Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Heilung der Welt
Eigentlich doch klar: Wir haben die Erde kaputt gemacht – also müssen wir sie jetzt auch reparieren. Wir haben ja nur die eine. Wie das gehen soll? Durch das größte Talent des Menschen
Das größte Talent des Menschen? Nein, es kann hier ganz offenkundig nicht um die Vernunft gehen. Denn mal ehrlich und mit etwas Distanz betrachtet: Führt sich unsere Spezies auf ihrem einzigen und alleinigen Heimatplaneten auf als wäre sie vernünftig? Die letzte Bilanz: Wir verbrauchen pro Jahr nicht die Ressourcen einer Erde, sondern rechnerisch von 1,6 Erden – im Jahr 2030 werden es schon zwei sein; wir sind verantwortlich für eines der größten Artensterben der Geschichte des Planeten; und Peking meldete neulich, dass die Feinstaubbelastung jeden auf der üblichen Skala noch messbaren Wert überschritten habe…
Aber sollte das größte Talent des Menschen, das da Rettung bringt, die Verhandlung und der Kompromiss sein, Politik? Ja, es ist bei Weltklimakonferenzen hart gerungen und schließlich vereinbart worden, dass die weltweite Durchschnittstemperatur gegenüber der vorindustriellen Zeit um „deutlich weniger als zwei Grad“steigen soll.
Glauben Sie daran? Glauben Sie, dass die klassischen Wohlstandsnationen andere Gesellschaften, die jetzt erst in voller Breite an technischen Errungenschaften teilzuhaben beginnen, überzeugen können, sich da einzuschränken, weil sie selbst im Genuss eben dessen zuvor schon alles damit vergiftet haben? Und dass auch die Wohlstandsnationen nur noch Öl, Gas und Kohle auf dem heutigen Niveau verbrennen und dann komplett verzichten? Das alles wäre nach aktuellen Berechnungen nämlich unabdingbar …
das größte Talent des Menschen ist das, was ihn zu all diesen verheerenden Entwicklungen erst gebracht hat: sein Erfindungsgeist. Und eben darüber versucht er nun keinen Weg zurück zur Genesung des Planeten zu finden, sondern einen Weg nach vorn zu dessen Reparatur. Mit Projekten, die wirken, als wären sie einem abenteuerlichen Science-Fiction-Roman entnommen – die aber tatsächlich etwa auf einem 173 Seiten starken Papier basieren, in dem die Ziele und Methoden von EuTRACE beschrieben sind. Mit Eingriffen tief in der Erde, draußen auf hoher See und oben in zwischen 97 und hat in den 60er Jahren eine These begründet, die damals sehr umstritten war, heute aber dem am weitesten verbreiteten Naturverständnis zugrunde liegt. Es ist die sogenannte Gaia-Hypothese, benannt nach der Großen Mutter in der Griechischen Mythologie. Und sie besagt: Wir müssen unseren Planeten selbst als ein Lebewesen betrachten, das in der Gesamtheit seiner Organismen dynamisch zusammenwirkt. Das heißt, dass alles Leben auf den Menschen reagiert – und dieses Bewusstsein sollte ihn zu einem entsprechenden Umgang mit der Großen Mutter Erde bringen.
Eine weltberühmte Bebilderung (in leicht verklärter Form) war zuletzt der erfolgreichste Film aller Zeiten: James Camerons „Avatar“. Hier leben die eingeborenen Na’vi in perfekter Harmonie und Symbiose auf ihrem erdähnlichen Mond Pandora – bis die Menschen kommen und aus Gier auf die Ressourcen alles zu vernichten drohen. Bis Gaia erwacht und sich wehrt …
Und jetzt kommt’s! Denn was hat wohl dieser James Lovelock zum Geo-Engeneering zu sagen? Er sagt in seinem neuen, mit weiteren prominenten und ausgezeichneten Wissenschaftlerkollegen geschriebenen Buch „Die Erde und ich“(Taschen, 168 S., 29,99 Euro): Eben nun nicht, dass es höchste Zeit für die Erde ist, den Menschen loszuwerden, der sie so sehr dominiert und malträtiert. Sondern dass gerade dieser Mensch mit seinen Fähigkeiten nun die Verantwortung hat, den Planeten weiterzuentwickeln. Die Klimaveränderung kratzt Lovelock nur insoNein, fern, dass sie den Ingenieur bedroht. Die angerichtete Umweltweltverschmutzung sieht er als Schmutz, den die Arbeit eines Künstlers an seinem Werk nun einmal macht. Bloße, zu vernachlässigende Nebeneffekte einer viel größeren Mission. Und die lautet: Die Erde braucht unsere Hilfe. Darum müssten wir, für die es so einfach ist, ihr zu schaden, jetzt lernen, sie zu retten.
