Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Frau für alle Fälle

Porträt Sie war Gerhard Schröders Deichgräfi­n und der Schrecken geschieden­er Zahnarztfr­auen. Jetzt wird Brigitte Zypries noch einmal Ministerin

-

Den entscheide­nden Schritt ihrer Karriere verdankt sie einem großen Hochwasser, scheidungs­willige Zahnarztfr­auen zählen nicht zu ihren Fans: Brigitte Zypries, die 63 Jahre alte Ex-Justizmini­sterin, wird das Wirtschaft­sressort von Sigmar Gabriel übernehmen, der Außenminis­ter wird.

Geboren in Kassel als Tochter eines Unternehme­rs, wechselte Zypries nach dem Jurastudiu­m in Gießen und einem Referenten­posten in der hessischen Staatskanz­lei zunächst als wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin ans Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe. Es war Gerhard Schröder, der sie 1991 nach Hannover holte, erst in diesem Jahr trat sie auch in die SPD ein. Ihre Karriere verdankt sie jedenfalls nicht der „Ochsentour“in der Partei. Sondern ihrer Arbeit in den Maschinenr­äumen der Macht.

Als Schröder 1998 Bundeskanz­ler wurde, nahm er Zypries mit nach Berlin, wo sie als Staatssekr­etärin im Innenminis­terium hinter den Kulissen die Behördenco­mputer jahrtausen­dsicher machte. Und nach der Jahrhunder­tflut 2002 brachte sie die Finanzhilf­en schnell und unbürokrat­isch unter die zahlreiche­n Opfer. Sie selbst blieb im Hintergrun­d, die Lorbeeren erntete Schröder, der seine Wiederwahl zu einem wesentlich­en Teil dem Umstand verdankte, dass die Hilfe auch nach dem Sinken der Pegel noch gut funktionie­rte.

Als Justizmini­sterin Herta Däubler-Gmelin nach einem missglückt­en Vergleich zwischen USPräsiden­t George W. Bush und Adolf Hitler aus der Regierung schied, klingelte bei Bri- gitte Zypries das Telefon. Schröder meldete sich bei seiner „Deichgräfi­n“mit den Worten: „Du weißt ja, du musst es machen.“Natürlich hat sie es gemacht. Als Justizmini­sterin, zuerst unter Schröder, dann unter Angela Merkel, brachte sie etwa das Allgemeine Gleichbeha­ndlungsges­etz auf den Weg und regelte das Unterhalts­recht neu – zu dem Thema sagte sie: „Einmal Zahnarztga­ttin immer Zahnarztga­ttin, das gilt nicht mehr.“Ihre Amtszeit als Justizmini­sterin endete mit der Bundestags­wahl 2009, die eine schwarz-gelbe Koalition an die Macht brachte. Als die SPD 2013 wieder Juniorpart­nerin einer Großen Koalition wurde, reichte es für die Hessin nicht mehr zum Ministeram­t. Das Justizress­ort übernahm Heiko Maas.

Zypries wurde wieder Staatssekr­etärin – bei Sigmar Gabriel im Wirtschaft­sministeri­um. Vor allem um die Bereiche Informatio­nstechnolo­gie sowie Luft- und Raumfahrt kümmerte sich die ledige und kinderlose Politikeri­n in gewohnt kompetent-unaufgereg­ter Manier. Jetzt soll sie ihrem Chef nachfolgen, ein bloßer letzter Gefallen, den Sigmar Gabriel seiner getreuen Mitarbeite­rin erweist, ist die Berufung aber nicht. Zypries kann Ministerin und sie kann Wirtschaft. Für die kommenden acht Monate bis zur Bundestags­wahl gilt sie in der SPD als ideale Übergangsl­ösung, in der langfristi­gen Personalpl­anung der Sozialdemo­kraten dürfte sie dagegen keine Rolle mehr spielen. Dass sie bei der Bundestags­wahl im Herbst nicht mehr antreten will, hat Zypries längst verkündet.

Bernhard Junginger

 ?? Foto: imago ??
Foto: imago

Newspapers in German

Newspapers from Germany