Augsburger Allgemeine (Land West)
Personal muss künftig mehr Pflege stemmen
Reform Mit viel Aufwand und mehrmonatiger Vorbereitung wurde zum Jahreswechsel das neue Gesetz auch in Augsburg eingeführt. Doch angesichts des Fachkräftemangels fragen sich Beteiligte, wie es umgesetzt werden soll
Anfang des Jahres wurde das Pflegestärkungsgesetz II wirksam und bringt viele Veränderungen für die Mitarbeiter in Altenheimen und Sozialstationen sowie die Pflegebedürftigen mit sich. Bereits seit einem Jahr wurde die Umstellung in Augsburg von Verbänden, öffentlichen und privaten Einrichtungen vorbereitet. Es gab viel zu tun.
So unterhält der Caritasverband der Diözese Augsburg in seinem Gebiet rund 60 vollstationäre Einrichtungen. „Bei jeder pflegebedürftigen Person, die wir in den Pflegeeinrichtungen betreuen, wurde von uns im vergangenen Jahr überprüft, ob sie in der korrekten Pflegestufe eingruppiert ist“, sagt Anja Herrmann, Fachgebietsleiterin Stationäre Altenhilfe im Caritasverband.
Gab es nach dem früheren System drei Pflegestufen und die sogenannte Pflegestufe 0, in die die pflegebedürftigen Frauen und Männer eingeteilt waren, so sind es nach dem neuen System nun fünf Pflegegrade. Kernstück der Reform ist die Ein- eines neuen Pflegebegriffs. Ziel ist es, die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz, mit einer geistigen Behinderung oder psychischen Erkrankung ebenso zu berücksichtigen, wie die Bedürfnisse von Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen.
Herrmann: „Die Mitarbeiter in den Pflegeeinrichtungen erhielten Schulungen zu dem neuen System und wurden mit dem neuen Begutachtungsinstrument vertraut gemacht, nachdem die Personen künftig eingruppiert werden.“Bis Ende September mussten die Einrichtungen der Caritas die neuen Eingruppierungen an die Pflegekassen schicken. Fortlaufend wurden Bedürftige und Angehörige über die Veränderungen informiert. „Es besteht immer noch großer Beratungsbedarf, was Eingruppierungen, Eigenanteil und Besitzstand betrifft“, sagt Herrmann.
Und auch Altenhilfe-Leiterin Susanne Greger bestätigt, dass in den Einrichtungen der Altenhilfe der Stadt Augsburg viele Einzelberatungen durchgeführt werden. „Die Bescheide kommen nun von der Pflegekasse zurück und bei manchen stimmt die Eingruppierung nicht. Da muss geprüft werden, warum beispielsweise das Merkmal der eingeschränkten Alltagskompetenz nicht anerkannt worden ist und die bedürftige Person nicht wie angenommen einen doppelten Stufensprung gemacht hat. Angehörige oder Betreuer müssen dann Widerspruch einlegen.“Daneben müssen die Softwares der verschiedenen Einrichtungen mit den neuen Daten eingepflegt werden, damit die Abrechnungen stimmen.
Und nicht zuletzt die Pflege muss dem neuen Pflegebegriff angepasst werden. Der städtische Sozialplaner Klaus Kneißl stellte im Sozialausschuss in einem Bericht die Auswirkung der Reform vor. Demnach ist durch den erweiterten Begriff zur Pflegebedürftigkeit und der Definition von fünf Pflegegraden damit zu rechnen, dass es zu einem Anstieg der Leistungsempfänger kommen wird. „Eine neue aufgeklärte Generation von Senioren und Angehörigen wird die vorliegende Gesetzgeführung bung ,Zug-um-Zug‘ nützen“, sagt Kneißl und prognostiziert damit auch einen Anstieg der in Anspruch genommenen Leistungen.
Wie sich das neue System in der Praxis auswirkt, können Anja Herrmann und Susanne Greger noch nicht sagen. Doch in einem Punkt sind sie sich einig: Für mehr Leistungen fehlt es an Personal. „Die Personalsituation wurde bislang zu wenig berücksichtigt. Es gibt mehr Leistungen und es soll mehr für den pflegebedürftigen Menschen gemacht werden, nur wer soll diese Leistungen angesichts des Fachkräftemangels erbringen?“, fragt sich Herrmann.
Derzeit arbeitet jede Einrichtung mit unterschiedlichen Personalschlüsseln, die entsprechend der Pflegegrade übergeleitet wurden. Bis spätestens 2020 soll ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren zur einheitlichen Bemessung des Personalbedarfs erarbeitet werden. „Das ist viel zu lang hin“, betont Anja Herrmann. Und auch Susanne Greger hofft auf eine frühere Lösung: „2020 ist viel zu weit weg. Hoffen wir, dass die Landespflegesatzkommission in Bayern noch früher einen einheitlichen Pflegeschlüssel für den Freistaat auf den Weg bringt.“
Langfristig werde das neue Gesetz zu einem längeren Verbleib mit Hilfen und Unterstützung im eigenen Haushalt beitragen, so Sozialplaner Kneißl. „Ambulant vor stationär wird weiter forciert. Gerade die Pflegegrade 1 und 2 sollen mehr zu Hause gepflegt werden“, sagt Herrmann. Derzeit bestehe in Augsburg im Allgemeinen eine ausreichende pflegerische Versorgung der Bevölkerung im häuslichen Bereich, so Kneißl.
In der Zukunft sehe das anders aus: Die Bertelsmann-Stiftung prognostiziert für das Jahr 2030 für Augsburg einen Fehlbetrag von 213 Stellen im ambulanten und 522 Stellen im stationären Bereich, legt Klaus Kneißl in seinem Bericht dar. „Nach der Umsetzung der Reform ist der Fachkräftemangel in unserem Berufsfeld die nächste Herausforderung. Nachwuchskräfte müssen im Beruf gehalten werden“, so Greger.
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