Augsburger Allgemeine (Land West)
Warum Einkaufen begeistern muss
Für den stationären Handel wird es zunehmend schwer, sich gegen die Online-Konkurrenz durchzusetzen. Woran das liegt und wie man dagegen ankommen kann, erklärt ein Augsburger Professor
Die Arbeit der Einzelhändler beginnt schon lange, bevor der Kunde den Laden betritt. Marketing-Fachleute sprechen von einer Reise des Kunden. Auf dem Weg bis ins Geschäft hat der Konsument teils hunderte Kontakte, die seine Kaufentscheidung beeinflussen, sagt Michael Paul, Professor für Marketing an der Universität Augsburg. Dazu zählen beispielsweise Prospekte, das Internet oder andere Kundenmeinungen.
Aus Sicht des Professors müssen Händler deshalb den Weg bis zur Kaufentscheidung aktiv begleiten. Und dazu vor allem sich eines verinnerlichen: „Kunden kaufen keine Produkte mehr, sondern Erlebnisse. Das Einkaufen muss sie begeistern“. Hier habe der stationäre Handel aber Defizite. „Es gibt Untersuchungen, wonach 80 Prozent der Händler glauben, dass sie für ein Einkaufserlebnis gesorgt haben, es aber nur acht Prozent der Kunden auch so beurteilen.“Viele Firmen wissen nicht, ob ihre Marketingmaßnahmen auch wirklich funktionieren.
Ein Forschungsprojekt von Paul soll mehr Klarheit bringen, wann Kunden ihren Einkauf tatsächlich als Erlebnis empfinden. In den kommenden drei Jahren arbeitet er an einem Programm (App) fürs Smartphone, die es Händlern ermöglicht, Kundenwünsche und -empfindungen besser zu verstehen und ihre Kommunikation und das Marketing entsprechend zu verbessern. Dafür haben der Professor und sein Mitarbeiter Markus Gahler mit Forschern aus Finnland Fördergelder vom renommierten US-amerikanischen Marketing Science Institute erhalten. „Die App fragt beim Kunden unter anderem ab, wie ihm die Ausstattung des Ladens gefällt, ob er dank der Beratung etwas Neues erfahren hat und ob er das Einler kaufserlebnis als stimmig empfindet. Die Befragung soll maximal 30 Sekunden dauern.“
Neben der App, die künftig helfen soll, konkret auf Kundenwünsche einzugehen, muss der Einzelhandel weitere Maßnahmen anpacken, um sich gegen das Internet zu behaupten, so Paul. Hier wird ausgerechnet das Netz eine zentrale Rolle spielen. Die Bewertung der eigenen Firma sowie der Konkurrenz durch den Kunden in sozialen Netzwerken müsste zwingend beachtet werden „Es ist extrem wichtig, zuzuhören und schnell und sachlich auf solche Einträge im Internet zu reagieren“, sagt Paul. Es gebe große Konzerne, bei denen 30 oder mehr den ganzen Tag nichts anderes machen, verweist er. Kleinere Unternehmen sollten sich des Themas im Rahmen ihrer Möglichkeiten aber auch annehmen. Das hält auch Marcus Vorwohlt, Einzelhandelsexperte der IHK und Inhaber des Modehauses Rübsamen für wichtig. „Im Geschäft schweigen unzufriedene Kunden meist und kommen nicht wieder. Hilfreiche Rückmeldungen werden im Internet eher geäußert, darauf achten inzwischen viele Einzelhändler und haben auch deswegen eigene Facebook-Seiten.“Und was rät der Professor den Einzelhändlern noch? Kunden erwarteten ein breites Angebot. „Flexibilität ist wichtig. Am besten hat der Verkäufer immer ein Smartphone oder Tablet dabei und schaut sofort, wie er das Produkt schnellstmöglich in der gewünschten Farbe oder Größe besorgen kann.“Auch innovative und wechselnde Schaufensterdekorationen können helfen. Es sei sinnvoller, im Schaufenster verschiedenste Produkte zu kombinieren, die für einen gewissen Lebensstil stehen, als die Ausstellungsfläche mit Produkten vollzustellen, die womöglich auch alle anderen anbieten. „Viele HändMitarbeiter unterschätzten zudem die Kraft der menschlichen Sinne. Mittels Gestaltung des Ladens, Lichtkonzept oder angenehmen Gerüchen, kann der Händler dafür sorgen, dass sich der Kunde wohlfühlt. Das ist eine Stärke gegenüber dem Onlinehandel“, so Paul. Dass der Kunde solche Investitionen honoriere, bestätigt auch Vorwohlt. Diese Erfahrung hätten mehrere Kollegen gemacht. Im Vorteil sei der stationäre Handel auch, wenn es darum gehe, etwas zu testen oder zu erleben, sagt Paul. „Dazu gehören Parfüms, Fahrräder oder auch Autos. Letzteres ist ein teures Produkt, das wollen Kunden lieber persönlich in Augenschein nehmen“, so Paul.
Mit allen Sinnen erleben kann man nur vor Ort