Vor zehn Jahren noch hatte dieser James Lovelock die Menschen fast schon zynisch aufgefordert, ihr Leben jetzt noch zu genießen – denn bis 2030 könnte das Klimasystem der Erde gekippt sein, zehn Jahre später reiche die Sahara bis Berlin und zum Ende des Jahrhunderts wäre ein Großteil der Menschheit ohnehin ausgelöscht. Inzwischen aber ist alle Düsternis gewichen, Lovelock setzt auf den Menschen und seinen Erfindergeist, der ihn offenbar überzeugt hat. Weil der Mensch zum Beispiel das erste Lebewesen sei, das es geschafft hat, „Energie aus der Sonneneinstrahlung in Information umzuwandeln und diese für seine Nachkommen zu speichern.“Und genau die Sonne ist es, die dem alten Herrn Sorgen macht. Die nämlich wird spätestens in hundert Millionen Jahren so heiß sein, dass Leben auf der Erde nahezu unmöglich ist. Also müsse der Mensch Gaia helfen, dass sie dafür gerüstet ist …
Und wieder: Ist das blanke, mit New-Age-Gedöns unterfütterte Science-Fiction oder ein tatsächlich visionäres Projekt? Mit dem aktuellen Geo-Engineerung kommt es jedenfalls zusammen, weil auch Lovelock sieht, dass der Mensch zuerst und um seiner selbst willen, sein Problem mit dem Arbeitsschmutz lösen muss, dem Kohlendioxid.
Und dazu nun geht es hinab in die Erde von Island. Dort nämlich arbeiten Forscher daran, CO2 in Stein zu wandeln. Sie pumpen dazu den Ausstoß eines Kraftwerks in den Boden, dorthin, wo es herkam – und beschleunigen dadurch den natürlichen Prozess der Ablagerung. Und tatsächlich funktioniert das sogenannte „CarbFix“-Verfahren. Nach weniger als zwei Jahren hat sich das Klimagas in ungefährlichen Kalkstein transformiert. Und zu gar machen. Die CO2-gesättigten Kieselalgen sinken dann zu Boden und versteinern.
Und nun geht es hinauf in die Stratosphäre. Dort, 25 Kilometer über dem Erdboden, könnten nach Erkenntnissen von Harvard-Forschern chemische Substanzen ausgebracht werden, die sich verteilen und dann wirken wie kleinste Spiegel – sie würden einen Teil des Sonnenlichts zurück ins All schicken, um so die Erhitzung des Klimas abzuschwächen.
Und so kann es auch wieder hinuntergehen auf die Erde, wo Forscher untersuchen, wie auch weiße Häuserdächer und Straßen das Sonnenlicht für die Städte kühlend reflektieren. Wo in Kanada die künstlichen Bäume entworfen werden, die aussehen wie Masten zur Stadionbeleuchtung, nur mit kleinen Fangpropellern statt mit Lichtern, bis zu 60 Meter hoch. Sie filtern nicht nur das Kohlendioxid aus der Luft – es wird in der Folge auch zu etwas verwandelt, das die Forscher nicht nur Diesel nennen, sondern das auch tatsächlich als Treibstoff verwendet werden kann. Produktionsbeginn: 2018.
Und so könnte es weitergehen zu noch mehr Projekten. Es wüchse das Staunen über den Erfindergeist des Menschen – und es bliebe die Frage: Weiß der Mensch, was er da tut?
Skeptiker gibt es. An der Hybris des Geo-Engineerings im Allgemeinen und auch an Projekten wie Meeresdüngung im Speziellen. Also nur mal angenommen: Was würde die Vernunft sagen, wenn sie denn das größte Talent des Menschen wäre?