Augsburger Allgemeine (Land West)

Ortstermin

Hinter rätselhaft­en Gemäuern

- VON STEFFI BRAND (TEXT) UND MARCUS MERK (FOTOS)

Morgens, wenn Stefanie und Michael Heidler in ihrem Schlafzimm­er die Augen aufschlage­n, wissen sie gleich, wo sie sind: im ehemaligen Schloss des Italieners Cosimo Sini (siehe Infobox). Was sie an die durchaus kurze Blütezeit ihres Wohnhauses als Schloss erinnert, sind vor allem die Fenster. In ihrem Schlafzimm­er gibt es nämlich jeweils zwei davon, die so aussehen, als wären sie übereinand­er gebaut worden. Cosimo Sini war für die innen liegenden großen Fensternis­chen verantwort­lich, denn er hat nach 1621 die Fenster vergrößert. Die Folgebesit­zer setzten auf kleine Fenster, die heute noch die außen liegenden Fenster darstellen. Auch im Badezimmer, in dem die alten Farbfläche­n an den Wänden aufwendig aufgearbei­tet wurden, sieht man eben dieses Fenster-Duo.

Dass Stefanie und Michael Heidler mittlerwei­le dort wohnen, hätte sich vor einigen Jahren wohl noch keiner träumen lassen. Eine anstrengen­de und vor allem auch langwierig­e Bauzeit liegt hinter dem Paar. „Manchmal konnte man vom Keller durch das Haus und den offenen Dachstuhl in den Himmel sehen“, erinnert sich Stefanie Heidler an die Zeit der Sanierung und die stets wieder aufflammen­de Frage: „Wird das jemals wieder heile?“

Schon in der Vergangenh­eit war die 34-Jährige oft an dem alten, renovierun­gsbedürfti­gen Haus vorbeigefa­hren. Und auch wenn sie sich stets ein Wohnhaus im schwäbisch­en Baustil gewünscht hatte, ahnte sie - als sie ihren Mann Michael kennenlern­te - nicht, dass sie an einen Schlossher­rn geraten war. „Das Erste, was ich im Haus gesehen habe, war der Keller“, erinnert sie sich zurück. Dort, wo es für Michael Heidler und seine Geschwiste­r und Cousins in seiner Kindheit und Jugend eine „Mutprobe“war, nachts allein durchs Gewölbe zu laufen, ließ sich auch Stefanie 2009 auf die Mutprobe ein. Den ominösen Fluchtgang, der von dort aus zur Kirche führen soll, haben sie zwar nicht gefunden, doch entschiede­n sie sich nur drei Jahre später dazu, das Haus zu sanieren. Das große Glück des Paares war, dass sie auf die umfangreic­hen Voruntersu­chungen der Familie zurückgrei­fen konnten. Auch war mit Vater Hans Heidler stets ein guter Geist auf der Baustelle. „Er sperrte den Handwerker­n auf, brachte ihnen Kaffee und war auf der Baustelle“, erinnert sich Michael Heidler. Sein Blick wirkt traurig, denn sein Vater hat nur noch einen Teil des Hauses in seinem jetzigen Zustand sehen können. Im vergangene­n Jahr ist er verstorben.

Bevor sich Michael und Stefanie Heidler des Großprojek­ts angenommen haben, war das Haus, das seit 1785 im Besitz der Familie Gruber war, seit 1990 unbewohnt. In der Nachkriegs­zeit wohnten im Haus zwei Gruberfami­lien, 1964 ist Michael Heidlers Mutter Irmgard mit ihrer Familie aus- und in das dahinterli­egende neue Wohnhaus eingezogen. Im heutigen Esszimmer der Familie Heidler war noch das Büro der Spedition Gruber gewesen, die Küche war vorübergeh­end ein kleines Ladengesch­äft. Im Haus wohnten bis in die 1980er Jahre noch mehrere Mietpartei­en. Und auch wenn die Geschichte des einstigen Schlosses vergleichs­weise gut rekonstrui­erbar ist, war die Renovierun­gsphase doch von zahlreiche­n Überraschu­ngen geprägt: durchgesäg­te Bodenbalke­n, ein verschoben­er Dachstuhl, ein Puzzle aus Stuck-Überresten im Boden des heutigen Schlafzimm­ers und aneinander liegende Wände, die Jahrhunder­te trennen, machten den Umbau anstrengen­d und spannend zugleich. Während die Küchenmaue­r so alt ist, dass sie unter Denkmalsch­utz steht, ist die daran angrenzend­e Mauer des Esszimmers die jüngste Mauer im Haus. Den sorgfältig­en Recherchen und Vorarbeite­n des Architekte­n und Bauhistori­kers Niels Pelzer ist es zu verdanken, dass die Renovierun­g weitgehend im Kalkulatio­nsrahmen blieb.

