwendig und teuer, aber die einzige Chance.“Übrigens auch die einzige Hoffnung, ein endgültiges Verschwinden der KastanienMännchen zu verhindern.