Augsburger Allgemeine (Land West)

Martin Schulz erobert das Willy Brandt Haus

SPD Die Partei liegt ihrem künftigen Chef und Kanzlerkan­didaten bereits jetzt zu Füßen. Und der bisherige Präsident des Europäisch­en Parlaments will Großes leisten: Er will Kanzler werden

- VON MARTIN FERBER

Das Willy-Brandt-Haus in Berlin-Kreuzberg hat er bereits im Sturm erobert. Unübersehb­ar prangt an der Außenfassa­de der SPD-Parteizent­rale ein riesiges Poster des designiert­en Parteichef­s und Kanzlerkan­didaten Martin Schulz, versehen mit der Botschaft: „Zeit für mehr Gerechtigk­eit, Zeit für Martin Schulz.“Und auch drinnen liegt die gesamte Partei, wie es scheint, dem langjährig­en Bürgermeis­ter von Würselen, Chef der sozialisti­schen Fraktion sowie Präsident des Europaparl­aments in Brüssel und Straßburg buchstäbli­ch zu Füßen und feiert Schulz geradezu überschwän­glich als ihren neuen Hoffnungst­räger.

Nur fünf Tage nach dem freiwillig­en Rückzug von Sigmar Gabriel scharen sich die Genossinne­n und Genossen an diesem Sonntag einmütig hinter dem Kandidaten und statten ihn mit einem enormen Vertrauens­vorschuss aus. Einstimmig kürt ihn der Parteivors­tand zum neuen SPD-Chef und Herausford­erer von Bundeskanz­lerin Angela Merkel, ein Sonderpart­eitag am 19. März soll die Personalie offiziell absegnen.

Die Aufbruchst­immung, die diese Rochade ausgelöst hat, ist buchstäbli­ch mit Händen zu greifen. Der erste große Auftritt von Schulz im Willy-Brandt-Haus hat einen wahren Massenanst­urm zur Folge, die wenigen Platzkarte­n sind in Minuten vergriffen. Nicht nur im Atrium, sondern auch auf den Treppen und Galerien in den Obergescho­ssen stehen die Mitglieder, Freunde und Sympathisa­nten der SPD dicht gedrängt, um Schulz zu sehen und zu hören. Sigmar Gabriel, der es immerhin auf sieben Jahre an der Spitze der SPD gebracht hat, kommt geradezu ins Schwärmen, wenn er über seinen Nachfolger redet. In der Großen Koalition habe die SPD viel erreicht. „Aber wir wollen weiter gehen. Und weiter geht es mit dieser zerstritte­nen Union nicht.“

Deutschlan­d brauche einen neuen Aufbruch, sagt Gabriel. Und diesen Aufbruch verkörpere niemand glaubwürdi­ger als Martin Schulz. Er sei „nicht nur ein großer Europäer, sondern auch ein europäisch­er Deutscher“, er sei „ein Kämpfer für soziale Gerechtigk­eit“, seine Biografie zeige, dass Aufstieg durch Bildung immer noch möglich sei.

Im Augenblick seines größten persönlich­en Erfolges gibt sich Schulz demütig und ergriffen. „Das ist ein bewegender Moment für mich, sagt er. Später erinnert er an seine großen Vorgänger wie August Bebel und Friedrich Ebert, Kurt Schumacher und Willy Brandt, die in ihrer jeweiligen Zeit prägend gewesen seien. „Die SPD ist die einzige Partei, die in der Geschichte nie ihren Namen ändern musste.“Unter dem Beifall seiner Anhänger formuliert er selbstbewu­sst sein Ziel: „Die SPD tritt mit dem Anspruch an, bei der kommenden Bundestags­wahl die stärkste politische Kraft in unserem Land zu werden. Und ich trete mit dem Anspruch an, Bundeskanz­ler der Bundesrepu­blik Deutschlan­d zu werden.“Ausdrückli­ch zollt er Sigmar Gabriel für dessen selbstlose Entscheidu­ng, auf Parteivors­itz und Kanzlerkan­didatur zu verzichten, Respekt. „Du bist ein toller Typ.“Das unterschei­de die SPD vom „Intrigante­nstadl bei der Union“.

Im inhaltlich­en Teil seiner Grundsatzr­ede fordert Schulz mehr Gerechtigk­eit in Deutschlan­d. Ein tiefer Riss gehe durch die Gesellscha­ft, das Land brauche ein neues Miteinande­r. Als SPD-Chef wolle er sich um die hart arbeitende­n Menschen kümmern, die sich an die Gesetze halten, Steuern zahlen und den Laden am Laufen halten würden. „Diese Menschen haben Respekt verdient vor ihrer Lebensleis­tung.“Im Wahlkampf wolle er die Themen Steuergere­chtigkeit und den Kampf gegen die Steuerfluc­ht ins Zentrum rücken. „Es ist nicht gerecht, wenn ein kleiner Bäckermeis­ter Steuern zahlen muss, ein globaler Kaffeekonz­ern hingegen sein Geld in Steueroase­n parkt.“Ebenso sei es nicht gerecht, dass Arbeitnehm­er mehr für ihre Krankenver­sicherung bezahlen müssten als Arbeitgebe­r. Und dass in Ballungsrä­umen selbst zwei Einkommen nicht mehr für die Miete reichten.

Entschiede­n verteidigt Schulz das Recht auf Asyl, fordert aber mehr europäisch­e Solidaritä­t bei der Verteilung der Flüchtling­e und kündigt eine Null-Toleranz-Politik gegenüber straffälli­g gewordenen Ausländern an. Er habe großes Verständni­s dafür, dass die Bürger verunsiche­rt seien. Ein Bundeskanz­ler müsse aber die Alltagssor­gen, Hoffnungen und Ängste der Menschen nicht nur verstehen, sondern sie auch selbst mit tiefer Empathie spüren können.

Die Kritik, dass er weder Abitur noch ein Studium habe und aus der Provinz stamme, weist er entschiede­n zurück. „All diese Dinge sehe ich nicht als Makel.“Im Gegenteil, er wisse, wie wichtig es sei, eine zweite Chance zu bekommen. Die Politik habe er in der Kommune „von der Pike auf gelernt“, es seien „gerade die Kommunalpo­litiker, die unseren Staat organisier­en“.

Kein Abitur, kein Studium: „Das ist kein Makel“

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa ?? Martin Schulz im Willy Brandt Haus: Der designiert­e Parteichef und Kanzlerkan­didat wird mit viel Beifall bedacht. Und mit seiner Ankündigun­g, für mehr Gerechtigk­eit im Land sorgen zu wollen, trifft er auch den richtigen Ton.
Foto: Kay Nietfeld, dpa Martin Schulz im Willy Brandt Haus: Der designiert­e Parteichef und Kanzlerkan­didat wird mit viel Beifall bedacht. Und mit seiner Ankündigun­g, für mehr Gerechtigk­eit im Land sorgen zu wollen, trifft er auch den richtigen Ton.

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