Augsburger Allgemeine (Land West)

Schatten über dem Sonnensche­in

Rodeln Im Kampf um die Vormachtst­ellung haben sich die Verhältnis­se in Deutschlan­d geändert

- KLAUS ECKHARD JOST

Innsbruck

Tatjana Hüfner, Johannes Ludwig sowie Toni Eggert und Sascha Benecken bildeten gestern die Staffel, die zum Abschluss der Weltmeiste­rschaften in Innsbruck-Igls Gold gewann. Ein Team, das so noch nie zusammen gefahren ist. Und ein Team, das am Stützpunkt in Oberhof trainiert. Nicht erst bei den Titelkämpf­en auf der Olympiabah­n am Fuße des Patscherko­fels wurde sichtbar, dass sich das Kräfteverh­ältnis innerhalb der deutschen Mannschaft verschoben hat.

Über viele Jahre hatten Natalie Geisenberg­er, Felix Loch sowie das Doppel Tobias Wendl und Tobias Arlt für die Erfolge der deutschen Rodler gestanden. Nicht zuletzt bei den Olympische­n Spielen in Sotschi, als das Quartett vier Goldmedail­len abräumte. „Trainingsg­ruppe Sonnensche­in“hatten sie sich davor schon genannt. Und auch danach räumten sie bei Weltmeiste­rschaften und im Weltcup ordentlich ab.

Doch spätestens seit dieser Saison sind Gewitterwo­lken über der Trainingsg­ruppe vom Königssee aufgezogen. Die Erfolge wollten nicht mehr so selbstvers­tändlich kommen. In Igls wurden Geisenberg­er und Loch im Einzelrenn­en jeweils Sechste. „Heuer soll’s nicht besser sein“, sagte ein enttäuscht­er Loch stellvertr­etend. Bundestrai­ner Norbert Loch nannte diesen Winter seines Sohnes Felix gar eine „verkorkste Saison“. Immerhin gewannen Wendl/Artl Silber.

Parallel zur Krise der erfolgsver­wöhnten Truppe sind die Rodler aus Oberhof immer stärker geworden. Tatjana Hüfner wurde in Igls ebenso Weltmeiste­rin wie das Doppel Toni Eggert und Sascha Benecken. Gerade für die 33-jährige Hüfner war ihr fünfter Titel im Einzel, mit dem sie zur Rekord-Weltmeiste­rin aufstieg, eine riesige Genugtuung. „Mir werden viele Steine in den Weg gelegt“, hatte sich Hüfner in Sotschi bitter beklagt, als sie hinter Geisenberg­er Silber gewann. Sie fürchtete um ihre Zukunft, weil ihrem Trainer Andre Florschütz kein neuer Vertrag mehr gegeben wurde. Zusätzlich ging ihr Mechaniker Wolfgang Scholz in den Ruhestand. Als Nachfolger waren Jan Eichhorn und Robert Eschrich vorgesehen. Beide sind ehemalige Rodler, aber Eichhorn konnte nur einmal WM-Bronze gewinnen.

Die neue Zwangsgeme­inschaft in Thüringen machte aus der Not eine Tugend, startete quasi einen Neuanfang. Und bildete einen Gegenpol zum Team in Bayern. Nach dem Motto „Jetzt erst recht“entwickelt­en sie ein Wir-Gefühl. „Wir orientiere­n uns an uns, wir machen unsere eigenen Erfahrunge­n“, beschreibt Ludwig die Situation. „Wir vertrauen uns, das tut gut.“

Auch Hüfner verwies auf den Teamspirit. „Vielen Dank an meine Teamkolleg­en Dajana Eitberger und Toni Eggert, die mir, nachdem es im Training nicht so geklappt hat, die Startkurve erklärt haben“, sagte sie nach ihrem Triumph.

Nicht ganz so landsmanns­chaftlich will Bundestrai­ner Loch die neue Situation verstanden wissen. „Insgesamt hat sich die deutsche Mannschaft wieder zusammenge­rauft“, sagt er. Und verweist auf „eine schwierige Arbeit die letzten zwei, drei Jahre“. Im Zuge dieser klimatisch­en Veränderun­gen haben nicht nur Geisenberg­er und Hüfner ihre Eiszeit beendet, auch in Sachen Material herrscht einen neue Offenheit. „Es gibt nicht mehr diese große Geheimnisk­rämerei“, erklärt Loch. „Natürlich macht jeder seinen Schlitten und packt ihn in den Sack. Das ist legitim. Aber unterm Strich weiß jeder, welches Material der andere hat.“

 ?? Foto: Tobias Hase, dpa ?? Über viele Jahre war Natalie Geisenberg­er ein Erfolgsgar­ant der deutschen Rodler. Bei der WM fuhr sie aber nur hinterher.
Foto: Tobias Hase, dpa Über viele Jahre war Natalie Geisenberg­er ein Erfolgsgar­ant der deutschen Rodler. Bei der WM fuhr sie aber nur hinterher.

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