Augsburger Allgemeine (Land West)
Zeichnen in jeder Lebenslage
Ausstellung Johann Georg von Dillis (1759 – 1841) war honoriger bayerischer Museumsbeamter. Als Künstler lebte er sich außerhalb des Prunkrahmens aus. Was sein Werk einzigartig macht
Warum gefällt uns eine schöne Skizze besser als ein schönes Gemälde? (...) Die Skizze zieht uns vielleicht deshalb so stark an, weil sie nicht genau umschrieben ist und unserer Einbildungskraft mehr Freiheit gönnt, so dass wir alles, was uns gut dünkt, in ihr sehen. (Denis Diderot, 1767)
Johann Georg von Dillis wurde 82 Jahre alt, über 60 davon zeichnete er. Überall, in jeder Lebenslage, zur Not auch von einem schwankenden Boot aus oder auf dem Rücken eines Esels sitzend. Er notierte skizzierend, was er sah – vor allem auf seinen vielen Reisen, die er im „Modus eines unermüdlichen Wahrnehmens und Fragens praktizierte“(Katalog), aber auch auf seinen täglichen Spaziergängen, kleine Fluchten aus seinen amtlichen Verpflichtungen. „Tag und Nacht reisefertig“, nannte ein Freund den Bildersammler. Hätte es die Fotografie zu seinen Lebzeiten schon gegeben (sie etablierte sich in ihren Anfängen mit seinem Tod), hätte Dillis sicher unentwegt Aufnahmen gemacht.
So aber fanden sich allein in seinem Nachlass über 10000 Blätter, dazu 40 Skizzenbücher. Mit seinen Wolkenstudien und den in der Na- entstandenen Ölskizzen nimmt Johann Georg von Dillis eine Ausnahmestellung ein. Er war mit seiner Kunstauffassung seiner Zeit voraus und gilt heute als kühner Vorläufer der Impressionisten. Dillis, ein „Kind der Aufklärung“, lebte hälftig in zwei Jahrhunderten, geboren 1759, gestorben 1841. Er war eine Art bayerischer Kunstfunktionär, Museumsdirektor, viel beschäftigter Staatsbeamter, Vertrauter Ludwig I. Dass er aber auch und vor allem ein außergewöhnlicher Künstler war, dessen Experimentierfreude, Individualität und Modernität verblüffen, wurde erst spät gewürdigt, im 20. Jahrhundert.
Dabei hatte Dillis, Sohn eines oberbayerischen Revierförsters und Jägers und 1782 zum Priester geweiht (es gab dann aber keine Stelle für ihn…), durchaus Bewunderer zu Lebzeiten. Johann Wolfgang von Goethe etwa, den 1828 Landschaften von Dillis’ Hand „in die angenehmste Empfindung“setzten. Goethe hatte einen Blick für Dillis’ Motivwahl, die abseits von Prunk, Fesseln der Konvention und Idealisierung „auf kaum bedeutend scheinende Gegenstände“gerichtet war.
Die Qualität des Werks und die Ausnahmestellung, die Skizzen und Studien darin einnehmen, lassen sich jetzt in einer Ausstellung im Schweinfurter Museum Georg Schäfer studieren. „Die Kunst selbst ist Natur“, so der Titel der Schau, gruppiert, ergänzt um einige Leihgaben, Arbeiten, die der Museumsgründer Georg Schäfer in den 1950er und 1960er Jahren zusammengetragen hat, zu einem konzentrierten Parcours in fünf Kapiteln.
Dillis arbeitete als Künstler vor allem privat und draußen – in den Freiräumen, die ihm seine dienstlichen Aufgaben ließen. Vielleicht war das sein Glück. Denn unabhängig von Aufträgen, Traditionen, Repräsentation und akademischem Korsett lebte er ganz im Moment und folgte seiner Intuition und seinem Gespür für Motive. Ihn reizte das Unspektakuläre, er porträtierte auf Reisen mit Interesse Menschen, die ihm begegneten – Bettler, Schafhirten, einfache Dorfleute.
Als einer der deutschen Pioniere der Ölskizze wagte Johann Georg von Dillis sich auf künstlerisches Neuland, arbeitete leidenschaftlich in der Natur, fing Lichtstimmungen und Eindrücke authentisch ein. Dillis’ Meisterschaft scheint auf zwei Ölskizzen der Sammlung Schäfer beispielhaft auf: Eine zeigt einen baumgesäumten Wegesrand im Englischen Garten, mit verwischtem Grün bis in die Abstraktion hinein und einem Reiter in der äutur ßersten linken Bildecke. Alles auf dieser Komposition scheint lebendig und in Bewegung, eine Feier des Augenblicks und der Beiläufigkeit. Die andere Ölskizze zeigt den Hohenstaufen bei Salzburg mit einer weiten Tallandschaft davor – und einem grandios bewegten mächtigen Wolkenhimmel darüber, der das Bild dominiert.
Das Motiv des Wolkenhimmels beschäftigte Dillis viele Jahre – er zeichnete hundert Wolkenbilder, meist auf blau getöntem Papier. Mit John Constable, Caspar David Friedrich und William Turner gehörte Dillis zu den frühen Pionieren dieses Genres, das durch neue Forschungen zur Meteorologie inspiriert war. Wolkenstudien wurden ab 1800 zu einer eigenen Gattung in der Kunst – ein Feld, das wie geschaffen war für Johann Georg von Dillis.
Auch seine Porträts zeichnen sich durch natürliches Interesse, Unvoreingenommenheit und Offenheit für den Augenblick aus. Bewegend die aus vier Papierstücken zusammengefügte Studie seines jüngeren Bruders Cantius, der schlafend an einem Baum lehnt. An ihm lässt sich auch die Souveränität und Zartheit studieren, mit der Dillis aquarellierte. O
Laufzeit bis 23. April. Infos: www.museumgeorgschaefer.de