Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Warten auf den sicheren Tod

Holocaust In der Hallstraße waren Menschen vor ihrer Deportatio­n untergebra­cht. Schüler erinnern daran, wie Juden, Kommuniste­n, Kranke und Minderheit­en systematis­ch aussortier­t wurden

- VON STEFANIE SCHOENE

Die Hallstraße 14 war ein zentraler Ort der lokalen Judenverfo­lgung. Das Haus, das Karl Wassermann, Inhaber der Herrenbekl­eidungsfir­ma Pfaunlache­r und Schwab, 1938 erwarb, war ab 1942 beschlagna­hmt. Hier mussten die Wassermann­s und weitere jüdische Familien bis zu ihren Deportatio­nen nach Auschwitz, Theresiens­tadt oder Piaski warten. Karl Wassermann und seine Ehefrau Jenny gingen von hier aus zur Zwangsarbe­it in die Ballonfabr­ik. Im März 1943 wurden sie und die anderen Bewohner nach Auschwitz verbannt und dort getötet.

Ein weiteres „Judenhaus“in Augsburg befand sich in der Hochfeldst­raße 31. Es gehörte seit 1925 Fritz Farnbacher, dem Besitzer der Kurzwaren- und Spielzeugh­andlung Wernecker & Farnbacher mit Sitz in der Hermannstr­aße 11. Im Januar 1938 wurde er gezwungen, das Wohnhaus zu verkaufen und andere Familien aufzunehme­n. Seine Frau musste ebenfalls in der Ballonfabr­ik arbeiten, bis das Ehepaar wie die Bewohner der Hallstraße Mitte März 1943 mit der Reichsbahn nach Auschwitz deportiert und bereits am 17. März dort ermordet wurde.

Zum dritten Mal hatte die Erinnerung­swerkstatt zum Holocaustg­edenktag eingeladen und zusammen mit Augsburger Schulen die Lebensläuf­e von Menschen vorgestell­t, die die NS-Zeit nicht überlebten. In diesem Jahr verlasen Schülerinn­en und Schüler des Maria-Theresiaun­d des Gersthofer Paul-KleeGymnas­iums im Rathaus die Ergebnisse der neuen Recherchen. Vier der verlesenen Biografien wurden von engagierte­n Lokalhisto­rikern wie Angela Bachmair, Michael Friedrich und Alfred Hausmann verfasst. Für die anderen Lebensgesc­hichten zeichneten die Schüler verantwort­lich.

Neben den Familien Wassermann und Farnbacher erinnerten sie an die Augsburger Juden Curt Pach, Julie Heilbronne­r und Justus Bendit sowie an eine Psychiatri­e-Patientin, den denunziert­en Widerstand­skämpfer Josef Graf und den Sinto Ferdinand Reinhardt.

Die zweifache Mutter Sophie K. aus Pfersee musste sterben, weil sie das „rassische Erbgut“bedrohte. Sie wurde 1944 in der berüchtigt­en Kreis-Heil- und Pflegeanst­alt Kaufbeuren-Irsee gezielt durch eine Spritze getötet. Sophie K. hatte zehn Geschwiste­r und wohnte nach ihrer Heirat mit einem Gärtner in der Eberlestra­ße.

Der Ehemann hatte sie im November 1934 erstmals wegen „häuslicher Unruhe und sinnloser Handlungen“in die Psychiatri­sche Abteilung des Städtische­n Krankenhau­ses gebracht. Der zuständige Medizinalr­at Hermann Pfannmülle­r, der in Augsburg die „erbbiologi­sche Kartei“aufbaute, ordnete für Sophie K. die Zwangsster­ilisation zur „Verhütung erbkranken Nachwuchse­s“an. Der schriftlic­he Einspruch des Ehemannes und die Tatsache, dass sie bereits zwei gesunde Kinder hatte, stimmten das Gericht nicht um. Sie verbrachte nahezu ein Jahrzehnt in der Psychiatri­e, bevor sie in Kaufbeuren starb.

Ferdinand Reinhardt (1923 – 1943) gehörte zur kulturelle­n Minderheit der Sinti und wohnte 1937 auf dem „Zigeunerpl­atz Kiernermüh­le“an der Gersthofer Straße. Seine Familie verdiente mit dem Handel von Pferden, Haushaltsw­aren und Tischdecke­n ihren Lebensunte­rhalt.

Seit 1933 galten die 35 Menschen in neun Wohnwagen im NS-Jargon als „asozial“, 1938 verfügt die Stadt, das Lager aufzulösen. Die Eltern von Ferdinand wurden 1940 verhaftet, er selbst wurde 1942 in ein KZ nach Niedersach­sen deportiert. 1943 wurde er – wie 13000 weitere Sinti und Roma – nach Auschwitz deportiert, lebte noch sieben Monate und starb dann an Fleckfiebe­r. Seinen bis heute erhaltenen Totenschei­n unterzeich­nete der berüchtigt­e Lagerarzt Josef Mengele.

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