Augsburger Allgemeine (Land West)
Viermal im Monat ruft jemand um Hilfe
Sicherheit Seit fünf Jahren gibt es an Fahrkartenautomaten eine direkte Leitung zur Polizei. Der häufigste Grund für einen Alarm sind allerdings nicht Gewalt- und andere Straftaten
Ein Morgen Anfang Januar um 4.30 Uhr am Königsplatz: Ein 25-Jähriger stiehlt einem 21-Jährigen den Rucksack, es kommt zu einem Handgemenge. Der 25-Jährige schlägt laut Ermittlungen auch einen Passanten, der sich einschaltet. Der Verdächtige wird noch vor Ort von einer Streife festgenommen.
Gerufen werden die Polizisten vor einem Monat über einen der Notrufknöpfe mit Videofunktion, die seit ziemlich genau fünf Jahren flächendeckend an den Fahrkartenautomaten der Stadtwerke angebracht sind. 165 Notrufsäulen gibt es in Augsburg. Auch andere Kommunen setzen auf das System, zuletzt war eine Delegation aus Mannheim da, wo die Automaten seit Dezember mit Notruffunktion ausgestattet sind. Das System habe sich bewährt, sagt Polizeidirektor Robert Maschke, der für die Einsatzzentrale der Polizei verantwortlich ist.
Von der Schlägerei über medizinische Notfälle oder einen mutwillig geöffneten Kanaldeckel bis hin zum Dackel, der dem Frauchen an der Haltestelle entwischt und in den nächsten Bus einsteigt – das Spektrum der gemeldeten Vorfälle ist breit. „Am häufigsten sind Situationen, in denen Menschen Hilfe benötigen: Wir hatten schon Herzinfarkte oder Diabetes-Patienten, die zusammengebrochen sind“, sagt Maschke. Auch verwirrte oder demente Menschen werden so gemeldet – oder drücken gar nicht so selten selbst auf den markanten roten Knopf.
Allzu häufig führt der Notruf über die Automaten aber gar nicht zu Einsätzen. Die Zahl der Einsätze pendelt zwischen 30 und 50 pro Jahr, vergangenes Jahr waren es 48. Die Zahl der Notrufeingänge über die Automaten liegt mit rund 3000 deutlich höher – dabei sind beispielsweise aber auch Kinder mitgezählt, die in einem unbeaufsichtigten Moment den Knopf drücken. Wer sich einen absichtlichen Jux erlaubt, kann aber wegen Missbrauchs von Notrufen belangt werden. Die Polizei zeichnet, wie beim Telefon auch, die Anrufe auf. Zusätzlich ist eine Kamera im Automaten angebracht, die das Gesicht des Anrufers zeigt. Dieses Bild wird auch gespeichert, unter anderem um Scherzanrufer identifizieren zu können. Ein Übersichtsbild über die Haltestelle bekommen die Polizisten in der Ein- satzzentrale durch die Automatenkameras nicht geliefert.
Sie können sich aber auf die Verkehrsüberwachungskameras der Stadtwerke aufschalten. Ist eine solche Kamera in der Nähe, dann gibt es ein Übersichtsbild. Es ist aber relativ unscharf – Kennzeichen und Gesichter sind nicht erkennbar, Personenkonturen und Kleidungsstücke schon. Und die Bilder werden aus Datenschutzgründen nicht aufgezeichnet. So könnte die Polizei gegebenenfalls beurteilen, ob eine große Schlägerei im Gange ist oder nur ein kleines Handgemenge gemeldet wird.
Generell seien solche größeren Gewalttaten an Haltestellen aber selten, schätzt die Polizei. Eine gesicherte Auswertung zur Zahl der Gewalttaten für den Bereich von Haltestellen gibt es nicht. Über die Notrufknöpfe wurden vergangenes Jahr sieben Gewalttaten gemeldet, wobei ja auch Notrufe übers Handy dazukommen. Aber zur Orientierung: Auf den Augsburger Straßen insgesamt – nicht nur an Haltestellen – gab es im Jahr 2015 rund 280 Fälle von schwerer oder gefährlicher Körperverletzung insgesamt, beim Straßenraub waren es 24.
Die Stadtwerke dokumentieren, wie häufig Fahrer die Leitstelle über Gewalttaten wie Schlägereien oder sich anbahnende Handgemenge informieren, damit diese die Polizei ruft. In den vergangenen drei Jahren habe es insgesamt 25 Meldungen durch Fahrer gegeben, davon etwa die Hälfte am Königsplatz. „Die Situation ist gut. Aber man weiß, dass man schnell Hilfe holen kann. Das erhöht die subjektive Sicherheit“, sagt Stadtwerkesprecher Jürgen Fergg.
Die Automatenkameras waren in Augsburg eingeführt worden, als alle Fahrscheinautomaten erneuert und für die Zahlung mit EC-Karten fit gemacht wurden. Bei der damaligen Entscheidung dürfte auch der Fall von Dominik Brunner eine Rolle gespielt haben, der 2009 auf einem Münchner S-Bahnhof von zwei Jugendlichen zu Tode geprügelt wurde. Eine bundesweite Diskussion über die Sicherheit im Nahverkehr war die Folge.
Allerdings fühlen sich die Augsburger, das zeigt die regelmäßige Bürgerbefragung durchs städtische Statistikamt, sowohl in der Innenstadt als auch an Haltestellen und in Bussen und Trams recht sicher. Die Werte steigen seit 2011. Die aktuellsten Daten kommen aus dem Jahr 2015.
Die Befragten bewerteten die Situation tagsüber als sicher bis sehr sicher, nachts gab es im öffentlichen Raum aber überall Abstriche. Am unsichersten fühlen sich Bürger tags und nachts in Parks und Grünanlagen sowie an Bahnhöfen.