Augsburger Allgemeine (Land West)
Warum Cybermobbing so schlimm ist
Erziehung Jürgen Archaska von der Polizei in Gersthofen kennt die Fälle aus der Region. Was der Jugendbeamte rät und wann er eingreift
Gersthofen Jürgen Archaska kennt die Abgründe, die sich im Internet auftun. Der Jugend- und Schulverbindungsbeamte der Polizei Gersthofen hat in seiner täglichen Arbeit unter anderem mit Fotos zu tun, die kaum bekleidete Mädchen zeigen und in falsche Hände geraten sind, oder mit Cybermobbing. Er erklärt im Interview, was für Kinder und Jugendliche im Internet gefährlich werden kann.
Herr Archaska, was verstehen Sie unter Cybermobbing?
Archaska: Erst kürzlich ging es um ein Mädchen aus dem Dienstbereich. Die 14-Jährige hatte im Internet im Chat einen Jungen kennengelernt und diesem ein Foto geschickt, das sie leicht bekleidet zeigt. Dieses Bild wurde weitergegeben und landete in verschiedenen WhatsappGruppen. Das Mädchen wurde daraufhin derart drangsaliert und schikaniert, dass schließlich die Polizei eingeschaltet wurde.
Sie klären als Jugend- und Schulverbindungsbeamter Kinder und Jugendliche über die Gefahren des Internets auf. Wie machen Sie das?
Archaska: Ich habe im vergangenen Jahr rund 60 Vorträge an den verschiedenen Schulen gehalten. Dabei rede ich mit den Kindern und Jugendlichen nicht nur über das Internet, sondern auch über Zivilcourage oder Gewaltprävention. Wenn es gewünscht wird, halte ich auch Vorträge für Eltern. Für die vierten Klassen gibt es ein spezielles Projekt unter dem Motto „Schine“, das steht für Schmutz im Netz. Ich versuche dabei die Kinder – auch auf spielerische Art und Weise – auf die Gefahren des Internets aufmerksam zu machen.
Gibt es im Bereich der Polizeiinspektion Gersthofen viele Fälle von Mobbing oder anderen Straftaten im Internet?
Archaska: Konkrete Zahlen kann ich nicht nennen. Es gibt aber Tage, an denen es allein am Vormittag drei Anrufe gibt, bei denen es um Kinder und Jugendliche geht, die im Netz gemobbt werden. Allerdings sind das nicht immer Anzeigen. Oft fragen Eltern auch um Rat und wollen wissen, wie sie sich richtig verhalten.
Wo fängt denn Mobbing im Netz an?
Archaska: Genau das ist gar nicht so einfach festzulegen. Aber ich habe festgestellt, dass gerade Mädchen andere Mädchen mit heftigsten und wirklich nicht mehr jugendfreien Ausdrücken beschimpfen und die Betroffenen anschließend ausgrenzen.
Aber Mobbing an Schulen gab es doch früher auch schon?
Archaska: Das stimmt. Aber bevor es das Internet gab, musste man dem anderen bei den Beschimpfungen ins Gesicht sehen. Heute geht das viel einfacher mit dem Handy, denn das ist viel anonymer.
Wieso liegt Ihnen das Thema so sehr am Herzen?
Archaska: Weil Langzeitstudien eindeutig belegen, dass Jugendliche zum Teil ihr Leben lang unter den Folgen von Mobbing leiden. Und nicht nur das. Diese Art der Ausgrenzung kann schlimmstenfalls zum Selbstmord führen. Außerdem gibt es noch immer einige Eltern, die in diesen Fällen ihre Kinder nicht ernst nehmen. Die sagen dann zu ihrem Sohn oder ihrer Tochter, sie sollen sich nicht so anstellen.
Was machen Kinder dann in solchen Situationen?
Archaska: Viele Mobbingopfer – rund ein Drittel – wenden sich an den Lehrer. Die Pädagogen sind für die Mädchen und Buben ein wichtiger Ansprechpartner, ebenso wie die Schulsozialarbeiter. Nur die wenigsten Fälle landen schließlich bei der Polizei.
Was haben Sie im Umgang mit betroffenen Kindern und Eltern schon erlebt?
Archaska: Einmal kam eine 13-Jährige mit ihren Eltern zu mir. Das Mädchen war fix und fertig, weil es ein Nacktbild von sich an einen Jungen verschickt hatte, den sie im Internet kennengelernt hatte. Das Bild landete schließlich in verschiedenen Chatgruppen. Der Vater tobte, weil seine Tochter so unvorsichtig war, und brüllte herum. Das hilft in dieser Situation aber niemandem. Das Mädchen, das sich sowieso gedemütigt fühlte, braucht in so einer Situation den Rückhalt und die Zuneigung von Mutter und Vater.
Müssen auch die Eltern ihre Internetnutzung überdenken?
Archaska: Viele schon. Es werden von Eltern viel zu viele Bilder ohne viel Nachdenken auf Plattformen wie Whatsapp oder Facebook gepostet. Ich finde, man sollte wesentlich vorsichtiger sein, welche Fotos und Daten man dort einstellt. Selbst als Profilbild würde ich nie ein Familienbild einstellen. Das kann schnell manipuliert oder zweckentfremdet werden.
Wie können Eltern kontrollieren, was ihre Kinder im Internet tun?
Archaska: Das ist eine schwierige Frage. Ich bin selbst Vater und habe dafür keine Patentlösung. Wenn Eltern ihre Kinder kontrollieren und beispielsweise die Verläufe im Handy checken, kann das zu einem Vertrauensbruch führen. Ich denke, es ist viel wichtiger, sich wirklich für das Kind zu interessieren, ihm aufmerksam zuzuhören und Zeit mit ihm zu verbringen. Außerdem sollte es für die Nutzung von Handy, Internet und Co konkrete Regeln geben. Ich habe nämlich schon Fälle erlebt, dass Zehnjährige noch nach 23 Uhr in Internetchats unterwegs waren.