Augsburger Allgemeine (Land West)
Raus mit dem alten Theater
Wie die Kammerspiele Tschechow aufführen
München „Anti! Anti! Anti!“sollte eigentlich über das Leuchtband laufen, auf welchem das Publikum den Tschechow-Text auf Englisch verfolgen kann. Die Antis summieren sich im Laufe der Aufführung an den Münchner Kammerspielen, wo Nicolas Stemann den „Kirschgarten“inszeniert. Klar, naturalistisches Gutsherren-Ambiente mit Plüsch und Samowar wäre mit moderner Theater-Ästhetik unvereinbar. So bleibt ein leerer, schwarzer Raum, aus welchem der Regisseur Atmosphäre raus und technoide Sachlichkeit rein, psychologischen Realismus hinaus und Dekonstruktivismus hinein zwingt.
Dabei gibt es in der Aufführung durchaus ein Vorher und Nachher. Im ersten Teil wohnt man einer verkopften Textbefragung bei, die zum blutleeren Hörspiel mutiert. Es wirkt wie die szenische Reproduktion einer Probensituation, in welcher die Schauspieler einzeln vor den permanent auf- und zugezogenen Theatervorhang treten und dem Text nachschmecken – mal in leiernd deklamatorischem Pathos, dann wieder die Syntax gegen den Sprachrhythmus zerhackt. Der letzte Akt allerdings ist dicht und intensiv und bedient durchaus die Kulinarik. Eine halbe Stunde lang verschwindet die Anti-Haltung und weicht einem furiosen Bal macabre, einen Tanz auf dem Vulkan kurz vor dem Untergang. Mit allem, was dazu gehört, heftigen Klängen, dramatischem Licht und virtuosen Bewegungsspielen.
Im Ganzen aber ist die Anti-Haltung Konzept. Gegen das Alter besetzt die Darsteller, am konsequentesten beim Aufsteiger Lopachin (Peter Brombacher), der letztlich der verarmten Familie den Kirschgarten abkauft, um darauf FerienParzellen zu errichten. Beim Bruder der von Nostalgie umwehten Gutsherrin (Ilse Ritter), der mit Daniel Lommatzsch eher wie ein smarter Börsenhai wirkt, und einem jugendlichen Diener Firs (Samouil Stoyanov). Diesem und Brigitte Hobmeier in ihrer letzten Rolle an den Kammerspielen genehmigt der Regisseur allerdings wundervolle Soli: eine köstliche Tanzeinlage im Stile des Sterbenden Schwans bei ihm, magische Zauberverführung bei der rothaarigen Ausnahmeschauspielerin als versponnene Gouvernante.
Eigentlich kreist diese melancholische „Komödie“nur um eines: Lässt sich ein Weg aus der Verschuldung des Gutshofs finden, dessen Bewohner samt ihrer Entourage total verarmt, aber unfähig zum Handeln sind? Der Verkauf des Gartens wäre die Rettung – doch alle sind dagegen. Dabei droht lautstark von Anfang an das Unheil: Statt der Sägen nervt ein Bohrer, und ab und zu krachen als Menetekel veritable Baumstämme aus dem Bühnenhimmel vor die Füße der Protagonisten. Anti-Text also auch das. O
Nächste Aufführungen in den Münchner Kammerspielen am 5., 9. und 23. Februar.