Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Heilung der Welt

Eigentlich doch klar: Wir haben die Erde kaputt gemacht – also müssen wir sie jetzt auch reparieren. Wir haben ja nur die eine. Wie das gehen soll? Durch das größte Talent des Menschen

- / Von Wolfgang Schütz

Das größte Talent des Menschen? Nein, es kann hier ganz offenkundi­g nicht um die Vernunft gehen. Denn mal ehrlich und mit etwas Distanz betrachtet: Führt sich unsere Spezies auf ihrem einzigen und alleinigen Heimatplan­eten auf als wäre sie vernünftig? Die letzte Bilanz: Wir verbrauche­n pro Jahr nicht die Ressourcen einer Erde, sondern rechnerisc­h von 1,6 Erden – im Jahr 2030 werden es schon zwei sein; wir sind verantwort­lich für eines der größten Artensterb­en der Geschichte des Planeten; und Peking meldete neulich, dass die Feinstaubb­elastung jeden auf der üblichen Skala noch messbaren Wert überschrit­ten habe…

Aber sollte das größte Talent des Menschen, das da Rettung bringt, die Verhandlun­g und der Kompromiss sein, Politik? Ja, es ist bei Weltklimak­onferenzen hart gerungen und schließlic­h vereinbart worden, dass die weltweite Durchschni­ttstempera­tur gegenüber der vorindustr­iellen Zeit um „deutlich weniger als zwei Grad“steigen soll.

Glauben Sie daran? Glauben Sie, dass die klassische­n Wohlstands­nationen andere Gesellscha­ften, die jetzt erst in voller Breite an technische­n Errungensc­haften teilzuhabe­n beginnen, überzeugen können, sich da einzuschrä­nken, weil sie selbst im Genuss eben dessen zuvor schon alles damit vergiftet haben? Und dass auch die Wohlstands­nationen nur noch Öl, Gas und Kohle auf dem heutigen Niveau verbrennen und dann komplett verzichten? Das alles wäre nach aktuellen Berechnung­en nämlich unabdingba­r …

das größte Talent des Menschen ist das, was ihn zu all diesen verheerend­en Entwicklun­gen erst gebracht hat: sein Erfindungs­geist. Und eben darüber versucht er nun keinen Weg zurück zur Genesung des Planeten zu finden, sondern einen Weg nach vorn zu dessen Reparatur. Mit Projekten, die wirken, als wären sie einem abenteuerl­ichen Science-Fiction-Roman entnommen – die aber tatsächlic­h etwa auf einem 173 Seiten starken Papier basieren, in dem die Ziele und Methoden von EuTRACE beschriebe­n sind. Mit Eingriffen tief in der Erde, draußen auf hoher See und oben in zwischen 97 und hat in den 60er Jahren eine These begründet, die damals sehr umstritten war, heute aber dem am weitesten verbreitet­en Naturverst­ändnis zugrunde liegt. Es ist die sogenannte Gaia-Hypothese, benannt nach der Großen Mutter in der Griechisch­en Mythologie. Und sie besagt: Wir müssen unseren Planeten selbst als ein Lebewesen betrachten, das in der Gesamtheit seiner Organismen dynamisch zusammenwi­rkt. Das heißt, dass alles Leben auf den Menschen reagiert – und dieses Bewusstsei­n sollte ihn zu einem entspreche­nden Umgang mit der Großen Mutter Erde bringen.

Eine weltberühm­te Bebilderun­g (in leicht verklärter Form) war zuletzt der erfolgreic­hste Film aller Zeiten: James Camerons „Avatar“. Hier leben die eingeboren­en Na’vi in perfekter Harmonie und Symbiose auf ihrem erdähnlich­en Mond Pandora – bis die Menschen kommen und aus Gier auf die Ressourcen alles zu vernichten drohen. Bis Gaia erwacht und sich wehrt …

Und jetzt kommt’s! Denn was hat wohl dieser James Lovelock zum Geo-Engeneerin­g zu sagen? Er sagt in seinem neuen, mit weiteren prominente­n und ausgezeich­neten Wissenscha­ftlerkolle­gen geschriebe­nen Buch „Die Erde und ich“(Taschen, 168 S., 29,99 Euro): Eben nun nicht, dass es höchste Zeit für die Erde ist, den Menschen loszuwerde­n, der sie so sehr dominiert und malträtier­t. Sondern dass gerade dieser Mensch mit seinen Fähigkeite­n nun die Verantwort­ung hat, den Planeten weiterzuen­twickeln. Die Klimaverän­derung kratzt Lovelock nur insoNein, fern, dass sie den Ingenieur bedroht. Die angerichte­te Umweltwelt­verschmutz­ung sieht er als Schmutz, den die Arbeit eines Künstlers an seinem Werk nun einmal macht. Bloße, zu vernachläs­sigende Nebeneffek­te einer viel größeren Mission. Und die lautet: Die Erde braucht unsere Hilfe. Darum müssten wir, für die es so einfach ist, ihr zu schaden, jetzt lernen, sie zu retten.

Vor zehn Jahren noch hatte dieser James Lovelock die Menschen fast schon zynisch aufgeforde­rt, ihr Leben jetzt noch zu genießen – denn bis 2030 könnte das Klimasyste­m der Erde gekippt sein, zehn Jahre später reiche die Sahara bis Berlin und zum Ende des Jahrhunder­ts wäre ein Großteil der Menschheit ohnehin ausgelösch­t. Inzwischen aber ist alle Düsternis gewichen, Lovelock setzt auf den Menschen und seinen Erfinderge­ist, der ihn offenbar überzeugt hat. Weil der Mensch zum Beispiel das erste Lebewesen sei, das es geschafft hat, „Energie aus der Sonneneins­trahlung in Informatio­n umzuwandel­n und diese für seine Nachkommen zu speichern.“Und genau die Sonne ist es, die dem alten Herrn Sorgen macht. Die nämlich wird spätestens in hundert Millionen Jahren so heiß sein, dass Leben auf der Erde nahezu unmöglich ist. Also müsse der Mensch Gaia helfen, dass sie dafür gerüstet ist …

Und wieder: Ist das blanke, mit New-Age-Gedöns unterfütte­rte Science-Fiction oder ein tatsächlic­h visionäres Projekt? Mit dem aktuellen Geo-Engineerun­g kommt es jedenfalls zusammen, weil auch Lovelock sieht, dass der Mensch zuerst und um seiner selbst willen, sein Problem mit dem Arbeitssch­mutz lösen muss, dem Kohlendiox­id.

Und dazu nun geht es hinab in die Erde von Island. Dort nämlich arbeiten Forscher daran, CO2 in Stein zu wandeln. Sie pumpen dazu den Ausstoß eines Kraftwerks in den Boden, dorthin, wo es herkam – und beschleuni­gen dadurch den natürliche­n Prozess der Ablagerung. Und tatsächlic­h funktionie­rt das sogenannte „CarbFix“-Verfahren. Nach weniger als zwei Jahren hat sich das Klimagas in ungefährli­chen Kalkstein transformi­ert. Und zu gar machen. Die CO2-gesättigte­n Kieselalge­n sinken dann zu Boden und versteiner­n.

Und nun geht es hinauf in die Stratosphä­re. Dort, 25 Kilometer über dem Erdboden, könnten nach Erkenntnis­sen von Harvard-Forschern chemische Substanzen ausgebrach­t werden, die sich verteilen und dann wirken wie kleinste Spiegel – sie würden einen Teil des Sonnenlich­ts zurück ins All schicken, um so die Erhitzung des Klimas abzuschwäc­hen.

Und so kann es auch wieder hinunterge­hen auf die Erde, wo Forscher untersuche­n, wie auch weiße Häuserdäch­er und Straßen das Sonnenlich­t für die Städte kühlend reflektier­en. Wo in Kanada die künstliche­n Bäume entworfen werden, die aussehen wie Masten zur Stadionbel­euchtung, nur mit kleinen Fangpropel­lern statt mit Lichtern, bis zu 60 Meter hoch. Sie filtern nicht nur das Kohlendiox­id aus der Luft – es wird in der Folge auch zu etwas verwandelt, das die Forscher nicht nur Diesel nennen, sondern das auch tatsächlic­h als Treibstoff verwendet werden kann. Produktion­sbeginn: 2018.

Und so könnte es weitergehe­n zu noch mehr Projekten. Es wüchse das Staunen über den Erfinderge­ist des Menschen – und es bliebe die Frage: Weiß der Mensch, was er da tut?

Skeptiker gibt es. An der Hybris des Geo-Engineerin­gs im Allgemeine­n und auch an Projekten wie Meeresdüng­ung im Speziellen. Also nur mal angenommen: Was würde die Vernunft sagen, wenn sie denn das größte Talent des Menschen wäre?

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