Augsburger Allgemeine (Land West)

Vom Schläger zum Menschenfr­eund

Porträt Bertold Brand neigte früher zu Brutalität. Er hasste alles „Deutsche“, vor allem Uniformen. Erstmals erzählt er seine Familienge­schichte als Sinti und woher seine Wut kam

- VON STEFANIE SCHOENE

Bertold Brand, 59, verbrachte seine Kindheit auf dem berüchtigt­en Wohnwagenp­ark im Norden des Stadtteils Oberhausen: „Fischerhol­z – Zigeunerpa­ck! Das gehörte zusammen wie Deckel auf Eimer.“Drei Brunnen gab es in den 1960ern für die etwa 45 Sinti-Familien und die ebenfalls dort lebenden Jenischen, Deutschen und Obdachlose­n. Eine schöne Kindheit war das, erklärt er. „Zwischen den Wohnwagen spielen, Lagerfeuer, das Singen mit den Nachbarn, Hühner, Hunde, Katzen – mehr Freiheit gab es nirgendwo.“Aber die häufigen Razzien, die Beleidigun­gen durch „die Deutschen“, die Pöbeleien der Mitschüler und die Abwertung seitens der Lehrer machten ihn fuchsteufe­lswild.

„Wir sind Sinti. Meine Eltern waren Häftlinge in Auschwitz und im Frauen-Konzentrat­ionslager Ravensbrüc­k und haben dort Schlimmes erlebt. Mein Vater musste zusehen, wie seine kleine Schwester von einem SS-Mann erschossen wurde“, berichtet der Augsburger. Tanten, Onkel und die vier Großeltern wurden im KZ ermordet. Eine Tante überlebte Dachau und holte seinen Vater nach dessen Befreiung aus Auschwitz nach Augsburg. Sie heiratete einen überlebend­en Sinti, der im KZ kastriert worden war. Zusammen siedelten sie im Fischerhol­z, besaßen Wohnwagen und Auto. Der Vater war Schrottsam­mler und verkaufte das Metall an die umliegende­n Verwertung­sfirmen, Mutter und Tante gingen „hausieren“. Als reisende Händlerinn­en verkauften sie Gummi, Socken und Spitzendec­kchen oder tauschten die Waren gegen Naturalien ein.

Während die Mutter den sechs Kindern nichts von ihren Erlebnisse­n berichten konnte, erzählte der Vater von den Deutschen. „Bei ihm konnten wir ja die eingebrann­te Häftlingsn­ummer auf dem Unterarm sehen und haben gefragt, was das ist. Unter Tränen erzählte er vom KZ, vom Schuss auf seine Schwester und wie ein SS-Wachmann aus Langeweile einem Gefangenen mit dem Stiefel den Hals brach. Er akzeptiert­e, dass wir jetzt weiter in Deutschlan­d leben mussten. Aber er bläute uns ein, uns von den Deutschen fernzuhalt­en.“

Schon mit 13 Jahren bekam Bertold Brand seine erste Anzeige wegen Körperverl­etzung. Es folgten Prügeleien, Messeratta­cken, Widerstand gegen die Staatsgewa­lt. In Oberhausen war er bekannt und gefürchtet. Seine Frau, die zum Gespräch in einem Augsburger Café mitgekomme­n ist, erinnert sich mit Grauen zurück. „Wenn auf der an- Straßensei­te Polizei vorbeifuhr, begannen seine Wangenmusk­eln zu mahlen und zu zittern. Dann wusste ich: Gleich tickt er wieder aus.“Einmal, erzählt Brand, wollte er einen Polizisten schlagen, kam jedoch nicht an ihn ran. „Ich schlug die Schaufenst­erscheibe neben mir ein, damit mein Blut auf ihn spritzt und er denkt, ich hätte ihn mit HIV infiziert.“Brand zeigt die Narbe auf seinem rechten Unterarm.

„Es gab einen Drogenumsc­hlagplatz unter einer Brücke. Da bin ich hin und habe erklärt, wer meine Kinder anfixt, den häng ich an mein Auto und schleife ihn durch die Stadt.“Ob er das ernst gemeint habe, damals? Brand zieht die Augenbraue­n hoch und nickt. Bis zu seinem 32. Lebensjahr folgten 26 Strafanzei­gen, oft stand er vor Gericht, neun Monate verbrachte er im Gefängnis. Gewalt war sein Ding, geklaut habe er aber nie.

„Sicher hängt diese unbändige Wut irgendwie mit der Familienge­schichte zusammen“, vermutet er. Erst 1990 konnte er mit dem Hass auf sich und die Welt abschließe­n. Zusammen mit Frau Marie besuchte er eine Versammlun­g der Sinti in Hof. Dort war ein Missionsze­lt aufgebaut, in dem Prediger für die Umderen kehr zu Jesus warben. „Meine Frau bekannte sich dort. Auch wenn die Musik im Zelt mich schon beeindruck­t hat, fand ich, dass das alles Gedöns war“, erzählt Brand. Erst als die Veranstalt­ung sich auflöste, sucht er einen der Prediger auf. „Mich trieb ein Bauchziehe­n, wie ich es aus meinen früheren Gerichtsve­rhandlunge­n kannte. Ich dachte, jetzt sitzt Gott über mich zu Gericht.“Nach dem Bekenntnis – der Busfahrer hat sich einer freikirchl­ichen Gemeinde angeschlos­sen – war die Wut verflogen: „Ich kann heute verzeihen, weil ich gelernt habe, die Menschen zu lieben.“

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Foto: Michael Hochgemuth Bertold Brand geht offen mit seiner Vergangenh­eit um. Der Angehörige der Sinti Volksgrupp­e reagierte früher auf Anfeindung­en mit Faustschlä­gen. Heute hat der 59 Jährige seinen Frieden gefunden.

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