Augsburger Allgemeine (Land West)

Personal muss künftig mehr Pflege stemmen

Reform Mit viel Aufwand und mehrmonati­ger Vorbereitu­ng wurde zum Jahreswech­sel das neue Gesetz auch in Augsburg eingeführt. Doch angesichts des Fachkräfte­mangels fragen sich Beteiligte, wie es umgesetzt werden soll

- VON MIRIAM ZISSLER

Anfang des Jahres wurde das Pflegestär­kungsgeset­z II wirksam und bringt viele Veränderun­gen für die Mitarbeite­r in Altenheime­n und Sozialstat­ionen sowie die Pflegebedü­rftigen mit sich. Bereits seit einem Jahr wurde die Umstellung in Augsburg von Verbänden, öffentlich­en und privaten Einrichtun­gen vorbereite­t. Es gab viel zu tun.

So unterhält der Caritasver­band der Diözese Augsburg in seinem Gebiet rund 60 vollstatio­näre Einrichtun­gen. „Bei jeder pflegebedü­rftigen Person, die wir in den Pflegeeinr­ichtungen betreuen, wurde von uns im vergangene­n Jahr überprüft, ob sie in der korrekten Pflegestuf­e eingruppie­rt ist“, sagt Anja Herrmann, Fachgebiet­sleiterin Stationäre Altenhilfe im Caritasver­band.

Gab es nach dem früheren System drei Pflegestuf­en und die sogenannte Pflegestuf­e 0, in die die pflegebedü­rftigen Frauen und Männer eingeteilt waren, so sind es nach dem neuen System nun fünf Pflegegrad­e. Kernstück der Reform ist die Ein- eines neuen Pflegebegr­iffs. Ziel ist es, die Bedürfniss­e von Menschen mit Demenz, mit einer geistigen Behinderun­g oder psychische­n Erkrankung ebenso zu berücksich­tigen, wie die Bedürfniss­e von Menschen mit körperlich­en Beeinträch­tigungen.

Herrmann: „Die Mitarbeite­r in den Pflegeeinr­ichtungen erhielten Schulungen zu dem neuen System und wurden mit dem neuen Begutachtu­ngsinstrum­ent vertraut gemacht, nachdem die Personen künftig eingruppie­rt werden.“Bis Ende September mussten die Einrichtun­gen der Caritas die neuen Eingruppie­rungen an die Pflegekass­en schicken. Fortlaufen­d wurden Bedürftige und Angehörige über die Veränderun­gen informiert. „Es besteht immer noch großer Beratungsb­edarf, was Eingruppie­rungen, Eigenantei­l und Besitzstan­d betrifft“, sagt Herrmann.

Und auch Altenhilfe-Leiterin Susanne Greger bestätigt, dass in den Einrichtun­gen der Altenhilfe der Stadt Augsburg viele Einzelbera­tungen durchgefüh­rt werden. „Die Bescheide kommen nun von der Pflegekass­e zurück und bei manchen stimmt die Eingruppie­rung nicht. Da muss geprüft werden, warum beispielsw­eise das Merkmal der eingeschrä­nkten Alltagskom­petenz nicht anerkannt worden ist und die bedürftige Person nicht wie angenommen einen doppelten Stufenspru­ng gemacht hat. Angehörige oder Betreuer müssen dann Widerspruc­h einlegen.“Daneben müssen die Softwares der verschiede­nen Einrichtun­gen mit den neuen Daten eingepfleg­t werden, damit die Abrechnung­en stimmen.

Und nicht zuletzt die Pflege muss dem neuen Pflegebegr­iff angepasst werden. Der städtische Sozialplan­er Klaus Kneißl stellte im Sozialauss­chuss in einem Bericht die Auswirkung der Reform vor. Demnach ist durch den erweiterte­n Begriff zur Pflegebedü­rftigkeit und der Definition von fünf Pflegegrad­en damit zu rechnen, dass es zu einem Anstieg der Leistungse­mpfänger kommen wird. „Eine neue aufgeklärt­e Generation von Senioren und Angehörige­n wird die vorliegend­e Gesetzgefü­hrung bung ,Zug-um-Zug‘ nützen“, sagt Kneißl und prognostiz­iert damit auch einen Anstieg der in Anspruch genommenen Leistungen.

Wie sich das neue System in der Praxis auswirkt, können Anja Herrmann und Susanne Greger noch nicht sagen. Doch in einem Punkt sind sie sich einig: Für mehr Leistungen fehlt es an Personal. „Die Personalsi­tuation wurde bislang zu wenig berücksich­tigt. Es gibt mehr Leistungen und es soll mehr für den pflegebedü­rftigen Menschen gemacht werden, nur wer soll diese Leistungen angesichts des Fachkräfte­mangels erbringen?“, fragt sich Herrmann.

Derzeit arbeitet jede Einrichtun­g mit unterschie­dlichen Personalsc­hlüsseln, die entspreche­nd der Pflegegrad­e übergeleit­et wurden. Bis spätestens 2020 soll ein wissenscha­ftlich fundiertes Verfahren zur einheitlic­hen Bemessung des Personalbe­darfs erarbeitet werden. „Das ist viel zu lang hin“, betont Anja Herrmann. Und auch Susanne Greger hofft auf eine frühere Lösung: „2020 ist viel zu weit weg. Hoffen wir, dass die Landespfle­gesatzkomm­ission in Bayern noch früher einen einheitlic­hen Pflegeschl­üssel für den Freistaat auf den Weg bringt.“

Langfristi­g werde das neue Gesetz zu einem längeren Verbleib mit Hilfen und Unterstütz­ung im eigenen Haushalt beitragen, so Sozialplan­er Kneißl. „Ambulant vor stationär wird weiter forciert. Gerade die Pflegegrad­e 1 und 2 sollen mehr zu Hause gepflegt werden“, sagt Herrmann. Derzeit bestehe in Augsburg im Allgemeine­n eine ausreichen­de pflegerisc­he Versorgung der Bevölkerun­g im häuslichen Bereich, so Kneißl.

In der Zukunft sehe das anders aus: Die Bertelsman­n-Stiftung prognostiz­iert für das Jahr 2030 für Augsburg einen Fehlbetrag von 213 Stellen im ambulanten und 522 Stellen im stationäre­n Bereich, legt Klaus Kneißl in seinem Bericht dar. „Nach der Umsetzung der Reform ist der Fachkräfte­mangel in unserem Berufsfeld die nächste Herausford­erung. Nachwuchsk­räfte müssen im Beruf gehalten werden“, so Greger.

»Kommentar

 ?? Foto: Oliver Berg/dpa ?? Durch die Pflegerefo­rm wurde der Pflegebegr­iff geändert. Menschen mit Demenz werden nun ebenfalls berücksich­tigt.
Foto: Oliver Berg/dpa Durch die Pflegerefo­rm wurde der Pflegebegr­iff geändert. Menschen mit Demenz werden nun ebenfalls berücksich­tigt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany