Augsburger Allgemeine (Land West)
Premiere nach hundert Jahren
Konzert Die Philharmoniker mit einer Sinfonie, die in Augsburg noch nie aufgeführt wurde
Der Name Dohnányi ist hierzulande nicht ganz unbekannt. Am geläufigsten ist wohl Klaus von Dohnányi, ehemals Erster Bürgermeister von Hamburg. Und Freunden der Klassik kommt dessen Bruder in den Sinn, der Dirigent Christof von Dohnányi. Beide sind, als Söhne des von den Nazis hingerichteten Widerstandskämpfers Hans von Dohnányi, die Enkel des ungarischen Komponisten Ernö Dohnányi (1877-1960). Eines Musikers, dem im deutschen Kulturraum allerdings eine fragile Position zukommt. Wohl wissen ihn Musikliebhaber – unter dem eingedeutschten Namen Ernst von Dohnányi – zu verorten als Generationsgenossen seiner ungarischen Komponistenkollegen Kodály und Bartók. Musik von Dohnányi erklingt in hiesigen Konzertsälen jedoch ausgesprochen selten. Eine Situation, die für Augsburgs ungarischen Generalmusikdirektor Domonkos Héja natürlich eine Herausforderung ist – man stelle sich vor, Dohnányis 1. Sinfonie war in Augsburg bis dato noch nie eine Aufführung zuteil geworden!
Doch damit ist nun Schluss. Héja und die Augsburger Philharmoniker haben das um 1900 entstandene d-Moll-Opus in der Kongresshalle erstaufgeführt. Zusammen mit Musik von Johannes Brahms, was bei Dohnányi naheliegt, hat der Ungar in dem Deutschen doch ein Vorbild gesehen, während Brahms wiederum große Stücke auf Dohnányi hielt und ihn förderte. Vorneweg also das Doppelkonzert für Violine und Cello von Brahms mit den Solisten Barnabás Kelemen und László Fenyö, beide Ungarn – in jeder Hinsicht besaß dieses 5. Sinfoniekonzert einen ungarischen Schwerpunkt.
Und, wie es das Ungarn-Klischee besagt, voller Leidenschaft begann das Brahms’sche Konzert, in forschem Tempo angegangen von Héja in den einleitenden Orchestertakten. Dann sind auch schon die Solisten am Zug, Lázló Fenyö zuerst mit einer rhapsodisch ausholenden Cello-Kantilene, an die später Barnabás Kelemen mit der Violine anknüpft und die beiden Streicher sich nun zu umspielen beginnen. Beide Solisten präferieren ein emotional aufgeladenes, teilweise hitziges Spiel, was natürlich Effekt macht – nicht nur im auf- und abwogenden ersten Satz, auch im strömenden Andante und schließlich im tänzerisch-rhythmischen Finale. Und doch bleibt dieser Zugriff auf Brahms’ letztes Orchesterwerk eindimensional, hätte die hochreflektierte Musik des Komponisten weniger Vollmundigkeit, mehr Schattierung und doppelten Boden vertragen. Hundertprozentig passend war die Musizierhaltung dagegen in der Zugabe, in Johan Halvorsens Passacaglia über ein Händel-Thema: Ein Stück spätromantischen Virtuosenbarocks, mit aller erdenklicher Verve auf die Saiten geworfen von Kelemen und Fenyö – und quittiert von donnerndem Applaus des Publikums in der gut besuchten Kongresshalle.
Nach der Pause die Premiere, Dohnányis sinfonischer Erstling. Tönende Spätromantik in Reinkultur: große Formen, weitschweifende Themen, schmelzende Streicher, choralhafte Bläser, üppig besetztes, in allen Farben schillerndes Orchester. Domonkos Héja ist merklich ein Kenner dieser Partitur, gelingt es ihm doch, manches zunächst disparat Erscheinende, unvermittelt gegeneinander Stehende zu einem sinnfälligen Ganzen zu fügen. Auch die Disposition des gesamten fünfsätzigen sinfonischen Gebäudes ist überlegt, über eine gute Stunde hinweg reißt der Spannungsbogen nicht ab. Zum Reizvollsten dieser Sinfonie gehören die ausgedehnten, verschiedenen Soloinstrumenten gewidmeten Passagen, eine Herausforderung für jedes Orchester. Die Augsburger Philharmoniker lösen die Aufgabe bravourös, ob es sich um das Bratschen-Solo im AndanteIntermezzo handelt oder um die Englischhorn-Einleitung zum zweiten Satz. Überhaupt hier, in diesem Molto adagio, die Holzbläser: herausragend, das Wechselspiel der Klarinetten, Flöten, Oboen, Fagotte – Momente voll sprachgleicher, fast schon opernhafter Dramaturgie.
Ein Abend fest in ungarischen Händen