Augsburger Allgemeine (Land West)
Er lässt es krachen
Porträt Ob Feuer aus einem Blecheimer oder die wachsende Pinocchio-Nase: Im siebten Stock des Münchner Residenztheaters bastelt Elektromeister Robert Stoiber an ungewöhnlichen Erfindungen
München
Die Schauspielerin auf der Bühne des Münchner Residenztheaters schabt zwei Messer aneinander. Sie tritt einen Schritt zurück und pustet kräftig in Richtung eines Blecheimers. Eine Stichflamme gleißt. Drei Reihen Kinder auf Klappsesseln zucken zusammen. Doch nicht die Schauspielerin hat das Feuer zum Brennen gebracht. Sondern Robert Stoiber. Er steht im siebten Stock über dem Geschehen. Er dreht die Flamme eines Bunsenbrenners auf und lässt blassgelbes Pulver darüber rieseln. Lycopodium. Das Licht gleißt wie im Eimer. Stoibers Reich beginnt hinter einer roten Metalltür: Raum 710, Rüstkammer, Werkstatt. Der Aufzug führt nur bis in die vierte Etage. Stoiber steigt jeden Tag mehrmals 51 Stufen zusätzlich hinauf. Robert Stoiber, 46 Jahre alt, breite Schultern, runder Bauch und ein fein rasierter Bart um Mund und Kinn, ist einer von zwei Rüstmeistern am Residenztheater. Seit 16 Jahren Herr über die größte Waffenkammer aller Theater in Deutschland, Österreich und der Schweiz und mehr: Requisitenbastler, Erfinder, Daniel Düsentrieb des Residenztheaters. Er lässt es krachen, blitzen, brennen.
Stoiber legt eine Messingform an einen spitz zulaufenden Edelstahlkegel und klopft sie mit dem Holzhammer rund. Ein Fingerring entsteht. Auf den Werkbänken liegen Schraubenzieher, Zangen, Scheren, Kabelbinder, Prüfgeräte und eine alte Schreibmaschine. „Das Chaos beherrscht die Welt“, sagt Robert Stoiber und greift gezielt nach einer dünnen braunen Kunststoffplatte. Aus ihr hat er für das Stück „Robin Hood“einen Effekt gebaut, der nicht auffallen soll: Eine Pfeilspitze, die sich eine Schauspielerin auf den Finger steckt. Der Pfeil darf die Zuschauer nicht treffen. Deswegen legt die Schauspielerin keinen auf, lässt nur die Sehne des Bogens schnalzen und klappt den Finger mit der aufgesteckten Pfeilspitze ein. Die Kin- der, die das Stück ansehen, legen die Köpfe in den Nacken. Ein weißer Plüschvogel fällt von oben auf die Bühne. Die Kinder lachen.
Fast täglich ist die Rüstkammer besetzt, von acht am Morgen bis nachts, wenn die Aufführungen enden. Stoiber und sein Kollege Peter Jannach arbeiten in zwei Schichten. Der 46-Jährige war früher Elektromeister und ließ sich für die Effektmacherei zum Pyrotechniker schulen. Wenn er von seiner Arbeit am Theater spricht, werden seine Augen größer und die Brauen wandern ein Stück näher zu den kurzen schwarzgrauen Haaren. „Mein Beruf ist der Traum von jedem Mann“, sagt er. „Du kannst basteln, zündeln, experimentieren.“Fast jedes „h“in seinen Sätzen wird zu einem „ch“, das tief aus der Kehle kommt. Robert Stoiber ist in Kroatien geboren.
In der Werkstatt im siebten Stock zeigt eine Gipsbüste Stoibers Gesicht und ein Foto seinen tätowierten Rücken. Das eine: ein Modell für eine Bastelei. Das andere: „Eine Jugendsünde.“Der Rüstmeister grinst. Vor Kurzem hat er zwei weitere Fotos aufgehängt. Eins zeigt ihn mit seiner Familie, das andere mit einem Mann ohne Haare. Robert Stoibers Züge werden wieder glatt. Es ist nicht lang her, dass seine Mutter gestorben ist und ein Freund, der krebskrank war.
Auch Robert Stoiber ist dem Tod nah gewesen. Ein Motorradunfall. Vier Monate Koma, acht Monate Krankenhaus. Er war 28. Danach: „Rentner, ich war behindert.“Seine linke Seite war zertrümmert, als Elektroniker konnte er nicht mehr arbeiten. Zwei Jahre nach dem Unfall suchte das Residenztheater eine Aushilfe. Stoiber stellte sich vor und bastelte einen silberfarbenen Reif mit bunten Steinen. Zwei Minuten brauchte er dafür. Er blieb.
Das Theater wirft nichts weg, den Reif nicht und keine andere Requisite. In der Rüstkammer liegen Helme, Waffen und Brustpanzer in nummerierten Schränken. Und in einem Nebenraum die Erfindungen. Die Pinocchio-Nase, die wachsen kann. Die Torte, die explodiert. Die Maschine, die Papierblätter schießt. Die Materialien: Feuerwerkskörper. Säuren und Pulver. Blech, Pappe, Plastik, Messing, Silber, Gold. Wärmflaschen, Luftballons, Milchreis, zerlegte Modellautos und Kartuschen für Silikonspritzpistolen.
Die Tricks am Theater sind anders als in Hollywood. „Das Schlimmste ist, wenn Regisseure Filme sehen, zum Beispiel Rambo, und dann das gleiche wollen. Das geht nicht“, sagt Stoiber. Seine Erfindungen halten nicht nur einen Dreh aus, sondern 50 Aufführungen oder mehr. Er selbst geht nicht oft ins Kino. Seine Frau hat keine Lust, dass er immer jeden Effekt erklärt.