Augsburger Allgemeine (Land West)

Von der Trinkstube zur Augsburger Börse

Rathauspla­tz Warum Frauen vom Besuch des Handelspla­tzes für Wertpapier­e ausgeschlo­ssen waren. Das Gebäude stand früher auf dem Rathauspla­tz. Seit 1963 findet dort der Christkind­lesmarkt statt

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Augsburg

Der Christkind­lesmarkt findet seit 1963 auf dem gepflaster­ten Rathauspla­tz statt. Dass an dieser Stelle gegenüber dem Rathaus das Börsengebä­ude stand, ist kaum noch vorstellba­r. Doch die Geschichte des Rathauspla­tzes ist dank Bildern seit über 500 Jahren nachvollzi­ehbar. Ein besonderes Kapitel bildet die Börse. Sie ist auf Stichen, Gemälden, Medaillen und Fotos abgebildet und hinterließ viel Papier wie eine 1911 gedruckte „Augsburger BörsenOrdn­ung“. Sie umfasst 16 Seiten und regelte die Abläufe des Geschäftsv­erkehrs. Im Börsengebä­ude fanden damals täglich, mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage, von 11.45 Uhr bis 12.15 Uhr, die Börsenvers­ammlungen statt. Das schrieb Paragraf 39 der BörsenOrdn­ung vor.

Im Paragraf 14 heißt es: „Vom Börsenbesu­che sind ausgeschlo­ssen Personen weiblichen Geschlecht­s.“Frauen waren vor 105 Jahren gleichgese­tzt mit an der Börse unerwünsch­ten Bankrotteu­ren, Betrügern und Zahlungsun­fähigen. Das Börsenwese­n sollte ausschließ­lich in Händen „ehrenvolle­r“Männer sein. Offenbar kam auch unehrenhaf­tes Verhalten beim Handel mit Wertpapier­en, Wechseln, Coupons und Geldsorten vor, ansonsten wäre das Kapitel „Ehrengeric­ht“in der Börsen-Ordnung unnötig gewesen.

Geschriebe­ne oder gedruckte Statuten gab es 1368 noch nicht, als Augsburger Kaufleute ein Haus er- „zum Zwecke der Förderung des Handels und Wandels und des geselligen Verkehrs“. Dieses „Klubhaus“war der früheste Vorläufer einer Börse. Im Jahr 1549 richtete die Kaufmannsc­haft gegenüber dem Rathaus eine „Trinkstube“ein. Es war ein exklusiver Treffpunkt, in dem man auch Geschäfte abwickelte. Die „Trinkstube“entwarben wickelte sich zur Börse für den Wertpapier- und Devisenhan­del.

Davon zeugen Archivalie­n wie Kurszettel „In Augusta Anno 1795“. Darauf sind 19 Positionen vorgedruck­t. Die täglich neu festgestel­lten Währungs- und Feingoldku­rse sind handschrif­tlich eingetrage­n. Aus dem Jahr 1823 stammen auf 43 Zeilen angewachse­ne Kurszettel mit „Wechsel- und GeldCourse­n“. Ein „Wechsel-Sensal“(Börsenmakl­er) erfasste sie und besorgte den Druck.

Kurszettel aus dem Jahr 1853 besitzen ein größeres Format und sind doppelseit­ig bedruckt. Sie sind in „Wechsel-Course“(35), „GeldCourse“(20) und „Course der Staatspapi­ere“(29) unterteilt. Die Anzahl der gehandelte­n Papiere und Währungen hat enorm zugenommen. Wechselkur­se sind weltweit erfasst, Geldkurse europaweit. Bayerische, österreich­ische, preußische und württember­gische Staatspapi­ere, Bank- und Eisenbahna­ktien werden gehandelt.

Die höchsten Börsenumsä­tze wurden 1824 erzielt. 1830 war Augsburg noch Bayerns Bankenplat­z Nummer eins mit 24 Bankiers und Wechselhan­dlungen. In diesem Jahr bekam Augsburg Konkurrenz in München: Die dortige Kaufmannss­tube gründete 1830 eine Börse. 1835 wurde Augsburg dennoch als „Wechselpla­tz von europäisch­er Bedeutung“bezeichnet. Um 1860 reduzierte­n sich die Geschäfte zwar auf lokale Papiere, doch Augsburg erlebte mehrere Aufschwüng­e mit Textilakti­en.

Die Börsengebä­ude bilden ein eigenes Kapitel im baulichen Wandel im Herzen der Stadt. 1811/12 hatte der „Augsburger Handelssta­nd“zwei Gebäude gegenüber dem Rathaus abbrechen und eine Börse erbauen lassen. Der Neubau erwies sich als Murks der Baumeister: Der Dachstuhl senkte sich, und der Einsturz war zu befürchten. 1826 erfolgte der Abbruch. Der Wertpapier­handel fand bis 1830 im Goldenen Saal des Rathauses statt. Als Architekt für eine neue Börse musste der Handelssta­nd auf „Empfehlung“von König Ludwig I. den königliche­n Oberbaurat J. N. von Pertsch beauftrage­n. Er stellte dem Holl’schen Rathaus einen von den Augsburger­n als überdimens­ioniert und unzweckmäß­ig angesehene­n „kostspieli­gen Bau mit starken, der Ewigkeit trotzenden Mauern“(so eine Beschreibu­ng) gegenüber.

104 Jahre fand darin der Börsenhand­el statt. Ende 1934 stellte die Regierung den Wertpapier­handel in Augsburg ein. Umbauten im Inneren des Börsengebä­udes bereiteten den Einzug des „Schwabense­nders“der Reichsrund­funk GmbH im Januar 1935 vor. Er übertrug später Konzerte aus dem Saal in den Obergescho­ssen live. Während des Umbaus des Stadttheat­ers 1938/39 diente der Börsensaal als Ausweichqu­artier der Kammerspie­le.

Am Abend des 25. Februar 1944 fand das letzte Konzert statt. Es wurde mit Sirenengeh­eul beendet: In England gestartete alliierte Bomber hatten Kurs auf Augsburg genommen. Ihre „Fracht“traf auch die Börse. Die oberen Stockwerke brannten aus. Die Fassade blieb erhalten, Parterre und Keller waren sogar weiterhin nutzbar. Im Juli 1949 brach man die Fassade bis auf das Erdgeschos­s ab, der Rest der Börse wurde im Oktober 1960 beseitigt. Ein Teil des Areals sollte bebaut werden. Doch die riesige Baugrube musste nach Protesten der Bürgerscha­ft verfüllt werden: Sie bestand auf einem weiten, von jeglicher Bebauung freien Rathauspla­tz.

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Fotos: Sammlung Häußler Die Börse um 1900. Wo sie stand, findet derzeit der Christkind­lesmarkt statt. Auch der restliche Bautenkomp­lex ist verschwun den.
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Der Rathauspla­tz im Jahre 1952. Neben einem Rest der Börsenruin­e war der Augus tusbrunnen aufgebaut, Flachbaute­n sollten die Zeit bis zu einer Neubebauun­g über brücken.
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Eine riesige Baugrube war 1962 gegen über dem Rathaus ausgehoben. Sie wur de wieder verfüllt.

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