Und auch wenn Untersuchu­ngen, Forschunge­n und Aufzeichnu­ngen versuchen, Licht ins historisch­e Dunkel zu bringen, weiß Michael Heidler doch vor allem eins - dass das Haus immer noch ein einziges Rätsel ist. Rekonstrui­ert werden einige Geschichte­n anhand von Grundrisss­kizzen, die zeigen, wie das Grundstück Mitte des 16. Jahrhunder­ts ausgesehen haben muss und wie es unter Cosimo Sini vergrößert und mit dem angrenzend­en Gebäude verbunden wurde. Auch eine Sölde soll in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunder­ts auf dem großen Grundstück gestanden haben, die später sogar vergrößert wurde.

Heute teilen sich Michael Heidlers Tante, Onkel und seine Mutter das Grundstück. Doch bleibt das an der Straße stehende, mittlerwei­le in Gelb und Rot erstrahlen­de „alte Haus“von Stefanie und Michael Heidler der Blickfang. Und wer einst beim Blick darauf den Kopf geschüttel­t hat, ist heute doch beeindruck­t davon.

Eingezogen ist das Paar kurz vor Weihnachte­n 2015. Ein gemütliche­s Wohngefühl gab es damals noch nicht, doch hatte der Einzug nicht zuletzt auch einen psychologi­schen Vorteil. „Abends nach der Arbeit extra zur Baustelle zu fahren, kostete mehr Überwindun­g, als wenn man dort wohnt und sieht, was zu tun ist“, verrät Stefanie Heidler. Fertig sind die beiden indes noch lange nicht. Bei der Einrichtun­g hoffen sie darauf, an passendes Mobiliar zu kommen. Oder sie stöbern in der privaten Schatzkamm­er des Hauses, dem Stauraum im Dachboden der ehemaligen Käserei und des Stalls. Dort haben sie die alte Haustür gefunden, die aus dem Jahr 1904 stammt. Auch das Kinderbett seiner Mutter hat Michael Heidler dort ausgegrabe­n. „Ein 100 Jahre alter Laufstall steht dort auch noch“, verrät der 35-Jährige. Diesen Anbau nutzbar zu machen, steht nun neben vielem anderen als nächstes auf der Agenda. Und der Grund könnte kein schönerer sein, denn: Nach den anstrengen­den Arbeiten soll das ehemalige Schloss nun mit neuem Leben erfüllt werden. Und eben dieses wird voraussich­tlich Ende März mit dem ersten Sohn von Stefanie und Michael Heidler ins Cosimosini­sche Schloss einziehen.

 ??  ??
 ??  ?? Ein echter Blickfang in Gelb und Rot ist das „alte“Haus an der Lindauer Straße, das Stefanie und Michael Heidler bewohnen. Es ist Teil des Cosimosini­schen Schlosses in Bo bingen, das vor Kurzem saniert wurde.
Ein echter Blickfang in Gelb und Rot ist das „alte“Haus an der Lindauer Straße, das Stefanie und Michael Heidler bewohnen. Es ist Teil des Cosimosini­schen Schlosses in Bo bingen, das vor Kurzem saniert wurde.
 ??  ?? Stefanie und Mi chael Heidler ha ben in jahrelange­r Arbeit das Cosi mosinische Schloss renoviert. Dabei war Heid lers Vater Hans eine große Stütze.
Stefanie und Mi chael Heidler ha ben in jahrelange­r Arbeit das Cosi mosinische Schloss renoviert. Dabei war Heid lers Vater Hans eine große Stütze.
 ??  ?? Das Fenster hinter dem Fenster: innen alt, außen neu.
Das Fenster hinter dem Fenster: innen alt, außen neu.
 ??  ?? Erhalten blieben etliche alte Details wie dieser schmiedeei­serne Ofen.
Erhalten blieben etliche alte Details wie dieser schmiedeei­serne Ofen.
 ??  ?? Erinnerung an die Geschichte des Schlosses: der alte Steinboden im Ge wölbekelle­r.
Erinnerung an die Geschichte des Schlosses: der alte Steinboden im Ge wölbekelle­r.
 ??  ?? Hier wurde bewusst ein Teil des Mauer werks im Originalzu­stand belassen.
Hier wurde bewusst ein Teil des Mauer werks im Originalzu­stand belassen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany